SPD will mit Arbeitnehmerrechten punkten Martin Schulz schaltet auf Angriff

Berlin · Die SPD zeigt sich nach der Niederlage in Nordrhein-Westfalen kämpferisch. Dabei ist ihre neue Ausgangslage schwierig. Schulz geht deshalb in die Offensive: Er kündigt "sehr konkrete Vorschläge" für eine gerechte Zukunft an.

 SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz bei einer Pressekonferenz am Montag.

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz bei einer Pressekonferenz am Montag.

Foto: rtr, MDA

Den Tag nach den Wahlen in NRW hatten sich die Sozialdemokraten ganz anders vorgestellt. Ein Kanzlerkandidat Martin Schulz mit guter Aussicht auf den Job als Regierungschef sollte einer strahlenden Siegerin Hannelore Kraft Blumen überreichen. An diesem Tag wollte die SPD nach drei Landtagswahlsiegen in Folge das Kanzleramt fest in den Blick nehmen. "Hätte, hätte, Fahrradkette", ätzte einst der frühere SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, als er im Wahlkampf 2013 seine Felle davonschwimmen sah.

So weit wollen es die Sozialdemokraten in diesem Bundestagswahlkampf nicht kommen lassen. Martin Schulz nahm am Montag die Kritik auf, dass er zu wenige Inhalte liefere, und kündigte "sehr konkrete Vorschläge" für eine gerechte Zukunft an. In der anschließenden Vorstandssitzung im Willy-Brandt-Haus, in der die Niederlage in NRW analysiert wurde, ging es nach Teilnehmerangaben "ordentlich, fair und selbstkritisch" zu. Dass die CDU bei den Themen innere Sicherheit, Bildung und Infrastruktur im Wahlkampf besser punkten konnte, gestanden sich die Sozialdemokraten bei der Sitzung ein.

Die Sozialdemokratie will am Thema soziale Gerechtigkeit als Dreh- und Angelpunkt im Wahlkampf festhalten. Dabei konnte die SPD in der bundesrepublikanischen Geschichte bislang stets dann den Kanzler stellen, wenn sie mit Themen und Kandidat die Mitte der Gesellschaft erreichte, wie dies bei Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder der Fall war. Die soziale Gerechtigkeit bestimmt auch weite Teile des 67 Seiten starken Wahlprogrammentwurfs, der unserer Redaktion vorliegt und mit dem sich die SPD-Führung am Montag erstmals beschäftigte.

Viele konkrete Punkte finden sich zu einer neuen Arbeitsmarktpolitik. So will die SPD die Schwelle zur betrieblichen Mitbestimmung in Unternehmen auf 1000 Beschäftigte senken. Vor dem Hintergrund einer digitalisierten Arbeitswelt soll es ein "Recht auf Nicht-Erreichbarkeit" für Arbeitnehmer geben, um, wie es im Programmentwurf heißt, "Belastungen, die sich mit orts- und zeitflexibler Arbeit verbinden, zu begrenzen". Gleichzeitig sollen die Arbeitnehmer mehr "Wahlmöglichkeiten bei ihrer Arbeitszeit und für ihren Arbeitsort erhalten". Die "sachgrundlose Befristung" von Arbeitsverträgen soll abgeschafft werden. Das sogenannte "Arbeiten auf Abruf werden wir eindämmen", heißt es in dem Entwurf weiter. Zudem spricht sich die SPD für einen "Pakt für anständige Löhne" und eine "stärkere Tarifbindung" aus.

Noch unvollständig sind die Kapitel unter den Überschriften Rente und Steuern. Beide Konzepte sollen erst noch einmal durchgerechnet werden, bevor sie in der Breite der Partei diskutiert werden.

Mit der verlorenen NRW-Wahl ist der Druck auf Martin Schulz, der beim Parteitag am 19. März mit 100 Prozent der Stimmen zum Parteichef gewählt worden war, erheblich gestiegen. Nach dem Verlust der sozialdemokratischen Herzkammer NRW ist er so groß, dass sich SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann gestern bemüßigt sah, Schulz' Rolle zu verteidigen. "Wir haben einen glaubwürdigen Kanzlerkandidaten, der nach wie vor die Menschen begeistern kann", sagte Oppermann.

Anders als Parteichef und Kanzlerkandidat Schulz gilt Generalsekretärin Katarina Barley aber mittlerweile nicht mehr als unumstritten. Im Willy-Brandt-Haus macht sich Unsicherheit breit, ob sie tatsächlich den nun bevorstehenden schwierigen Wahlkampf alleine managen kann. Sigmar Gabriel hatte Barley 2015 als Generalsekretärin geholt. Sie fiel anfangs insbesondere durch ihre erfrischend unprätentiöse Art auf.

Schulz appellierte im Lichte der Niederlage an den Kampfgeist der Genossen: "Zur Bundestagswahl am 24. September haben wir eine lange Wegstrecke." Sie sei steinig und werde hart. In einem Brief an die Basis-Mitglieder, der unserer Redaktion vorliegt, schrieb der Parteichef: "Ab jetzt heißt es, Angela Merkel oder ich." Er versprach den Genossen zugleich: "Wir werden aber auch im Bund nachdenken müssen, was wir besser machen können." Unterschrieben ist der einseitige Brief mit "kämpferischen Grüßen".

Eine Zuspitzung auf "sie oder ich" ist für die SPD nicht ohne Risiko. Merkels Popularitätswerte sind wieder angestiegen, seitdem sich die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland gelangen, auf niedrigem Niveau stabilisiert hat. Ihre hohe Anerkennung in vielen Ländern kann sie ohnehin im Wahlkampf in die Waagschale werfen.

Das war die Ära Hannelore Kraft
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Der SPD-Kanzlerkandidat steht zudem vor der Herausforderung, sein fehlendes Regierungsamt zu kompensieren. Er hat weder den Bundestag noch die Machtfülle eines Ministers zur Verfügung, um seinen politischen Botschaften Nachdruck zu verleihen. Er muss vielmehr Marktplätze, Talkshows und andere Bühnen jenseits des politischen Geschäfts aufsuchen, um seine Themen zu setzen. Im Wahlkampf machen dies die Kandidaten ohnehin. Die Spitzenleute der Parteien können aber zusätzlich mit ihren Ämtern reüssieren. Merkel wird diesen Bonus nutzen - zum Beispiel beim internationalen G20-Gipfel in Hamburg.

(qua)
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