Flüchtlingskrise in München Deutsche Bahn räumt erstmals regulären ICE für Flüchtlinge

München · Die Belastungsfähigkeit Münchens ist am Limit. Angesichts der sich dramatisch zuspitzenden Flüchtlingslage kommt das bayerische Kabinett am Sonntag zu einer Sondersitzung zusammen. Die Deutsche Bahn räumt derweil erstmals einen regulären ICE für Flüchtlinge.

Die Behörden suchen nach neuen Lösungen bezüglich der Unterbringung von Flüchtlingen. Zeltstädte und die Olympiahalle sollen als Notunterkünfte bereitgestellt werden. Erstmals seit Beginn der großen Flüchtlingswanderung vor einer Woche konnte die bayerische Landeshauptstadt am Samstag nicht mehr garantieren, dass alle Ankommenden sicher eine Notunterkunft bekommen.

Auch am Abend trafen weitere Züge ein. Bis Mitternacht kamen nach Schätzungen bis zu 13.000 Menschen am Münchner Hauptbahnhof an. Manche legten sich im Hauptbahnhof mit Decken und Schlafsäcken auf den Boden.

München: Flüchtlinge aus Budapest kommen am Hauptbahnhof an
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Flüchtlinge aus Budapest kommen in München an

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Weitere 750 Flüchtlinge erreichten am frühen Sonntagmorgen den Hauptbahnhof. Das teilte ein Sprecher der Bundespolizei am Sonntagmorgen mit. Prognosen zur erwarteten Zahl neu ankommender Menschen wollte die Bundespolizei nicht nennen. Ein rückläufiger Trend sei jedoch nicht zu erwarten, hieß es.

Passagiere wurden gebeten, umzubuchen

Berührende Bilder: Deutschland heißt Flüchtlinge willkommen
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Foto: dpa, shp hpl

Die Deutsche Bahn machte derweil einen regulären ICE von München nach Berlin für Flüchtlinge frei. "Die Passagiere sind gebeten worden, umzubuchen", sagte eine Bahn-Sprecherin am Sonntag. Nach ihren Angaben handelte es sich um den ICE 1508, der planmäßig um 11.21 Uhr in München gestartet und um 17.37 Uhr in Berlin angekommen wäre. Ob es sich um den Zug handelt, der gegen 17.30 Uhr mit etwa 600 Flüchtlingen in Berlin-Schönefeld erwartet wird, konnte sie nicht sagen.

Es sei bislang der einzige Zug, der von einer derartigen Aktion betroffen sei, sagte die Sprecherin. Die Bahn setze ansonsten zahlreiche Sonderzüge ein, die von München aus in alle Richtungen fahren würden. Bis vergangenen Freitag habe es mehr als 30 Sonderzüge gegeben, so die Sprecherin.

Von Syrien nach München – die Route der Flüchtlinge
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Von Syrien nach München – die Route der Flüchtlinge

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Foto: AP/Lefteris Pitarakis

Die Lage hatte sich bereits den ganzen Samstag über abgezeichnet. "Sie sehen uns durchaus sehr besorgt vor sich", hatte der Regierungspräsident von Oberbayern, Christoph Hillenbrand, am Abend bereits gesagt.

OB kritisiert die anderen Bundesländer

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) kritisierte erneut die mangelnde Unterstützung aus anderen Bundesländern. Außer nach Nordrhein-Westfalen seien am Samstag lediglich acht Busse mit insgesamt 400 Menschen in andere Bundesländer gestartet. "Das ist einfach lächerlich", sagte Reiter. München übernehme gerade eine nationale Aufgabe. Die Situation sei seit Tagen absehbar gewesen. Dennoch habe sich nichts getan. Er sei "bitter enttäuscht, dass es nun auf eine Situation zuläuft, in der wir sagen müssen: Wir haben für ankommende Flüchtlinge keinen Platz mehr."

Er finde es seitens der anderen Bundesländer nach zehn Tagen "absolut dreist, zu sagen: Wir sind am Anschlag". Wer so spreche, solle sich in München ansehen, was "am Anschlag" bedeute. Reiter und Hillenbrand wiederholten ihren Appell an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die anderen Bundesländer, München und die Region nicht alleinzulassen. Jeder Zug, der in einer anderen Kommune ankomme, sei eine Entlastung für München.

Nach Informationen von ehrenamtlichen Helfern übernachteten einige Menschen auch am Zentralen Busbahnhof. Die Lage werde gerade geprüft, sagte Marina Lessig, Koordinatorin für das ehrenamtliche Engagement, kurz vor Mitternacht. "Wir sind zuversichtlich, dass wir zumindest alle mit dem Notwendigsten versorgen können: Decken, Wasser, Nahrung." Ehrenamtliche und Feuerwehr hätten bereits begonnen, eine Zeltstadt aufzubauen, sagte Lessig. Auch in der Olympiahalle liefen bereits die Vorbereitungen, um dort Flüchtlingen vorübergehend aufzunehmen.

Auch die Bundeswehr half beim Einrichten der Notlager. Feldbetten seien kaum noch zu bekommen, hieß es. Gegen 20.30 Uhr hatten Helfer die Münchner über die sozialen Medien aufgerufen, Schlafsäcke und Isomatten zu bringen. "Wir haben weit mehr bekommen, als wir brauchen", sagte Lessig. "Wir werden den Aufruf aber noch nicht stoppen, weil wir nicht wissen, was morgen los ist."

Denn Tausende weitere Menschen sind auf dem Weg. Die Balkanroute sei voller denn je, hieß es.

Hasselfeldt sieht Belastungsgrenze in Bayern "überschritten"

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich stellt derweil das Schengen-Abkommen zur freien Bewegung zwischen den Mitgliedstaaten in Frage: "Ich habe den Eindruck, dass Schengen nicht mehr funktioniert und dass das natürlich dazu führt, dass dann darüber hinaus, unregistrierte Bürger dann zu uns kommen", sagte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk. Er vermied ein Bekenntnis zur Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel vom vergangenen Wochenende, 20.000 Flüchtlinge einreisen zu lassen: Er würde nicht sagen, "es war ein Fehler oder es war kein Fehler", sagte Tillich.

CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt sieht Bayern angesichts des Flüchtlingsandrangs überfordert und hat mehr Solidarität der anderen Bundesländer eingefordert. "Die Belastungsgrenze in Bayern ist erreicht, teilweise auch deutlich überschritten", sagte Hasselfeldt unserer Redaktion. "Angesichts der anhaltend hohen Zahl von Flüchtlingen in Bayern und insbesondere München appelliere ich an die anderen Bundesländer, unbürokratisch zu helfen und Bayern deutlich mehr Flüchtlinge abzunehmen."

Hasselfeldt forderte auch "schnellstmöglich den Zustrom" zu begrenzen und dafür zu sorgen, "dass wieder weniger Menschen zu uns kommen". Es müsse alles dafür getan werden, dass die Außengrenzen der EU gesichert würden und die Länder unterstützt werden, "an deren Grenzen die Flüchtlinge als erstes ankommen". Hier sei besonders die EU gefordert.

Bundesinnenminister Thomas de Maiziere forderte unterdessen ein entschiedeneres Vorgehen Europas gegen die Extremistenorganisation "Islamischer Staat" und den syrischen Machthaber Baschar al-Assad. "Wir dürfen dem Morden nicht weiter zusehen", sagte der CDU-Politiker dem "Tagesspiegel". Europa benötige eine sicherheitspolitische Strategie, die sich nicht "von vornherein auf Diplomatie beschränkt".

EU-Kommissar Günther Oettinger spricht sich für geringere Leistungen für Asylbewerber in Deutschland aus.

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) sieht Deutschland bei der Aufnahme von Flüchtlingen am Limit. "Die Grenzen der Belastbarkeit sind erreicht, dieses Signal muss unmissverständlich ausgesendet werden", erklärte der CSU-Politiker am Sonntag in Berlin. "Wir werden lange brauchen, um die bereits bestehende schwierige Lage zu ordnen. Jetzt sind wirksame Maßnahmen nötig, um den Zustrom zu stoppen."

(dpa/rtr)
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