Annette Schavan im Interview "Mehr Studienabschlüsse für 50-Jährige"

Düsseldorf · Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) sprach mit unserer Redaktion über lebenslanges Lernen, Schulen auf dem Land und die Suche nach einem Atom-Endlager in Deutschland.

Das sind die Sieger-Unis
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Foto: ddp

Frau Schavan, wird es irgendwann ein Atomendlager geben, das nicht in Gorleben liegt?

Schavan Mein Kollege, Bundesumweltminister Norbert Röttgen, hat zum Dialog zwischen Bund und Ländern eingeladen. Da wird der Prozess der Endlagersuche besprochen. Ich halte deshalb nichts von rhetorischen Verwirrspielen, die nur die Menschen in vielen Regionen beunruhigen. Ich kann nicht beurteilen, ob es wirklich außerhalb von Gorleben einen Standort gibt, der vergleichsweise geeignet ist.

Aber Sie sind doch die Forschungsministerin.

Schavan Auch für die Forschungsministerin gilt, dass eine Entscheidung der Bundesregierung erst nach Vorlage weiterer Ergebnisse möglich ist. Ob andere Standorte genauso geeignet sind wie das schon seit vielen Jahren erkundete Gorleben, lässt sich jetzt noch nicht sagen.

Wie lange dauert der Suchprozess?

Schavan Es gilt der verabredete Zeitplan. Ich gehe davon aus, dass bis zum Ende dieser Wahlperiode die Grundlagen für unsere Entscheidung vorliegen.

Bis zum Ende der Wahlperiode will die Regierung auch eine neue Demografie-Strategie. Worum geht es?

Schavan Die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland betrifft alle Ressorts, alle politischen Ebenen, alle zivilgesellschaftlichen Kräfte. Wir werden älter, wir werden weniger, wir werden bunter. Deshalb ist Demografie ein klassisches Querschnittsthema für viele Ministerien und für alle Menschen in unserem Land. Wir müssen es schaffen, dass aus gewonnenen Lebensjahren neues, fortschrittliches Potenzial wird. Dazu braucht es intensive Veränderungen in Städten, in ländlichen Räumen, in Institutionen.

Wie wird der Einzelne das erleben?

Schavan Wenn zum Beispiel in zehn Jahren in Deutschland 20 Prozent weniger Schüler sind, ist es eine besondere Herausforderung, auch im ländlichen Raum für gute Bildungsangebote zu sorgen. In den Städten kommt die Schule mit ihren Integrationsleistungen besonders in den Blick. Entscheidend wird auch die Gesundheits-Infrastruktur sein. Das medizinische Angebot muss sich ändern und stärker auf die Altersmedizin ausgerichtet werden — da gibt es bisher nur drei Lehrstühle in Deutschland. Schon heute sind viele fachliche Erkenntnisse da, die mehr in den Alltag der Arztpraxen einfließen sollten, um die Gesundheit älterer Menschen positiv zu beeinflussen.

Wird jede fünfte Schule zu einem Altenzentrum umgebaut?

Schavan Es wird nicht jede fünfte Schule überflüssig. Wir müssen möglichst viele Schulstandorte erhalten. Aber aus mancher Schule wird dann vielleicht ein Zentrum für lebenslanges Lernen. Die Kommunen werden zentrale Akteure. Die demografische Entwicklung bietet ja auch Chancen. Wenn etwa das Geld im Bildungssystem bleibt und damit Lehrer weniger Schüler unterrichten, kann das zur Qualitätsverbesserung führen.

Müssen die Berufs- und Hochschulen sich stärker für Senioren öffnen?

Schavan Ja, es geht mehr um ein Miteinander der Generationen. In der Gesellschaft des längeren Lebens müssen auch mit 40 oder 50 noch neue Qualifikationen und neue berufliche Chancen selbstverständlich werden. Die neue Studienstruktur ist ja genau darauf ausgerichtet, dass man in jungen Jahren einen Bachelor-Abschluss macht und nach zehn oder 20 Jahren wiederkommt, um dann noch einen Master-Abschluss draufzusetzen. Das geht auch im jungen Seniorenalter.

Das klingt, als sei Deutschland schon ausreichend gewappnet.

Schavan Es gibt viele Ansätze, aber es mangelt noch am richtigen Bewusstsein, dass es künftig um lebenslanges Lernen jenseits des Hobbys geht. Nur etwa ein Drittel der über 55-Jährigen nimmt an Weiterbildung teil, das ist noch viel zu wenig. Die Veränderungsdynamik ist so groß, dass sich die Arbeitnehmer ihr ständig stellen müssen. Demografiepolitik ist nicht beschränkt auf Senioren. Sie muss genauso die Zukunftschancen der anderen Generationen im Blick behalten. Demografie ist kein neuer Name für Altenpolitik.

Nach einer Studie gibt es immer noch Altersdiskriminierung.

Schavan Wir müssen gegen die Vorstellung vorgehen, dass kreativ gleich jung ist. Dazu gehört es auch, als Gesetzgeber beweglich zu sein. Wer über bestimmte Altersgrenzen hinaus am Arbeitsleben teilnehmen will, der soll attraktive Möglichkeiten haben. Wir haben das wunderbare Beispiel der Seniorprofessoren. Die sind zwar pensioniert, aber noch so gut drauf, dass sie sagen: Jetzt kann ich mich noch mehr um die Studenten kümmern und Projekte erforschen. Das sollten wir weiterentwickeln.

Wann kommt die steuerliche Forschungsförderung?

Schavan Ich bin davon überzeugt, dass zusätzliche steuerliche Anreize für Forschung und Entwicklung die Innovationsfähigkeit Deutschlands stärken. Noch haben wir dazu keine Einigung, aber wir sollten in dieser Wahlperiode den ersten Schritt tun. So ist es verabredet.

Michael Bröcker, Rena Lehmann und Gregor Mayntz führten das Gespräch.

(RP/sap)
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