Kanzlerin im Interview Merkel: Die SPD sucht ihr Heil bei Rot-Rot

Berlin (RP). Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) greift im Interview mit unserer Redaktion erstmals ihren Koalitionspartner SPD massiv an. Weil die Sozialdemokraten keine Machtperspektive bei Rot-Grün sähen, strebten sie Bündnisse mit der Linkspartei an. Im Falle einer schwarz-gelben Regierung schließt sie jede Änderung bei Mehrwertsteuer und Kündigungsschutz aus.

 Die Kanzlerin gibt sich auch im Wahlkampf entspannt. Beim Interview mit Sven Gösmann (rechts) und Martin Kessler war auch Zeit für scherzhafte Bemerkungen. Das Interview fand in Angela Merkels Büro im siebten Stock des Kanzleramts statt.

Die Kanzlerin gibt sich auch im Wahlkampf entspannt. Beim Interview mit Sven Gösmann (rechts) und Martin Kessler war auch Zeit für scherzhafte Bemerkungen. Das Interview fand in Angela Merkels Büro im siebten Stock des Kanzleramts statt.

Foto: Laurence Chaperon

Frau Bundeskanzlerin, vielen Dank für die Einladung zum Interview. Wo können wir hinterher den Kaffee bezahlen?

Merkel Sie sind herzlich eingeladen.

Sind Sie eigentlich verärgert über die öffentliche Aufregung, die Ihre Einladung anlässlich des Geburtstags von Deutsche-Bank-Chef Ackermann verursacht hat?

Merkel Es gab ein Abendessen für Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Bildung und Kultur im Umfeld des Geburtstags von Herrn Ackermann.

Ein Abendessen im Kanzleramt im Umfeld eines Geburtstages kommt nicht alle Tage vor.

Merkel Ich wollte mit dieser Einladung ganz unterschiedliche Bereiche der Gesellschaft an einen Tisch holen. Das war keine Geburtstagsfeier. Die Feier, an der ich nicht teilgenommen habe, hat zwei Monate vorher in München stattgefunden.

Stört es Sie, dass Sie sich dafür rechtfertigen müssen?

Merkel Nein. Das ist Teil des Amtes. Es gehört zu einer Demokratie, dass hier nachgefragt wird und es wurden alle Fragen im Haushaltsausschuss des Bundestages beantwortet. Für mich als Bundeskanzlerin ist es wichtig, Vertreter verschiedener Bereiche zu treffen, auch über die Verbandsschiene hinaus. Und ich werde auch in Zukunft Menschen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund, ehrenamtlich Tätige, Unternehmer, Betriebsräte, Schriftsteller, Künstler oder Sportler ins Kanzleramt einladen.

Am Sonntag sind in drei Bundesländern Wahlen. In zwei davon, in Thüringen und im Saarland, könnte die CDU zum ersten Mal seit 2001 einen Ministerpräsidenten verlieren.

Merkel Jede Wahl hat ihren eigenen Charakter. Das gilt übrigens erst recht für Kommunalwahlen, die ja in Nordrhein-Westfalen dazu kommen. Die Ausgangslage ist wie bei den Europawahlen. Vor fünf Jahren hatte die CDU in den Ländern außergewöhnlich hohe Ergebnisse, weil alle Wahlen Abstimmungen gegen Schröder und Rot-Grün waren. Warten wir einfach den Sonntag ab.

Eine völlig neue Lage entstünde, wenn es in zwei Bundesländern rot-rote Bündnisse gibt. Wäre das ein Rückschlag für Ihren Wahlkampf?

Merkel Ich greife den Wahlergebnissen nicht vor. Aber eines ist klar, und zwar, dass die SPD keine Machtperspektive mehr in Rot-Grün sieht und ihr Heil nur noch in Bündnissen mit der Linkspartei sieht. Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung. Schauen Sie sich das Verhalten von Rot-Rot im Bundesrat an. Ob Schuldenbremse, EU-Vertrag oder die Neugestaltung unseres föderalen Systems, überall enthält sich das Land Berlin, das von SPD und Linkspartei regiert wird, der Stimme. Da bleiben wichtige Gesetzesvorhaben, an denen auch die SPD im Bundestag maßgeblich mitgewirkt hat, ohne jedes verantwortliche Mitgestalten. Rot-Rot-Grün führt nur zu unklaren Verhältnissen. Unser Land aber braucht nach dem 27.9. klare Verhältnisse.

Ein Rückschlag droht auch bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen. Große Städte wie Köln oder Essen könnten wieder der SPD zufallen. Fürchten Sie ein solches Signal?

Merkel Die Wahlen zu den Stadt- und Gemeinderäten sind kein Stimmungstest für den Bund. Trotzdem glaube ich, dass wir im Schnitt ein gutes Ergebnis hinlegen werden.

Am 27. September ist Bundestagswahl. Was ist, wenn es am Ende doch nur zur Großen Koalition reicht?

Merkel Wir streben ein Bündnis mit der FDP an, und dafür setzen wir uns im Wahlkampf mit ganzer Kraft ein. Eine Regierung mit der FDP bietet die Gewähr dafür, dass wir schnell und klug aus der gegenwärtigen Wirtschaftskrise herauskommen.

Mit Schwarz-Gelb erwartet uns ein merkwürdiges Bündnis. Herr Westerwelle ist sauer, weil die Union zwar offiziell ein Bündnis mit der FDP will, aber ständig gegen sie stichelt. Ihnen persönlich unterstellt er, Sie strebten insgeheim eine Große Koalition an.

Merkel Nein. Guido Westerwelle weiß, dass CDU und CSU in ihrem Regierungsprogramm festgelegt haben, eine Regierung mit der FDP bilden zu wollen.

Der Streit könnte sich bei einem Erfolg von Schwarz-Gelb zum Sturm entwickeln. Die FDP will einen Spitzensteuersatz von 35 Prozent, eine Lockerung des Kündigungsschutzes, die Abschaffung der Bundesagentur für Arbeit.

Merkel Das wollen wir alles nicht. Aber ich führe vor der Wahl keine Koalitionsverhandlungen.

Ärger droht auch in der Steuerpolitik. Wann darf denn der Bürger mit Entlastungen rechnen?

Merkel Den ersten Schritt wird es schon zum 1.1.2010 geben. Dann entlasten wir die Bürger um rund zehn Milliarden Euro. Der steuerfreie Grundfreibetrag steigt, und die Krankenversicherungsbeiträge sind besser absetzbar. Damit entsteht schon hier ein Impuls für mehr Wachstum und der Stützung des Binnenkonsums.

Wir meinten die beabsichtigte Steuerreform. Kommt sie jetzt 2011 oder erst 2012?

Merkel Das hängt vom Verlauf der Wirtschaftsentwicklung ab. Auf jeden Fall wird es in der kommenden Periode bis 2013 in zwei Schritten eine Entlastung geben, und das setzt schon früher Wachstumskräfte frei. Wir konzentrieren uns dabei auf eine Verringerung der kalten Progression, die gerade der breiten Mehrheit der Leistungsträger mehr von Lohnerhöhungen und Überstunden belassen wird.

Dann seien Sie doch ganz ehrlich. Wollen Sie wirklich die Mehrwertsteuer so lassen, wie sie ist?

Merkel Wir werden die Mehrwertsteuer in den nächsten vier Jahren nicht erhöhen, weder den vollen noch den reduzierten Satz.

Sie haben bis 2013 Steuerausfälle von über 300 Milliarden Euro. Wollen Sie neue Abgaben erfinden, wie etwa eine Pkw-Maut?

Merkel Eine PKW-Maut wird es mit mir nicht geben, weil sie zu Verzerrungen bei der Belastung des Verkehrs führt.

Lassen Sie uns doch noch mal rechnen. Der Bund wird allein 2009 und 2010 über 160 Milliarden Euro neue Schulden aufnehmen. In ähnlicher Höhe stehen Bürgschaften für Unternehmen und Banken aus. Und da können Sie noch Steuern senken?

Merkel Ich verstehe, dass Menschen die Frage stellen, ob das geht. Wir müssen aber die Situation betrachten, in der wir stehen. Wir müssen mit Wachstum aus der schwersten weltweiten Krise in der Geschichte der Bundesrepublik kommen. Wenn wir noch Jahre in der Talsohle verharren, wird das für unser Land teuer. Maßvolle Entlastungen bei der kalten Progression schaffen Wachstum und motivieren Arbeitnehmer. Wie schnell eine Veränderung gelingen kann, haben wir von 2005 bis 2008 erlebt. Wir hatten etwa 2005 die Sorge, dass 2007 eine milliardenschwere Lücke im Rentensystem droht. Tatsächlich schafften wir 2008 einen Überschuss von 15 Milliarden Euro, den wir in die Reserven einstellten.

Also gründen sich Ihre Steuerpläne auf das Prinzip Hoffnung?

Merkel Nein, Wachstum schafft Arbeit und Einkommen und dem Staat Spielräume bei der Erfüllung seiner Aufgaben.

Sie kämpfen um den Erhalt von 25. 000 Arbeitsplätzen bei Opel. Nun hält die Opel-Mutter General Motors (GM) die Bundesregierung mit einer Entscheidung über den Investor hin. Belastet das Ihr Verhältnis zur US-Regierung, der mehrheitlich GM gehört?

Merkel Nein, unser Verhältnis zur US-Regierung ist gut. Wir stehen in einem intensiven Kontakt.

Hält GM die Bundesregierung nicht zum Narren?

Merkel Es geht es um die Zukunft eines wirtschaftlichen Unternehmens, das in den USA und in Europa Werke hat. Hier sind natürlich unterschiedliche Interessen betroffen, und die müssen wir zusammenbringen. Damit müssen wir konstruktiv umgehen.

Die Zeit drängt aber.

Merkel Es liegen zwei unterschriftsreife Verträge vor, von GM mit dem österreichisch-kanadischen Autozulieferer Magna und mit der US-Investorengruppe Ripplewood. GM muss in den nächsten Wochen entscheiden, welchen Weg sie gehen.

Sven Gösmann und Martin Kessler führten das Gespräch.

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort