Analyse Was nun, Westen?

München · Unverbrüchliche Treue hat Trump den Europäern mit "vielen Grüßen" ausrichten lassen. Doch mit dem Pathos bei der Münchner Sicherheitskonferenz hat sich der Staub noch nicht gelegt, der mit Trumps Wahlsieg die Weltpolitik verdunkelt. Nach Brexit und Trump und vor den Wahlen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland sieht sich der Westen von großen Risiken umgeben.

Mike Pence und Angela Merkel bei der Münchner Sicherheitskonferenz
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Mike Pence und Angela Merkel bei der Münchner Sicherheitskonferenz

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Foto: dpa, shp jai

Die Zeilen, die am Vormittag im großen Saal des Bayerischen Hofes über den Teleprompter rollen, sind an Deutlichkeit kaum zu übertreffen. Einen Monat nach Amtsantritt lässt US-Präsident Donald Trump süße Soße über die unappetitlichen Bemerkungen von einer "obsolet" gewordenen Nato gießen. 21 Minuten versichert sein Vizepräsident Mike Pence den Vertreten der Nato, der EU und vor allem Deutschlands die Treue der USA, beschwört die gemeinsamen Werte von Frieden, Demokratie, Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit.

Pence erkennt die Anstrengungen im gemeinsamen Anti-Terror-Kampf an, verneigt sich vor den Opfern und kommt auf eine Mauer zu sprechen, deren Anblick er nie mehr vergessen werde. Nein nicht die aktuelle Sperre an der amerikanisch-mexikanischen Grenze, sondern jene "zehn Fuß hohe Mauer aus Blumen", mit denen die Berliner an der US-Botschaft ihre Solidarität mit dem amerikanischen Volk nach den Terrorangriffen vom 11. September 2001 ausdrückten. Die neue US-Administration ist also bemüht, die Befürchtungen des Westens nicht nur sachlich, nicht nur nachdrücklich, sondern auch empathisch zu zerstreuen.

Doch da ist auch Trump-Sprech in den Pence-Worten. Die USA würden "stark sein, stärker als je zuvor", betont der Vizepräsident. Und er beklagt, dass außer den USA nur fünf weitere Nato-Staaten die Selbstverpflichtung erfüllten, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes (BIP) in die Verteidigung zu investieren. Zuvor hatte bereits US-Verteidigungsminister James Mattis überprüfbare Daten von den Partnern bis Jahresende verlangt, aus denen nachvollziehbar hervorgeht, dass sie das Ziel tatsächlich erreichen wollen.

Die deutsche Seite kann zwar auf intensives Engagement in vielen Ländern verweisen, auch auf eine beachtliche Steigerung des Verteidigungshaushaltes um acht Prozent. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt in München ein weiteres Anwachsen zu. Bis 2024 auf zwei Prozent vom BIP zu kommen, wie 2014 beschlossen, diesem Ziel fühle sich Deutschland "verpflichtet", versichert Merkel. Und auch ihre Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen erklärt die Zeiten, in denen Deutschland die Friedensdividende nutzen konnte, für beendet.

Doch das Konfliktpotenzial um die Zwei-Prozent-Verpflichtung zeichnet sich in München bereits ab. Merkel verweist darauf, wie viel vernünftigerweise leistbar ist und erklärt, dass mehr als acht Prozent Steigerung pro Jahr "praktisch" nicht machbar seien. Ob ein solches Wachstum im Entwurf für den 2018er Haushalt stehen wird, ist eher fraglich. Der wird aller Voraussicht nach erst nach den Wahlen verabschiedet. Und bis dahin lässt sich mit dem unpopulären Rüstungsthema Wahlkampf machen. Noch-SPD-Chef Sigmar Gabriel testet es in München schon einmal aus. Doch selbst bei einer völlig unwahrscheinlichen jährlichen Acht-Prozent-Steigerung würde Deutschland nicht liefern können, was Trump verlangt. Merkel beschwichtigt schon einmal und warnt vor "kleinlichen Diskussionen". Doch auch Pence beharrt darauf: "Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, mehr zu tun."

Das gilt aus US-Sicht auch für den Kampf gegen den Terrorismus. Zwar ist die Tonlage der Trump-Administration in München verändert, erweckt sie nicht mehr den Eindruck, als müssten jetzt erstmals Anstrengungen gegen den Terror unternommen werden. Doch noch weiß keiner, welche konkreten Erwartungen die USA an Europa richten werden. Spezialkräfte nach Syrien? Intensivere Militäreinsätze gegen den islamistischen Terrorismus sind in Deutschland bestenfalls umstritten. Zudem legt Merkel einen großen Fallstrick der US-Politik frei mit ihrem Appell, nicht den Islam pauschal für den islamistischen Terror verantwortlich zu sein. Welche Konflikte sich innerhalb des westlichen Lagers längst aufbauen, wird am Abend klar, als US-Heimatschutzminister John Kelly den nächsten Anlauf zu einem Einreisestopp gegen sechs islamische Länder ankündigt.

Eine weitere Gefahr für den Westen kleidet EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans in die prononcierte Feststellung, es gebe in der EU kleine Mitgliedsstaaten, und "Mitgliedsstaaten, die noch nicht verstanden haben, dass sie klein sind". Doch das Gewicht von Europa als Ganzem hat im globalen Rahmen weiter abgenommen. Um wieviel schwächer sind dann einzelne europäische Staaten! Die neuen Machtverhältnisse spiegelt der chinesische Außenminister Wang Yi. Er spricht von den Verhältnissen zwischen den USA und China, zwischen China und Russland, viel von diesem Dreieck. Europa kommt nur am Rande vor. Auch Russlands Außenminister Sergej Lawrow wittert eine neue Chance, indem er die Nato als "Institution des Kalten Krieges" bezeichnet und über die Köpfe der Europäer hinweg Amerika ein neues Angebot der Zusammenarbeit macht. Moskau sei dazu bereit, wenn es auch Washington sei.

Die ökonomische Komponente der "Amerika-First"-Philosophie bereitet in München am wenigsten Sorge. Die Frage, ob auf der Fifth Avenue in New York zu viele deutsche Autos zu sehen seien, pariert Merkel mit dem Hinweis, wie viele amerikanische Produkte wie Apple allein im Konferenzsaal präsent seien. Und unter diesem Eindruck seien deutsche Autos auf der Fifth Avenue immer noch "minderbestückt", meint Merkel.

Das Kernproblem des Westens wird auch in München auf bedrückende Weise deutlich: Dass die von Amerika verteilte Lastenverteilung, das Hineinholen Europas in die Verantwortung, zu wenig konkrete Ergebnisse bringt. Präsident Barack Obama ließ Merkel freie Hand im Umgang mit der Ukraine-Krise. Auch in München ist ein weiteres Treffen im so genannten Normandie-Format angesetzt, versuchen also Deutschland, Frankreich, Russland und die Ukraine, den immer noch blutigen Konflikt an der ständigen Schwelle zum heißen Krieg zu lösen. Erneut gibt es null Fortschritte, nur einen nachholenden Appell, die wiederaufgeflammten Kämpfe zu beenden, die Blockaden aufzulösen und die schweren Waffen zurückzuziehen. Wie schon so viele Male zuvor. Dabei beschwört Merkel erneut, dass die gesamte europäische Friedensordnung in Gefahr ist, wenn Europa den Bruch der territorialen Integrität durch Russland akzeptiert, nicht "hart" damit umgeht. Was Moskau davon hält, macht Präsident Wladimir Putin umgehend klar, als er die "Pässe" der Bürger aus den abtrünnigen Regionen in der Ostukraine offiziell anerkennt.

Wenig Hoffnung liefert München auch für ein Ende des Syrien-Krieges. Zwar geht es gleich am Tag nach der Konferenz mit Gesprächen in Genf weiter. Doch damit es für Syrien eine Lösung geben könnte, müsste eine Verständigung mit dem Iran als Stütze des Assad-Regimes geben. Das Gegenteil erlebt die Sicherheitskonferenz. Von "drei Problemen" in der Region spricht Israels Verteidigungsminister Avigdor Liberman und zählt sie auf: "Iran, Iran, Iran." Der Trump-Administration wird unterstellt, eine härtere Gangart gegen Teheran einschlagen zu wollen. Steht am Ende ein weiterer Krieg, der den in Syrien in den Schatten stellt? Düstere Wolken ziehen in dieser Frage über der Welt auf.

Merkel macht die Mit-Verantwortung Europas deutlich, indem sie Syrien als Nachbarland der EU bezeichnet. Doch wenn die Vertreter Trumps in Washington die Problemlösungskompetenz der EU in ihrem eigenen Gebiet beschreiben sollen, werden sie nichts in Händen haben. Selbst das Verhältnis zwischen den europäischen Nato-Partnern ist konfliktbehaftet. Der problematische Umgang der Türkei mit den gemeinsamen demokratischen Werten wird in München ebenfalls Thema, als sich Merkel in den Fall des in Polizeigewahrsam genommenen deutschen Korrespondenten Deniz Yücsel einschaltet und im Gespräch mit Premier Binali Yildirim eine faire Behandlung einfordert.

Über allem steht die offene Frage, wie viel Trump durch US-Vizepräsident, Us-Verteidigungsminister und US-Heimatschutzminister in München wirklich spricht. Trumps Berater Stephen Bennon ist eindeutig näher dran am neuen mächtigsten Mann der Welt. Und Bennon ist nicht in München. Aber alle, die in München davon berichten, welche Eindrücke diejenigen bekamen, die bereits mit Bennon gesprochen haben, die verdrehen dabei die Augen. Wenn dieser Ideologe sich durchsetze, könne alles noch ganz furchtbar werden. Merkel gibt die Devise aus: "Wenn wir die Welt gemeinsam besser machen, wird es für jeden Einzelnen von uns besser." Der Satz lässt sich auch ins Negative kehren. In welche Richtung es wirklich geht - im Unterschied zu fast allen Akteuren lassen Mattis und Pence keine Nachfragen zu. Die Vermutung liegt nahe, dass sie selbst noch keine Antworten geben könnten. Das ist auch der Eindruck, die die Delegationen in den vertraulichen bilateralen Gesprächen mit den US-Vertretern gewinnen. Von den schmalen Festlegungen weichen sie keinen Millimeter ab. Offenbar steckt hinter den Beschwichtigungen von München noch kein durchbuchstabiertes Konzept.

(may-)
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