Geheimdienst-Liste Deutsche Politikerinnen im Visier der Türkei

Berlin · Michelle Müntefering (SPD) und Emine Demirbüken-Wegner (CDU) stehen auf einer Liste des türkischen Geheimdienstes MIT, mit der dieser Gülen-Anhänger finden will. In Berlin löst das helle Empörung aus.

 Die SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering.

Foto: dpa, Jonas Güttler

Die deutsch-türkischen Beziehungen stehen vor der nächsten Belastungsprobe. Am Mittwoch wurde öffentlich, dass der türkische Geheimdienst offensichtlich die nordrhein-westfälische SPD-Bundestagsabgeordnete Michelle Müntefering und die Berliner CDU-Landesparlamentarierin Emine Demirbüken-Wegner ins Visier genommen hat.

Müntefering, die auch Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe ist, reagierte empört: Es sei "erneut und deutlich eine Grenze überschritten". Dieses Vorgehen der türkischen Regierung zeige einmal mehr den Versuch, kritische Positionen zu unterdrücken, erklärte Müntefering schriftlich.

Den Stein ins Rollen gebracht hatte der Bundesnachrichtendienst. Der türkische Geheimdienst MIT hatte BND-Chef Bruno Kahl eine Liste mit 300 Namen überreicht - wohl in der Annahme, dass die deutsche Seite dabei behilflich sein könnte, angebliche Anhänger der Gülen-Bewegung in Deutschland ausfindig zu machen. Die Türkei sieht die Gülen-Bewegung verantwortlich für den Putschversuch im Juli 2016. Doch Kahl war nicht den Türken zu Diensten, sondern warnte diejenigen, die auf der Liste standen.

Bei einer Fragestunde im Parlament erklärte Innenstaatssekretär Günter Krings (CDU), dass eine Bundestagsabgeordnete auf der Liste aufgeführt sei und eine CDU-Politikerin, die nicht dem Bundestag angehöre. NDR, WDR und "Süddeutsche Zeitung" machten öffentlich, dass es sich bei der Abgeordneten um Michelle Müntefering handele.

Später bestätigte die Berliner CDU-Landesvorsitzende Monika Grütters, dasses sich bei der Politikerin aus ihrer Partei um Emine Demirbüken-Wegner handelt. Sie und Müntefering werden dem Medienbericht zufolge vom MIT in der Rubrik "Machtzentren und Nicht-Regierungsorganisationen" gelistet, mit denen die Gülen-Bewegung angeblich "gute Beziehungen" aufgebaut habe.

Müntefering betonte in ihrer schriftlichen Stellungnahme, dass sie als Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe mit den "unterschiedlichsten und schwierigsten Gesprächspartnern" im In- und Ausland in Kontakt stehe.

Empörte Reaktionen

Die Reaktionen anderer Abgeordneter reichten von fassungslos bis hell empört: "Erdogan geht weit über das hinaus, was wir akzeptieren können. Er scheint keinerlei Interesse mehr an einer Partnerschaft mit Deutschland zu haben", sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Die Integrationsbeauftragte der Unionsfraktion, Cemile Giousouf (CDU), sprach von "türkischen Stasi-Methoden".

Während Oppermann klare Worte der Kanzlerin forderte, sieht Giousouf Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) in der Pflicht. Giousouf: "Ich erwarte auch, dass es zu einer strafrechtlichen Verfolgung dieser geheimdienstlichen Spionage kommt, wie es unser Gesetz vorschreibt", sagte sie. Es sei gut, dass der BND die Personen gewarnt habe, die auf der Liste des türkischen Geheimdienstes stehen.

Ob Müntefering und Demirbüken-Wegner nur auf der Liste der Türken stehen oder ob es bereits illegale Spionagetätigkeiten gegen sie gegeben hat, blieb gestern unklar. Bereits Anfang des Monats hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz davor gewarnt, dass der innertürkische Konflikt auch Folgen für die Sicherheitslage in Deutschland haben werde.

Dabei verwiesen die Verfassungsschützer auf verstärkte Spionage durch staatliche türkische Stellen. Die "Bruchlinien zwischen den verschiedenen Lagern in der Türkei", so Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen, bildeten sich "spiegelbildlich" in Deutschland ab.

(may- / qua)
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