Interview mit Peer Steinbrück "Müssen den Jungen eine Idee von Europa vermitteln"

Berlin · Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück spricht im Interview mit unserer Redaktion über den Fall Hoeneß, die Rentenpläne seiner Partei und die Euro-Krise.

Peer Steinbrück - ein Wahlkampf voller Pannen
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Sie sind Aufsichtsratsmitglied bei Borussia Dortmund. Haben Sie sich über den Sieg von Bayern München gefreut?

Steinbrück Klar. Allemal. Da bin ich Patriot.

Gehen Sie zum Finale nach Wembley?

Steinbrück So wie es aussieht, ja. Das ist dann auch die einzige Gelegenheit, bei der ich für Schwarz-Gelb bin.

Und wenn Sie Herrn Hoeneß treffen, was würden Sie ihm sagen?

Steinbrück Dass es mir persönlich leid tut, wie seine Leistungen und Verdienste überschattet sind. Aber er hat wahrscheinlich Straftaten begangen und die müssen wie alle andere Fälle in Deutschland auch behandelt werden.

Hoeneß zeigt Reue. Damit beweist er doch, dass das rechtliche Instrument der strafbefreiende Selbstanzeige funktioniert.

Steinbrück Das kommt auf die Schwere der Steuerhinterziehung an. Kleine Verfehlungen sollten nicht kriminalisiert werden, deshalb muss die strafbefreiende Selbstanzeige bei geringfügigen Fällen erhalten bleiben. Oberhalb dieser Grenze, deren Höhe man noch diskutieren muss, kann die Strafbefreiung ausgesetzt werden. Je wirksamer wir Steuerbetrug bekämpfen können, desto weniger kommt es auf die Geständnisbereitschaft an.

Die Schweiz ist offen dafür, dass Steuerabkommen neu zu verhandeln. Ist das jetzt das Resultat Ihrer Drohung mit der Kavallerie?

Steinbrück Es ist jedenfalls ein Indiz dafür, wie schlecht das Steuerabkommen von dieser Bundesregierung verhandelt wurde.

Was sind die Bedingungen der SPD für ein neues Abkommen?

Steinbrück Zunächst muss die Schweiz einem automatischen Informationsaustausch zustimmen, das ist eine grundsätzliche Voraussetzung. Diese Möglichkeit hat die Schweizer Bundesrätin Widmann-Schlumpf erkennen lassen. Da frage ich mich, warum Herr Schäuble das nicht längst verhandelt hat, zumal die USA alle Daten vor ihren Steuerbürgern in der Schweiz erhält. Außerdem müssen die Altfälle anders gehandhabt werden. Man darf nicht nachträglich Steuersünder durch eine pauschale, anonyme Nachzahlung reinwaschen. Zudem müssten anonyme Stiftungskonstruktionen verschwinden.

Warum haben Sie als Bundesfinanzminister nicht längst ein solches Abkommen verhandelt?

Steinbrück Seit der Finanzkrise bin ich energisch mit Vorschlägen gegen Steuerbetrug unterwegs, zunächst gegen viel Widerstand. Ernsthafte Verhandlungen fingen erst im Jahr 2009 an und dann zogen sie sich hin, nach meinem Ausscheiden aus dem Amt.

Sollte die Bundesregierung noch vor der Wahl einen Neuanlauf starten?

Steinbrück Ich bin dafür, unter den genannten Bedingungen ohne schuldhaftes Zögern Verhandlungen mit der Schweiz aufzunehmen, um ein in der Tat neues Abkommen zu erreichen.

Die Grünen werden für ihre harschen Steuererhöhungspläne kritisiert. Wo müssen sie abspecken, um mit der SPD zu koalieren.

Steinbrück Wir unterscheiden uns in manchen Punkten. Unser Spitzensteuersatz greift erst ab einem zu versteuernden Einkommen von 200.000 Euro pro Jahr für Verheiratete, bei Singles ab 100.000. Die Grünen setzen meines Erachtens zu früh an, bei 80.000 für Singles. Die Grünen wollen auch die Beitragsbemessungsgrenze bei der Krankenversicherung auf 5800 Euro setzen. Diesen Sprung halte ich für zu groß. Außerdem sind unsere Pläne für das Ehegattensplitting verschieden. Für uns ist Vertrauensschutz sehr wichtig. Wir wollen für zukünftige Ehen einen Partnerschaftstarif, das ist zeitgemäß und löst die bisher geltende Subventionierung von Ehen mit einem Hochverdiener ab.

Die Grünen argumentieren, gerade die von Ihnen beabsichtigte unterschiedliche Handhabe von Alt- und Neu-Ehen ist rechtlich problematisch.

Steinbrück Aus meiner Erfahrung als Bundesfinanzminister weiß ich, dass alles, was nachträglich belastend wirkt, problematisch ist.

Warum glauben Sie, dass Sie mit Steuererhöhungen Wahlen gewinnen können?

Steinbrück Viele Menschen sehen, was es für eine Drift in der Einkommens- und Vermögensverteilung gegeben hat. Während die Geringverdiener in den letzten 15 Jahren abnehmende oder stagnierende Lohnentwicklungen hatten, gab es in den oberen Etagen der Gesellschaft ein kräftiges Plus. Da ist was aus dem Lot geraten. Es gibt gute Gründe, einige Steuern für einige zu erhöhen: Die Einhaltung der Schuldenbremse, um nachfolgende Generationen nicht zu belasten, mehr Geld für Bildung, Investitionen in die wirtschaftsnahe Infrastruktur, die teilweise verfällt und bessere Unterstützung für die finanziell überforderten Kommunen.

Sie haben mal gesagt, die zu geringe Besteuerung der Reichen sei ein Mythos. Die obersten zehn Prozent der Einkommensbezieher bringen 52 Prozent des Einkommensteueraufkommens, die unteren 20 Prozent nur 0,1 Prozent. Das sei kein verteilungspolitischer Skandal. Gilt diese Analyse heute nicht mehr?

Steinbrück Die Gewichte haben sich verschoben. Die oberen zehn Prozent haben in den vergangenen Jahren immer mehr bekommen, die unteren Lohngruppen dagegen stagnieren. Das sind Zahlen des Statistischen Bundesamtes, nicht der SPD. Wenn Leute wie Herr Kauder von Umverteilung reden, hat er recht. Es hat in den vergangenen Jahren eine Umverteilung von unten nach oben gegeben. Das ist Fakt. Das müssen wir korrigieren.

Gewinnt man Wahlen noch in der Mitte?

Steinbrück Die Mitte ist kein fester Ort, sie bewegt sich mit den gesellschaftlichen Herausforderungen. Man ist dort, wenn man das tut, was mehrheitlich gewollt wird.

Macht die SPD noch Politik für Schröders neue Mitte?

Steinbrück Klar. Wir stehen für die Tüchtigen, die Fleißigen. Jenen, die sagen, dass das Land unter Wert regiert wird und diejenigen, die die schwarz-gelbe Stagnation und das schlechte Regierungshandwerk satt haben. Keiner weiß, in welche Richtung Frau Merkel mit dem Land hinwill. Merkels Bild einer marktkonformen Demokratie lehnen die Bürger ab. Wir wollen eine demokratiekonforme Marktwirtschaft und mehr Wir, weniger Ich.

Die SPD-Linke jubelt, dass sie im Programm so viel umgesetzt habe wie noch nie.

Steinbrück Ach was. Das ist das ewige Gerede, ich sei den Linken auf den Leim gegangen. Das ist doch Unsinn. Es geht um richtig oder falsch. Und mehr Geld für Bildung, einen gesetzlichen Mindestlohn, die gleiche Bezahlung von Frauen und Männern, ein neues Miteinander in der Gesellschaft. Dafür sind maßvolle Steuerhöhungen sachlich geboten, politisch durchsetzbar und ökonomisch vernünftig.

Bei der Vermögensteuer gibt es unabhängig davon Zweifel, dass sie sich verfassungskonform gestalten lässt, ohne die betriebliche Substanz zu besteuern.

Steinbrück Wir haben in der großen Koalition bei der Erbschaftssteuer auch einen Unterschied gemacht zwischen Privatvermögen und Betriebsvermögen. Diese Unterscheidung hat der Bundesfinanzhof beim Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Dieses Urteil hat natürlich Bedeutung.

FDP-Fraktionschef Brüderle sagt, Frankreich sei ökonomisch mit Deutschland nicht mehr auf Augenhöhe. Hat er Recht?

Steinbrück Er hat sich vor allem persönlich gegen den französischen Staatspräsidenten Hollande gerichtet. Das ist ziemlich plump, denn Hollande ist erst seit elf Monaten im Amt. Davor waren zwei konservative Präsidenten über ein Jahrzehnt an der Macht, deren Unterlassungen kritisiert gehören. Ansonsten kann es für uns nur den Wunsch geben, dass in Frankreich alle Reformanstrengungen gelingen.

Was halten Sie von Hollandes Wirtschaftspolitik?

Steinbrück Er hat einen klaren Handwerkskasten definiert, über den er Frankreich nach vorne bringen will. Das fängt mit einem sozialen Dialog an, geht über die Beschäftigung von Jugendlichen bis hin zu Impulsen für eine Re-Industriealisierung und eine höhere Effizienz des starken Staatsapparates in Frankreich. Das kann man nur unterstützen.

Haben Sie die Sorge, dass Frankreich zu sehr abstürzt und Deutschland die Euro-Rettung am Ende allein tragen muss?

Steinbrück Das muss mit viel Kraft verhindert werden.

Sehen Sie die Gefahr, dass der Slogan der Alternative für Deutschland, wonach die Eurokrise nicht mit deutschem Steuerzahlergeld finanziert werden soll, auch bei SPD-Sympathisanten verfängt?

Steinbrück Darüber will ich nicht spekulieren, wir bleiben bei unserer Haltung für den Euro, für ein weiteres Zusammenwachsen Europas, das in unserem Interesse liegt.

Wie sieht Ihre Strategie dagegen aus?

Steinbrück Gegen populistische Rückwärtsgewandtheit helfen nur Aufklärung und eine neue Erzählung von Europa. Wir müssen den Euro vernünftig erklären und vor allem den jungen Leuten eine Idee von Europa vermitteln. Politisch heißt das, wir müssen ein Volk guter Nachbarn sein. Durch die deutsch-französische Freundschaft hat Deutschland in den vergangenen sechs Jahrzehnten enorm profitiert. Und ökonomisch bedeutet dies, dass es uns immer nur so gut geht, wie es unseren Nachbarn gut geht. Das liegt daran, dass wir ein Export getriebenes Wirtschaftsmodell haben. 40 Prozent unserer Wirtschaftsleistungen gewinnen wir im Export. Wenn unsere europäischen Nachbarn sich unsere Produkte nicht mehr leisten können, wirkt sich das unmittelbar auf unsere Wirtschaft und unsere Arbeitsplätze aus.

Welches Sofortprogramm würde ein Kanzler Steinbrück auflegen?

Steinbrück Abschaffung des Betreuungsgeldes und Ausbau der Kinderbetreuung, Hilfen für Existenzgründer, flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn, Entgeltgleichheitsgesetz zur gleichen Bezahlung von Frauen und Männern und in Europa würde ich auf Sofortprogramme zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit drängen.

Sie haben es mal als Ihren größten politischen Fehler in der großen Koalition bezeichnet, dass Sie der Rentengarantie zugestimmt haben. Wollen Sie die auch abschaffen?

Steinbrück Es ist richtig, dass die große Koalition die Renten nicht gekürzt hat.

Bleibt es dabei, dass es keine Minusrunden bei der Rente geben soll?

Steinbrück Voraussetzung für weiter sichere Renten ist, dass die Lohn- und Gehaltssumme von vielen Millionen arbeitenden Menschen in Deutschland weiter steigt. Deswegen muss man alles dafür tun, dass die Beschäftigung hoch ist und dafür gut gezahlt wird. Das ist das Ziel unserer Politik.

Will die SPD die Rente mit 67 durch die Hintertür wieder abschaffen?

Steinbrück Nein. Aber wenn bei Menschen die Knochen vom Arbeiten kaputt sind, dann brauchen wir flexible Übergänge. Eine dieser Maßnahmen ist, dass jemand mit 45 Versicherungsjahren auf dem Buckel mit 63 Jahren abschlagfrei in Rente gehen darf.

Wenn es um Versicherungsjahre und nicht um Beitragsjahre geht, betrifft das doch fast alle Arbeitnehmer, die nicht studiert haben.

Steinbrück Wir werden in Zukunft viel buntere Erwerbsbiographien sehen, für die wir ein passendes Rentensystem Stück für Stück entwickeln müssen. Zunächst müssen wir die Erwerbstätigkeit älterer Arbeitnehmer verlängern, da haben wir schon gute Fortschritte erzielt.

Sie haben ein umfassendes Rentenkonzept. Zu den Pensionslasten, die auf Länder und den Bund zurollen, findet die SPD kein Wort.

Steinbrück Das ist in der Tat eine Aufgabe, die die Politik zu lösen hat, vornehmlich die Länder mit ihren hohen Personalbeständen.

Warum traut sich keiner Pensionsreform?

Steinbrück Das lässt sich nicht mal so en passant lösen.

Bedarf es dafür eine Allparteien-Koalition?

Steinbrück Der Bund hat Personalkosten von rund 14 Prozent, während die Lasten der Länder zwischen 38 und 45 Prozent schwanken. Das erstreckt sich auch auf die Pensionslasten. Das heißt, für die Länder ist das Problem relativ größer, vor allem, wenn die Babyboomer-Generation der 60er und 70er Jahre in Pension geht. Diese Aufgabe macht nicht an Parteigrenzen Halt.

Ihr Wahlkreis ist Mettmann. Sie waren mal NRW-Ministerpräsident. Was ist an Ihnen noch rheinländisch?

Steinbrück Ich wohne im Rheinland und wurde von meiner Frau zum Rheinländer sozialisiert.

Wie funktioniert das?

Steinbrück Indem sie gelegentlich rheinisches Platt spricht. Sie kommt aus Muffendorf, wo sie damit aufgewachsen ist.

Haben sie ein rheinisches Lieblingswort?

Steinbrück (lacht) Driss!

Sie haben mal gesagt, sie wollten mit 70 nicht mehr in der politischen Mühle stecken. Sie sind 67, richtig?

Steinbrück 66! Ich nehme mir an Adenauer ein Beispiel.

Werden Sie auch einen Externen in Ihr Wahlkampfteam holen?

Steinbrück Ja, in jedem Fall eine Externe!

Michael bröcker führte das Gespräch

(fel)
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