SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück im Interview "Merkel ist beim Euro gescheitert"

Berlin/Düsseldorf · Peer Steinbrück, SPD-Spitzenkandidat für die Bundestagswahl am 22. September, spricht im Interview mit unserer Redaktion über den Euro-Kurs der Bundesregierung, Schwierigkeiten im Wahlkampf, sein Vorbild Gerhard Schröder, seine Chancen im TV-Duell und er gibt eine Antwort auf die Frage, warum er oft einen grimmigen Eindruck macht.

Sie sind leidenschaftlicher Schachspieler. Es gibt viele Partien, die gewonnen wurden, obwohl der Eröffnungszug verpatzt wurde. Gibt Ihnen das Hoffnung?

Steinbrück Sie spielen auf den Wahlkampf an...? Da ist ein Bild aus dem Fussball noch treffender: viele Spiele werden erst in der 90. Minute gewonnen, manche sogar erst in der Nachspielzeit gewonnen. Soll heißen: Die Wahl entscheidet sich in den letzten zwei Wochen. 30 bis 40 Prozent der Wähler entscheiden sich erst sehr spät.

Sie sind anerkannter Finanzexperte. In den Umfragen punktet die SPD damit aber nicht. Ärgert Sie das?

Steinbrück Ich richte meinen Wahlkampf grundsätzlich nicht nach Umfragen aus. Die lagen erwiesener Maßen schon meilenweit daneben.

Gut, dann lassen Sie uns über Inhalte reden. Sie und Parteichef Sigmar Gabriel haben mit den Signalen in der Steuerpolitik für Irritationen gesorgt. Wollen Sie nun Steuern senken oder erhöhen?

Steinbrück Es gibt eine klare Hierarchie. Es bleibt bei unserem Programm. Wir werden einige Steuern für einige erhöhen, um mehr Geld für Bildung, Infrastruktur, Städte und Kommenen und den Schuldenabbau zur Verfügung zu haben. Unsere Steuererhöhungen betreffen fünf Prozent der Steuerzahler, da ist wenig Raum für Hysterie. Die Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 49 Prozent wird gelten für Singles, die ein zu versteuerndes Einkommen, also nicht Bruttoeinkommen, von mehr als 100.000 Euro im Jahr verdienen - brutto sind das mindestens 110.000 Euro. Bei Verheirateten mehr als 200000 Euro. Ich glaube, das ist zu verkraften.

Und die angekündigten Steuerentlastungen?

Steinbrück Wenn wir den Steuerbetrug erfolgreich bekämpfen und die Möglichkeiten legaler Steuervermeidung durch große Konzerne beschneiden - Experten gehen von einer Gesamtsumme von 160 Milliarden Euro aus - dann und erst dann stehen Steuersenkungen in Rede. Das ist die Reihenfolge.

Sie könnten die leistungsfeindliche kalte Progression im Steuerrecht beseitigen?

Steinbrück Darüber reden wir, wenn es soweit ist.

Der Mittelstand fürchtet Ihre Pläne zur Vermögensteuer.

Steinbrück Um das noch einmal klar zu sagen: Wir werden an der Unternehmensbesteuerung nichts verändern. Es wird mit mir und der SPD keine weitere Änderung bei der Substanzbesteuerung geben.

Experten rätseln, wie Sie das konkret umsetzen wollen?

Steinbrück Indem wir das Betriebsvermögen unangetastet lassen. Beim Bundesverfassungsgericht steht ein Urteil zur unterschiedlichen Bewertung von Privat- und Betriebsvermögen an, das uns konkrete Hinweise geben wird. Aber unabhängig von einem Urteil wird es mit mir keine Substanzbesteuerung von Unternehmen über das heute geltende Maß hinaus geben.

Wenn die Richter Zweifel an einer verfassungskonformen Vermögensbesteuerung äußern, dann verzichten sie auf die Vermögensteuer?

Steinbrück Noch einmal: Unabhängig von einem Richterspruch werden wir die Betriebsvermögen steuerlich unangetastet lassen. Ich weise dezent daraufhin, dass ich es als Finanzminister war, der die Freistellung des Betriebsvermögens bei der Erbschaftsteuer ermöglicht hat.

Der deutsche Sozialstaat kostet etwa 750 Milliarden Euro, das ist ein internationaler Spitzenwert. Trotzdem sattelt die SPD mit Solidarrente, Pflegeleistungen, Steuererhöhungen drauf. Sie haben mal vor einer Überdehnung des Sozialstaats gewarnt. gilt das angesichts der demografischen Entwicklung nicht mehr denn je?

Steinbrück Es ist richtig, dass die Demografie uns Finanzierungsprobleme beschert. Die Rentenbezugsdauer hat sich in den letzten 30 Jahren verdoppelt, die Pflege ist eine immense Herausforderung. Deswegen darf es auch keine unrealistischen Versprechen geben. Aber die Sozialstaatsquote, also der Anteil der Sozialausgaben an der Wirtschaftsleistung, ist in den letzten Jahrzehnten mit um die 30 Prozent ziemlich konstant geblieben.

Weil die Wirtschaft gewachsen ist.

Steinbrück Trotzdem. Das Bild eines ausufernden Sozialstaates ist Unsinn.

Sie waren mal anspruchsvoller in Ihrer Reformrhetorik. Wo kürzt denn ein sozialdemokratischer Kanzler Steinbrück Staatsausgaben?

Steinbrück Die Streichung des Betreuungsgeldes, von Steuerprivilegien oder ökologischen Fehlanreizen sind ein Ansatz. Ansonsten werden wir das in Haushaltsberatungen zu klären haben.

Wo ist der Klartext-Kandidat?

Steinbrück ...manchen Klartext, diese Erfahrung habe ich gemacht, haben Medien gelegentlich aufgebauscht und gegen mich gewendet. Aber nur mal als Gedankenstütze: Der Abbau von Subventionen ist mir zusammen mit dem damaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch schon mal gelungen. Es wird Effizienzprüfungen geben, etwa bei den Familienleistungen. Das milliardenschwere Betreuungsgeld werden wir im Fall einer Regierungsbeteiligung sofort abschaffen und das Geld lieber in den Ausbau von Betreuungsplätzen stecken. Generell gilt: Wir müssen weniger individuelle Geldleistungen organisieren und stattdessen mehr in die Betreuungs-Infrastruktur samt Personal investieren.

Wann würde eine Regierung Steinbrück Schulden tilgen?

Steinbrück Einer der ersten Schritte wäre es, die Neuverschuldung auf Null zu bringen. Wenn es keine wirtschaftlichen Verwerfungen gibt, müsste das zu schaffen sein. Wann es zu einem Abbau der Verschuldung kommen kann, sehen wir dann.

Muss es eine Reform der ermäßigten Mehrwertsteuersätze geben?

Steinbrück Ja. Schon die große Koalition 2005 wollte die Reform anpacken, nur leider wurde die SPD damals gebremst. Die amtierende Koalitionsregierung wollte da ran - hat das dann aber wie so vieles wieder liegen gelassen. Es gibt zu viele Ausnahmen, die kaum zu begründen sind.

Das gilt auch für die Hotelsteuer.

Steinbrück Ja.

Im Wahlkampf kriegen Sie die Kanzlerin nicht wirklich zu fassen. Woran liegt's?

Steinbrück Die Kanzlerin weicht gerne aus. Sie fährt gerne im Kreisverkehr. Und das sehr vorsichtig. eine Richtung, eine Kompassweisung für unser Land und seinen Zusammenhalt ist nicht erkennbar.

Sie haben mal sehr gut mit ihr zusammengearbeitet. Warum schließen Sie eine große Koalition für Sie persönlich aus?

Steinbrück Weil sie der SPD nicht gut getan hat. Trotz einer starken Handschrift der SPD-Minister damals, ich erinnere nur an das Management in der Finanzkrise und die Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise 2009 wie das kommunale Investitionsprogramm, das Kurzarbeitergeld und Abwrackprämie wurde die SPD bei der Bundestagswahl 2009 schwer angezählt. Wir wollen nicht noch einmal Steigbügelhalter für Frau Merkel sein.

Aber in der SPD wird intern darüber diskutiert, ob die SPD das Thema offensiv angehen sollte.

Steinbrück Sie finden immer jemanden, der das gut findet und darüber reden will. Aber wichtiger ist: die gesamte SPD-Führung ist, um Johannes Rau zu zitieren, ins Gelingen verliebt, nicht ins Scheitern. Ich für meinen Teil stehe für eine große Koalition nicht zur Verfügung. Und es wird keine rot-rot-grüne Koalition und auch keine Tolerierung geben.

Sie treten diese Woche mehrfach mit Gerhard Schröder auf. Wofür steht er?

Steinbrück Gerhard Schröder ist ein Mann, der sein Amt für ein großes wegweisendes Projekt, die Agenda 2010, In die Wagschale geworfen hat. Und der als Gegner des Irak-Kriegs Haltung gezeigt hat. Er ist ein Vorbild. Frau Merkel kann kein einziges Projekt vorweisen, das über diese Legislaturperiode hinausweist und mit dem sie ihr Amt verknüpft hat. Was bleibt hängen? Nur Dutzende folgenlos gebliebene Gipfel. Die Energiewende? Angesichts dieses desaströsen Managements? Wir sind vier Jahre lang im Kreis gefahren worden von Frau Merkel. Und weil sie nirgendwo angeeckt und keinen Kotflügel beschädigt hat, sind einige schon zufrieden. Wir als SPD nicht.

Herr Schäuble hält nun doch ein drittes Griechenland-Paket für wahrscheinlich. Davon war bisher nicht die Rede. Wie bewerten Sie das?

Steinbrück Das ist zunächst das indirekte Eingeständnis, dass das bisherige Krisenmanagement gescheitert ist. Immerhin führt Schäuble die Bürger nicht länger hinter die Fichte. Es war immer klar - anders als Frau Merkel uns weis machen wollte -, dass Deutschland zur Kasse gebeten wird. Dann sollte unsere Unterstützung aber nicht in einem riesigen schwarzen Loch landen, sondern Wachstumsimpulsen und dem dem Abbau der Jugendarbeitslosigkeit dienen. Das gilt nicht nur für Griechenland.

Nächste Woche treffen Sie im TV-Duell auf Frau Merkel. Eine Chance?

Steinbrück Selbstverständlich ist das TV-Duell eine Chance für den Herausforderer, um unterschiedliche Positionen klarzumachen. Es werden vielleicht wieder 14 bis 15 Millionen Bürger zuschauen, ein solch breites Forum erreicht man sonst im Wahlkampf nicht. Ich werde das TV-Duell nutzen, um über Inhalte zu reden.

Wer spielt in den Vorbereitungen bei Ihnen denn die Rolle von Frau Merkel?

Steinbrück (lacht) ...so jemanden wie Angela Merkel gibt es bei uns nicht. Aber keine Sorge, ich bin auch so vorbereitet. Niemand stolpert in ein solches Duell rein. Es spielt in der Meinungsbildung sicher eine wichtige Rolle. Aber Wahlen werden nie über ein Thema oder ein Ereignis entschieden.

Wie viel Rückenwind brauchen Sie von Hannelore Kraft aus NRW?

Steinbrück So viel wie möglich. Und den bekomme ich. Dass NRW mit knapp 14 Millionen Wahlberechtigten eine zentrale Bedeutung hat, ist offensichtlich.

Passt zwischen Ihrer Finanzpolitik und der von Frau Kraft ein Blatt Papier?

Steinbrück Nein, natürlich nicht.

Sie werden in Umfragen von Bürgern oft als grimmig bezeichnet. Vielleicht müssen Sie einfach mehr lächeln?

Steinbrück Na ja, mein Gesichtsausdruck entspricht meiner Gemütslage nicht. die ist hell, aufgeschlossen und empfänglich für die lustigen Seiten des Lebens - das haben Sie gar nicht gesehen, richtig?

Zum Schluss fünf Einschätzungen zu bestimmten Persönlichkeiten. Was halten Sie von Papst Franziskus?

Steinbrück Eine beeindruckende Persönlichkeit. Ich bewundere seine unmittelbare und authentische Nähe zu sozialen Fragen.

Was kritisieren Sie an Wladimir Putin?

Steinbrück Ich würde ihn jedenfalls nicht einen lupenreinen Demokraten nennen.

Welchen Ministerposten könnte Charlotte Roche bei Ihnen übernehmen?

Steinbrück Wer? Ach ja, ihr Buch ist gerade verfilmt worden...

Ist Barack Obama ein Sozialdemokrat?

Steinbrück Tja, das ist schwer zu sagen. Die Demokraten im Süden der USA sind konservativ, die Republikaner an der Ostküste sind eher Sozialdemokraten. In dem was Obama vertritt, würde ich ihn im europäischen Koordinatensystem eher als Sozialdemokraten sehen.

Welche Rolle in Ihrem Wahlkampf und in Ihrem Leben spielt Gertrud Steinbrück?

Steinbrück Im Wahlkampf eine geringe, im Leben eine sehr große. Sie ist zusammen mit unseren Kindern der mir am nächsten stehende Mensch. Sie sagt mir ungeschminkt die Wahrheit in einer Tonlage, die nie verletzend ist und sorgt für Bodenhaftung. Die Tatsache, dass wir seit 38 Jahren verheiratet sind, zeigt, dass wir Herausforderungen gemeistert haben und uns ein hohes Mass an Vertrautheit verbindet. Und wir haben großes Glück mit drei toll geratenen nun erwachsenen Kindern. Das ist allerdings eher das Verdienst meiner Frau.

Das Gespräch fasste Michael Bröcker zusammen.

(brö)
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