Europa streitet über Stabilitätspakt Merkel setzt für den Euro alles auf eine Karte

Brüssel (RPO). So hoch hat die Bundeskanzlerin in der EU selten gepokert. Beim kommenden EU-Gipfel stemmt sich Angela Merkel an der Seite von Nicolas Sarkozy gegen den entschiedenen Widerstand der anderen EU-Staaten. Sie will eine Änderung des EU-Vertrages von Lissabon durchsetzen, um hartnäckige Schuldensünder stärker in die Pflicht nehmen zu können.

Fragen und Antworten zum Euro-Stabilitätspakt
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Foto: ddp

Zum Auftakt der Sitzungswoche im Bundestag gibt Bundeskanzlerin Merkel heute (13.00 Uhr) eine Regierungserklärung zu den bevorstehenden Gipfeln der EU und der G20 ab. Wie aus Regierungskreisen verlautete, pocht die Bundesregierung kurz vor Beginn des Brüsseler Gipfels auf eine Änderung der EU-Verträge und macht davon ihre Zustimmung zur Reform des Stabilitätspakts abhängig. Deutschland fordert insbesondere, dass notorischen Defizitsündern künftig das Stimmrecht entzogen werden kann.

Die Kanzlerin würde damit ihr Versprechen gegenüber dem deutschen Steuerzahler einlösen. Denn es war eine Bedingung für Deutschlands Beteiligung an den Milliarden-Rettungsschirmen für Griechenland und die Euro-Zone, die Währungsunion mit einer Reform gegen erneute Schuldenkrisen immun zu machen.

Doch die dazu notwendigen Änderungen des erst in Kraft getretenen Lissabon-Vertrags ist den meisten EU-Staaten ein Graus - nach jahrelangen Diskussionen und Zitterpartien um Volksabstimmungen. Auch in der Sache steht es in einem der beiden Punkte, für die Deutschland und Frankreich eine Einigung aller 27 Mitgliedstaaten brauchen, derzeit zwei gegen 25.

Wer permanent schludrig haushaltet und damit den Euro in Gefahr bringt, soll künftig mit einem Entzug des Stimmrechts bei EU-Entscheidungen bestraft werden. Eine solche politische Sanktion ist aus Sicht der Bundesregierung ein schärferes Schwert als automatische Finanzstrafen im Stabilitätspakt. Diese hat die Bundeskanzlerin in dem Kompromiss mit Präsident Nicolas Sarkozy vergangene Woche selbst abgemildert, um sich Frankreichs Unterstützung für Vertragsänderungen zu sichern.

Drohung mit Blockade

Nun droht Berlin unverhohlen mit Blockade. Eine Änderung des EU-vertrages sei notwendig, damit nach Auslaufen der Euro-Rettungsschirme 2013 ein dauerhafter Krisenmechanismus mit ausreichender Rechtsgrundlage geschaffen werden könne, hieß es am Dienstag aus Berliner Regierungskreisen. Die von der Euro-Taskforce ausgearbeitete Reform des Stabilitätspakts und die Vertragsänderungen seien ein Paket. Es gebe deswegen "entweder beides oder gar nichts", sagte ein Diplomat.

Damit erhöht Berlin zwei Tage vor dem EU-Gipfel den Druck auf die anderen EU-Mitglieder enorm. Im Kreis der EU-Außenminister am Montag in Luxemburg war erheblicher Widerstand gegen eine Öffnung der Verträge deutlich geworden. Die Reform des Stabilitätspaktes, die zügigere Sanktionen für Schuldensünder, eine enge Abstimmung der nationalen Haushaltspolitiken sowie einen Abbau von Ungleichgewichten im Wettbewerb einführen würde, ist dagegen schon von allen 27 EU-Finanzministern abgesegnet worden.

Berlin droht aber nicht nur mit einer Blockade der Reform. Auch einen neuen Rettungsmechanismus werde es ohne Vertragsänderungen mit der Bundesregierung nicht geben, sagte der Diplomat. Um einen Kompromiss zu ermöglichen, sollen die Vertragsänderungen stark eingegrenzt werden. Der Lissabon-Vertrag müsse nur "um zwei Zeilen" ergänzt werden. Die erste Zeile betrifft das generelle Verbot der gegenseitigen Schuldenübernahme (Bailout-Verbot). Nur bei "außergewöhnlichen Ereignissen" darf die Union Mitgliedsstaaten finanziellen Beistand leisten. Um sich vor Verfassungsklagen zu schützen, hält Berlin eine Ergänzung an dieser Stelle für notwendig. In der ersten Zeile soll den Mitgliedsstaaten also erlaubt werden einzuspringen, wenn die Einheitswährung insgesamt in Gefahr gerät.

Der Rettungsschirm schließt sich bald wieder

Im zweiten Punkt geht es um die Beteiligung von privaten Gläubigern. Deutschland will keinem neuen Rettungsmechanismus zustimmen, bei dem ausschließlich die öffentliche Hand einstehen müsste. Denn dann könnten nach 2013, wenn der unter dem Druck der Krise im Frühjahr geschaffene Rettungsschirm für die Währungsunion wieder geschlossen werden muss, Banken oder Investoren weiter spekulieren und sich im Krisenfall schadlos halten. "Durch eine Einbeziehung der privaten Gläubiger würde das Risikobewusstsein an den Finanzmärkten steigen", erklärte der Diplomat.

Zudem bringt die Bundesregierung ein weiteres Argument vor: Ohne Vertragsänderung werde das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe keinen Krisenmechanismus zulassen. Deutschland, größter Europa-Financier, wäre damit zum Ausstieg verdammt. Die Drohung verfängt offenbar. Eine Einigung hierüber sei realistisch, sagte Außenminister Guido Westerwelle nach stundenlangen Diskussionen mit seinen EU-Amtskollegen zur Vorbereitung des Gipfels am Montag in Luxemburg.

Deutschland und Frankreich nicht zu unterschätzen

Ob Merkel und Sarkozy sich durchsetzen, ist völlig offen. Beim Stimmrechtsentzug ist das schwer vorstellbar. Dennoch ist es andererseits schwer, eine Opposition gegen die beiden mächtigsten EU-Staaten durchzuhalten, wenn diese zusammenstehen. "Alle sind äußerst skeptisch über Vertragsänderungen - aber man sollte nie unterschätzen, was die deutsch-französische Achse bewirken kann", gibt ein EU-Diplomat zu bedenken.

Fraglich ist auch, ob eine Vertragsänderung die deutsche Öffentlichkeit überzeugen wird. Denn angepasst werden müsste voraussichtlich die wichtigste Vertragsklausel zur Währungsunion, die sogenannte "No-bail-out"-Klausel. Sie besagt, dass weder die EU noch einzelne Mitgliedstaaten für die Schulden anderer Mitgliedstaaten haften dürfen. Würde der Haftungsausschluss aufgeweicht, wäre ein Sturm der Empörung in Deutschland gewiss. Er wäre noch größer, wenn Merkel nicht das scharfe Schwerte - den Stimmrechtsentzug - durchsetzen sollte.

(RTR/dapd)
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