Fehler sollen korrigiert werden Martin Schulz will Agenda 2010 aufweichen

Bielefeld/Berlin · Der SPD-Kanzlerkandidat stellt befristete Arbeitsverträge und die kurze Bezugszeit beim Arbeitslosengeld für ältere Beschäftigte infrage. Scharfe Kritik kommt von der Union und von führenden Ökonomen.

 Martin Schulz

Martin Schulz

Foto: dpa, chc vge jai

SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz will Teile der rot-grünen Reformagenda 2010 rückabwickeln und auch die von der SPD mitgestalteten Rentenreformen korrigieren. "Auch wir haben Fehler gemacht", sagte Schulz gestern auf einer Veranstaltung vor 750 Gästen in Bielefeld. Es sei nicht ehrenrührig, Fehler zu korrigieren, sagte er unter lautem Beifall.

So werde er die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverträgen abschaffen, wenn er Kanzler sei. Zudem wolle er das Rentenniveau stabilisieren. Er nannte aber keine Größenordnung. Betriebsräte in Unternehmen sollen gestärkt werden. Zuvor hatte die "Bild"-Zeitung über Pläne berichtet, die SPD wolle die Bezugszeit beim Arbeitslosengeld I für ältere Arbeitnehmer über 50 Jahren von derzeit 15 Monaten wieder ausdehnen.

Die Agenda 2010, die Kanzler Gerhard Schröder (SPD) 2003 auf den Weg gebracht und die ihn 2005 das Amt gekostet hat, gilt international als Vorbild für eine gelungene Reform des Sozialstaats. Kern der Agenda war die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe zugunsten des neuen Arbeitslosengelds II ("Hartz IV"). Das erhöhte für viele Langzeitarbeitslose den Anreiz, eine Arbeit aufzunehmen. Hinzu kam eine Fülle weiterer Maßnahmen, darunter Erleichterungen bei befristeten Verträgen. Zwischen 2005 und heute konnte die Arbeitslosenzahl auf 2,7 Millionen fast halbiert werden.

Schulz sagte: "Menschen, die viele Jahre, oft Jahrzehnte, hart arbeiten und ihre Beiträge gezahlt haben und zahlen, haben ein Recht auf entsprechenden Schutz und Unterstützung, wenn sie - oft unverschuldet - in große Probleme geraten." Er verwies auf ein Treffen mit einem 50-Jährigen, der Angst um seine Stelle habe. Der Mann bekomme bei einem Jobverlust 15 Monate Arbeitslosengeld, dann gehe es an seine Existenz. Schulz ging nicht konkret auf die Verlängerung der Bezugszeit ein. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat jedoch den Auftrag, ein Wahlkampf-Programm vorzubereiten. "Alles gehört jetzt auf den Prüfstand", sagte Nahles. Auch Qualifizierung und Mitbestimmungsrechte gehörten dazu.

Der konservative SPD-Flügel "Seeheimer Kreis" stützte die Änderungen an der Agenda 2010. "Das sind Reparaturmaßnahmen, wo die Agenda 2010 nicht so gewirkt hat, wie wir uns das vorgestellt haben, wo es Fehlentwicklungen und Missbrauch gab", sagte Seeheimer-Chef Johannes Kahrs. "Wenn jemand 30 Jahre gearbeitet hat, muss er anders behandelt werden als jemand, der nur drei Jahre erwerbstätig war."

Die Union reagierte harsch. "Diese SPD-Pläne sind grober Blödsinn, weil sie schädlich wären für die Beschäftigung in unserem Land", sagte Fraktionsvize Michael Fuchs. "Das ist reiner Sozialpopulismus von Martin Schulz", sagte Fuchs. Die Politik solle sich fragen, welche Grundpfeiler die Stabilität des Arbeitsmarkts getragen hätten, sagte auch der Chef der Wirtschaftsweisen, Christoph Schmidt. "Ein wesentlicher Bestandteil waren die Reformen der Agenda 2010, die den beeindruckenden Abbau der Arbeitslosigkeit und gleichzeitigen Aufbau der Beschäftigung seit 2005 mitgetragen haben. Diese Reformen zu schleifen, wäre daher kein verantwortungsvolles Handeln."

(mar / qua)
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