Analyse Die Miete bremst nicht automatisch

Berlin · Die Mietpreisbremse kommt. Doch es gibt weiterhin keine Behörde, die die Mieten festlegt. Experten rechnen wegen zahlreicher Unklarheiten mit einer Fülle von Rechtsstreitigkeiten.

 Die Mietpreisbremse kommt - doch damit sind längst nicht alle Probleme gelöst.

Die Mietpreisbremse kommt - doch damit sind längst nicht alle Probleme gelöst.

Foto: Monique Wüstenhagen/dpa

Endlich, so lautete eines der meistgebrauchten Worte nach der Entscheidung der Großen Koalition, soll die Mietpreisbremse zügig durch den Bundestag. Schon in der nächsten Woche sollen die abschließenden Beratungen über die Bühne gehen, im selben Monat die Bundesländer im Bundesrat einen Haken hinter das Anliegen machen. Beim Mieterbund gab es auch verwunderte Reaktionen von Bürgern, die glaubten, dass das doch schon längst Gesetz sei.

Die Fehleinschätzung liegt am Zeitablauf: Bereits im Sommer 2013 hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im beginnenden Wahlkampf die Mietpreisbremse angekündigt, im Spätherbst 2013 vereinbarten Union und SPD sie im Koalitionsvertrag. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) erklärte, die Mietpreisbremse werde dazu beitragen, dass Mieten auch für Normalverdiener bezahlbar blieben.

Doch wie schwierig die Verständigung auf Details würde, ließ sich im Sommer darauf aus einem Eckpunktepapier der Union ablesen. Sie wollte Ausnahmen für Neubauten und renovierte Wohnungen, eine zeitliche Befristung, zusätzliche Auflagen für Länder und Kommunen. Daraus sprach Misstrauen gegenüber dem von der SPD vordringlich gewollten Instrument. Und auch gestern machte Unionsfraktionschef Volker Kauder nochmals die innere Distanz deutlich: "Am besten ist es für Mieter, wenn es ein großes Angebot an Wohnungen gibt, dann sinken die Mieten automatisch", gab er bei der Verkündung der Mietpreisbremse zu Protokoll.

Hinter der zeitlichen Verzögerung zwischen dem Kabinettsbeschluss im Oktober und der jetzt nötig gewordenen erneuten Befassung im Koalitionsausschuss steckt also auch ein Stück Ideologie. Welche Preise soll, welche darf der Staat vorschreiben? Wo läuft er Gefahr, die Dynamik des Marktes abzuwürgen? Wann droht Gutgemeintes zum Schaden der Schwachen zu werden? Die Politik rechnet fest damit, dass an dieser heiklen Schnittstelle von Wohn- und Eigentumsrecht demnächst auch das Bundesverfassungsgericht noch einmal die Eingriffe auslotet.

Auch deshalb haben Union und SPD dem Grundsatz "Miete nur noch zehn Prozent über dem vergleichbaren ortsüblichen Niveau" einige Zähne gezogen. Zunächst müssen die Bundesländer per Verordnung festlegen, welche Gebiete überhaupt von einem "angespannten Wohnungsmarkt" betroffen sind und den Kriterien von eindeutiger Wohnungsknappheit entsprechen. Dann fallen alle Wohnungen heraus, die gerade neu gebaut oder umfassend saniert worden sind. Auch Modernisierungen können die Vermieter wie bisher geltend machen. Und wenn sie die Wohnung bislang schon oberhalb der zehn Prozent vermieteten, dürfen sie das auch weiterhin tun.

Mieter müssen ihr Recht selbst einfordern

Vor allem aber wirkt die Mietpreisbremse nicht automatisch. Es gibt weiterhin keine Behörde, die die Mieten festlegt. Der Mieter muss sein Recht selbst einfordern. Das bedeutet für die Praxis, dass der Vermieter natürlich unter der Vielzahl von Mietinteressenten frei auswählen kann, wem er den Zuschlag gibt. Im Zweifel wird er alle Bewerber aussortieren, die in Sachen Mietpreisbremse mit der Tür ins Haus fallen.

Errechnet sich aus dem Quadratmeterpreis laut Mietspiegel eine ortsübliche Miete von 800 Euro, wird kaum ein Interessent aus der Schlange der Wartenden darauf hinweisen, dass die Wohnung nur 880 Euro kosten darf, obwohl sie für 1000 Euro angeboten wird.

Demonstration gegen Mietpreierhöhung
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Zu den "spannenden Fragen", die die Gerichte zu klären haben werden, gehört nach Einschätzung von Mieterbund-Direktor Lukas Siebenkotten die denkbare Formulierung in einem Mietvertrag, wonach sich Vermieter und Mieter "in Kenntnis der Mietpreisbremse" darauf verständigen, dass die Miete nicht 880, sondern 1000 Euro beträgt. Darf ein Mieter freiwillig auf Rechte verzichten? Ist der Vertrag wegen dieser Umgehung des Gesetzes nichtig? Die Wirkung in überhitzten Mietwohnungsgebieten könnte auf diese Weise völlig verpuffen. "Wo kein Kläger, da kein Richter", fasst Siebenkotten zusammen.

Jedenfalls dürfte der Vertrag nicht gekündigt werden, wenn ein Mieter nachträglich erkennt, dass er zuviel zahlt. Die Miete muss dann nicht rückwirkend gesenkt werden, sondern erst ab dem Zeitpunkt, an dem der Mieter sein Recht geltend macht. Das Tauziehen um die Mietpreisbremse wird nach dem Gesetzesbeschluss weitergehen, wenn es darum geht, wie die ortsübliche Vergleichsmiete ermittelt wird, wie lange die Daten zurückreichen dürfen und wie schnell aktuelle Entwicklungen berücksichtigt werden müssen.

Weitere Klagen erwarten die Experten auch bei der neuen Maklerfinanzierung. Nach Umfragen hält es die Mehrheit der Bevölkerung für selbstverständlich, dass derjenige den Makler bezahlt, der seine Leistungen bestellt. Viele Makler sehen das anders, und manche arbeiten an Ausweichmodellen. Die könnten darin bestehen, dass Makler auf Wunsch von Vermietern begehrte Angebote in Internetbörsen einstellen, zu denen Interessenten nur Zugang haben, wenn sie einen Maklerauftrag erteilen. Ist das schon eine verbotene Umgehung des Gesetzes oder dem Buchstaben nach noch im erlaubten Rahmen?

Siebenkotten erwartet, dass die Festlegung von Regionen mit "angespanntem Wohnungsmarkt" schnell geht. Die Bundesländer könnten auf bestehende Definitionen zurückgreifen: Schwarz-Gelb hatte nämlich schon eine "Kappungsgrenze" eröffnet: In festgelegten Gebieten mit "gefährdeter ausreichender Versorgung" dürfen laufende Mieten um nicht mehr als 15 Prozent steigen. Allein in NRW betrifft dies 59 Städte von Düsseldorf bis Köln, von Moers bis Münster, von Wesel bis Wesseling. Das zeigt, wie groß das Problem ist.

(may-)
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