Frauensache Merkel am Kochtopf, ein verwirrendes Bild

Berlin · Die Kanzlerin gibt plötzlich Einblicke in ihr Privatleben als Ehefrau und Oma. Die Betonung des typisch Weiblichen war bislang ihre Sache nicht.

Jetzt, wo ich es gemerkt habe, bin ich ganz aus dem Häuschen — die Bundeskanzlerin ist tatsächlich eine Frau. Ja, wirklich. Sie kocht, sie spielt mit ihren Enkelkindern, und an Männern findet sie die Augen besonders attraktiv. Das hat sie der "Brigitte" gesagt. "Es ist ein Mädchen", titelte die "Taz" 2005, als Angela Merkel ins Bundeskanzleramt einzog, und zeigte ein herzerwärmendes Schwarz-Weiß-Bild der zweijährigen Angela mit Lockenkopf und krausgezogener Nase.

Acht Jahre ist Merkel nun Kanzlerin, doch typisch weiblich waren ihr Auftreten und Regierungsstil nie. Der mädchenhafte Charme einer Ursula von der Leyen geht Merkel ebenso ab wie das fürsorglich Kümmernde einer Hannelore Kraft, ihr liegt weder der Walkürenauftritt einer Andrea Nahles noch die Umarmungsfolklore einer Claudia Roth. Die eigenen Leute haben Angela Merkel zwar den Spitznamen "Mutti" gegeben, nur hat sie mit dem Typus Mutter der Nation ungefähr so viel gemein wie Wladimir Putin mit einem lupenreinen Demokraten. Eine Inge Meysel sucht man in Merkel vergeblich. Die Kanzlerin ist auch nie in die Falle getappt, als Frau der bessere Mann sein zu wollen, also den kernig-kerligen Macht- habitus zu imitieren. Die Basta-Politik eines Gerhard Schröder oder das patenhafte Herrschaftssystem Helmut Kohls sind ihr fremd. Ihre Führungsmethoden sind bezogen auf das Geschlecht neutral. Deshalb waren die Fotos aus Merkels Osterurlaub, die sie mit ihren Enkeln spielend zeigten, so verwirrend.

Angela Merkel im Fußballstadion zuzusehen, wie sie fröhlich in die Hände klatscht — das war bisher der emotionalste Moment, an dem sie die Öffentlichkeit teilhaben ließ. Hochzeitsfotos von Hannelore Kraft in Weiß, Homestorys von Ursula von der Leyen mit Kinderschar — kennen wir. Aber dass auch die Kanzlerin ein Familienleben hat und sogar Oma ist, überrascht uns. Dann erfahren wir auch noch, dass sie am Herd steht und für ihren Mann kocht. Hätte sie gesagt, ihr Mann und sie — beide Physiker — würden am Küchentisch über die Quantentheorie reden — dieses Bild wäre leichter vorstellbar als Merkel im Kochtopf rührend.

Wahlkampf, sagen nun die Medien über die plötzliche Frauwerdung der Kanzlerin. Mag sein. Doch Merkels persönliche Umfragewerte sind schon vor den Einblicken in ihr Privatleben bestens gewesen. Vielleicht gerade, weil sie sich stets den Geschlechterklischees entzogen hat — obwohl sie ein Mädchen ist.

(RP)
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