Treffen mit Funktionären Merkel umgarnt Gewerkschaften

Berlin (RPO). Flirt mit den Gewerkschaften: Gut vier Wochen vor der Bundestagswahl sucht Kanzlerin Angela Merkel die Nähe der Arbeitnehmervertreter. Bei einem Treffen mit neun Gewerkschaftschefs bedankte sich die Regierungschefin demonstrativ für die Hilfe bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise. Die Funktionäre zeigten sich indes skeptisch.

Gewerkschaften - von ganz groß bis ganz klein
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Foto: ddp

Die große Liebe von einst ist längst erloschen. Früher passte zwischen die Positionen von Sozialdemokraten und Gewerkschaften kaum ein Blatt. Doch die Agenda 2010 mitsamt den Hartz-Reformen unter dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder erschütterte die Zuneigung zutiefst. Dass die SPD dann in der Großen Koalition auch noch die Rente mit 67 befürwortete, wurde als offene Provokation gedeutet. So halten sich DGB-Chef Michael Sommer und andere Spitzengewerkschafter in diesem Wahlkampf mit Parteiempfehlungen zurück.

Gern umarmen die Parteien die Gewerkschaften gerade in Wahlzeiten. Und in diesem Krisenjahr sind die Arbeitnehmervertretungen auch noch im Aufschwung: Der Mitgliederschwund scheint fast gestoppt, sie sind beliebt und in den Betrieben werden sie als Bündnispartner fürs Krisenmanagement gebraucht. Parteistrategen wissen, wie gut es sich macht, sich mit "Siegern" zu schmücken. Und Kanzlerin Angela Merkel darf sich freuen, dass die Gewerkschaftsbosse scheinbar gerne zum Gedankenaustausch ins Kanzleramt pilgern.

Um die Wette strahlen

Das dürfte der Sozialdemokratie bitter aufstoßen. Denn die Treffen sind medienwirksam und zeigen das scheinbar gute Verhältnis. So stand die CDU-Chefin gut vier Wochen vor der Wahl am Freitag in der Sky Lobby des Kanzleramts in Berlin, umringt von neun Gewerkschaftern. Vor den Kamerateams und Fotografen strahlten alle um die Wette.

Merkel lobte die Gewerkschaften für ihre Hilfe bei der Bewältigung der Wirtschaftskrise. Ihre Arbeit habe dazu beigetragen, dass die Instrumente des Konjunkturpakets wie Kurzarbeit, Infrastrukturprogramme und die Stützungsmaßnahmen für die Automobilindustrie angenommen worden seien. Die Aufgabe sei nun, diesen Wachstumspfad fortzusetzen, auch mit dem von den Gewerkschaften geforderten Instrument der Mitbestimmung.

Zwischentöne waren auch bei DGB-Chef Michael Sommer kaum zu vernehmen. Er sei irritiert über jüngste Äußerungen, die darauf zielten, Arbeitnehmerrechte wie den Kündigungsschutz infrage zu stellen, meinte er nur, bevor sich die Gesellschaft zum Mittagessen zurückzog - und es schien, als ob CDU und Gewerkschaften gar nicht mehr so viel trennt.

"Eine gegenseitige Achtung"

Das meinen auch Unions-Politiker. "Das Verhältnis war schon schlechter in unserer Geschichte", sagte der Vorsitzende der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), Karl-Josef Laumann, dem "Kölner Stadt-Anzeiger". "Es gibt eine gegenseitige Achtung. Wir wissen als CDU, dass wir den Gewerkschaften viel zu verdanken haben - etwa dafür, dass wir den Aufschwung hingekriegt haben. Umgekehrt sehen die Gewerkschafter, dass wir derzeit alles unternehmen, damit die Arbeitnehmer von der Krise nicht so stark betroffen werden." Zur Zurückhaltung der Gewerkschaften im Wahlkampf erklärte er: "Das finde ich gut so. Das war schon mal anders."

Gleichzeitig betonten Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) und Bayerns Regierungschef Horst Seehofer (CSU), dass es im Fall einer schwarz-gelben Koalition keine radikalen Reformen auf dem Arbeitsmarkt oder bei den Sozialversicherungen geben werde. "Ein Streichkonzert bei den Sozialleistungen passt nicht in diese Zeit. Mit mir braucht keiner über Änderungen am Kündigungsschutz oder bei der Mitbestimmung zu reden. Bei mir darf keiner die Gewerkschaften schlecht machen", sagte Rüttgers dem in Düsseldorf "Handelsblatt". Seehofer betonte: "Fest steht, dass die Union in einer schwarz-gelben Koalition keine neoliberale Politik zulassen wird. Da bin ich kampferprobt."

Weder Wahl- noch Koalitionsempfehlungen

SPD-Fraktionschef Peter Struck jedenfalls ist sauer, dass die Gewerkschaften nicht deutlicher gegen eine womöglich schwarz-gelbe Koalition zu Felde zögen. Aber weder Sommer, immerhin seit fast 30 Jahren SPD-Mitglied, noch ver.di-Chef Frank Bsirske, der bei den Grünen Mitglied ist, wollen Wahl- oder Koalitionsempfehlungen abgeben. Vielmehr verweisen sie auf Themen, für die sie stehen - und die sich dann in den Wahlprogrammen der einzelnen Parteien wiederfinden - oder eben nicht.

Es werde bis zur Wahl am 27. September darum gehen, gewerkschaftliche Positionen bei allen Parteien so weit wie möglich durchzusetzen. "Der DGB und seine Gewerkschaften sind und bleiben parteipolitisch unabhängig", sagte Sommer der AP.

Mindestlohn und Kampf gegen Altersarmut

Der DGB will die Politik vor allem zur Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns, zur Bekämpfung der Altersarmut und einer politisch-moralischen Aufarbeitung der Wirtschaftskrise drängen. Für den Mindestlohn werde der DGB kämpfen "und wir wissen uns dabei eins mit der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung", sagte Sommer.

Zum großen Wahlkampfthema haben die Gewerkschaften die Rente mit 67 gemacht, die sie unbedingt wieder abgeschafft haben wollen. Zwar wurde diese maßgeblich vom damaligen SPD-Arbeitsminister und heutigen Parteichef Franz Müntefering vor rund zweieinhalb Jahren eingeführt, mittlerweile mehren sich jedoch auch bei den Sozialdemokraten die Stimmen, dies wieder rückgängig zu machen.

Ein weiteres Thema, das den Gewerkschaften unter den Nägeln brennt, ist der Kündigungsschutz. Hier konnte die Kanzlerin Sommer jedoch beruhigen. Merkel habe klar gesagt, nicht am Kündigungsschutz rütteln zu wollen, erklärte der er nach dem Treffen. Damit sei der DGB zufrieden.

Auf Linie mit der Linkspartei

Derzeit jedoch sind die Gewerkschaften mit dieser Forderung nur auf Linie mit der Linkspartei, die die Rente mit 67 auch unbedingt gekippt sehen will. Auch die Forderung nach einem dritten Konjunkturpaket eint die Gewerkschaften mit der Partei von Oskar Lafontaine und Lothar Bisky.

Ganz allein lassen die Gewerkschafter ihre alte Liebe aber dann doch nicht. Am kommenden Dienstag wollen sie der Einladung von SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier folgen und ihn im Auswärtigen Amt treffen.

(AP/ndi)
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