Klaus Wiesehügel im Interview "Mit 63 Jahren abschlagfrei in Rente"

Der Gewerkschaftschef war ein erbitterter Gegner der Agenda 2010. Jetzt soll er Peer Steinbrück zur Kanzlerschaft verhelfen. Im Interview mit unserer Redaktion sprach Klaus Wiesehügel über die Pläne der SPD nach einem Wahlsieg.

 Klaus Wiesehügel sprach mit unserer Redaktion.

Klaus Wiesehügel sprach mit unserer Redaktion.

Foto: dpa

Waren Sie überrascht, dass ausgerechnet Peer Steinbrück Sie in sein Wahlkampfteam holt?

Wiesehügel Ich hatte nicht auf den Anruf gewartet. Es hat mich aber gefreut und auch stolz gemacht.

Was haben Sie gerade gemacht, als der Anruf kam?

Wiesehügel Ich war zu Hause und habe gefrühstückt.

Haben Sie spontan zugesagt?

Wiesehügel Das habe ich erst mit meiner Ehefrau besprochen und dann habe ich zugesagt.

Sie gelten als politisches Raubein, wollen Sie als solches auch im Wahlkampf auftreten?

Wiesehügel Nein. Diese Beschreibung hat wohl eher mit meiner Erscheinung zu tun. Ich bin groß gewachsen - Telefonzellen groß habe ich neulich gehört. Unfreundlich bin ich aber nicht.

Wollen Sie denn wie Kanzlerkandidat Steinbrück mit scharfen Worten auftreten?

Wiesehügel In erster Linie bin ich in das Kompetenzteam geholt worden, weil ich mich seit Jahren mit den Themen gute Arbeit und Rentenpolitik auseinandersetze. Dass meine Ablehnung von Teilen der Agenda-Politik richtig war, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Die SPD will jetzt nach vorne schauen und braucht jemanden, der diese veränderte Sichtweise auf die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik glaubhaft verkörpert. Und dazu bin ich gerne bereit.

Sie waren zu Agenda-Zeiten mit dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder auf Konfrontationskurs. Wie ist ihr Verhältnis heute?

Wiesehügel Wir haben im Augenblick keinen Kontakt. Es gibt aber auch keinen anhaltenden Streit. Bei Gelegenheit werden wir uns sicherlich im Wahlkampf treffen. Dann werden wir wie erwachsene Menschen miteinander umgehen.

Wird es Ihnen gelingen, die SPD mit den Gewerkschaften wieder auszusöhnen?

Wiesehügel Das Verhältnis zwischen der SPD und den Gewerkschaften ist längst nicht mehr so angespannt wie es 2003 unmittelbar nach Ankündigung der Agenda 2010 war. Das Verhältnis ist unverkrampft. Es gibt einen sachlich fachlichen Austausch und viele gemeinsame Forderungen.

Welche Rolle spielt die Linkspartei aus Ihrer Wahrnehmung bei den Gewerkschaften?

Wiesehügel Ich kann das nur für die IG Bau beurteilen. Dort spielt sie eine untergeordnete Rolle. Sie hat in den Entscheidungsgremien keine Bedeutung.

Mit welchen Botschaften wollen Sie die Wähler zurückholen, die der SPD wegen der Agenda 2010 verloren gegangen sind?

Wiesehügel Die klare Botschaft ist: Wir haben verstanden, dass nahezu sieben Millionen Menschen weniger als 8,50 Euro verdienen. Wir haben Eliten, die immer reicher werden und wir haben eine wachsende Zahl von Arbeitnehmern, die nicht mehr unter Tarifverträge fallen. Wir haben 1,3 Millionen Menschen, die Hartz-IV trotz Arbeit benötigen. Diese Dinge müssen wir verändern. Deshalb wollen wir einen gesetzlichen Mindestlohn einführen.

Deutschland hat gute Erfahrungen mit Tarifabschlüssen. Warum gesetzlich?

Wiesehügel Nur ein gesetzlicher Mindestlohn gibt die Garantie, dass ihn die Unternehmen auch zahlen. Wer einen gesetzlichen Mindestlohn nicht zahlt, handelt ungesetzlich. Diese Unternehmen können dann von den Strafverfolgungsbehörden belangt werden. Bei Nicht-Zahlung eines Tarif-Mindestlohns müssen die Arbeitnehmer hingegen selbst klagen. Der gesetzliche Mindestlohn gibt Arbeitnehmern also mehr Sicherheit, dass sie tatsächlich das bekommen, was ihnen zusteht.

Und was müssen Unternehmen befürchten, die den Mindestlohn nicht zahlen?

Wiesehügel Es geht mir nicht darum, Furcht zu verbreiten. Ich möchte die Unternehmen disziplinieren, den Mindestlohn auch zu zahlen.

Würden Sie als Arbeits- und Sozialminister die Rente mit 67 aussetzen?

Wiesehügel Ich würde die Beschlusslage der SPD umsetzen. Wer 45 Versicherungsjahre nachweisen kann, soll mit 63 Jahren abschlagfrei in Rente gehen können. Wer die Altersgrenze nicht schafft, soll wieder einen leichteren Zugang zur Erwerbsminderungsrente bekommen. Dann werden wir überprüfen, ob mindestens die Hälfte der 60- bis 64-Jährigen einen sozialversicherungspflichtigen Job hat. Wenn dies nicht der Fall sein sollte, werde ich mich zu Wort melden.

Und die Rente mit 67 aussetzen?

Wiesehügel Wir machen, was in unserem Beschluss steht. Da habe ich die ganze Partei hinter mir.

Was wären ihre Sofortmaßnahmen als Arbeitsminister?

Wiesehügel Ich will in den ersten drei Monaten einen gesetzlichen Mindestlohn auf den Weg bringen. Dann werden wir den Werkverträgen enge Grenzen setzen. Wir werden nicht länger zulassen, dass von, zwei Arbeitnehmern, die die gleiche Arbeit verrichten, einer nur ein Drittel des Festangestellten-Lohns verdient. Zudem wollen wir grundlos befristete Arbeitsverträge verbieten. Und ich werde das Entgeltgleichheitsgesetz umsetzen. Damit Frauen endlich genauso viel verdienen wie Männer.

Wie würden Sie als Arbeits- und Sozialminister mit dem Bildungspaket für Kinder aus Hartz-IV-Familien umgehen?

Wiesehügel Das Bildungspaket kommt noch nicht bei allen Kindern an, es ist zu bürokratisch Aber alle Kinder haben ein Recht auf Teilhabe. Dieses Recht werde ich als Minister sicherstellen und das Bildungspaket in diesem Sinne reformieren.

(qua)
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