Reform verabschiedet "Nein heißt nein" - was das verschärfte Sexualstrafrecht bedeutet

Berlin · Der Bundestag hat einstimmig eine Reform des Sexualstrafrechts verabschiedet. Demnach wird eine sexuelle Handlung auch dann als Vergewaltigung gewertet, wenn sich das Opfer nicht aktiv wehrt. Wir beantworten die wichtigsten Fragen dazu.

 Ein Schild mit der Aufschrift "Nein heißt Nein" bei einer Demonstration in Berlin. Dieser Grundsatz gilt künftig auch im Sexualstrafrecht.

Ein Schild mit der Aufschrift "Nein heißt Nein" bei einer Demonstration in Berlin. Dieser Grundsatz gilt künftig auch im Sexualstrafrecht.

Foto: dpa, meh bsc jai ink

Im Zuge der Neuregelung wird auch der Straftatbestand "Sexuelle Belästigung" eingeführt, der sich gegen Grapscher richtet. Speziell geahndet werden mit der Neuregelung auch sexuelle Straftaten, die aus Gruppen heraus begangen werden.

Über die drei neuen Regelungen wurde separat abgestimmt. Während die Verschärfung des Vergewaltigungsparagrafen einstimmig verabschiedet wurde, gab es bei den Neuregelungen zur sexuellen Belästigung und Taten, die aus Gruppen heraus begangen werden, Gegenstimmen aus der Opposition.

Sexuelle Gewalt soll leichter geahndet werden können. Der inzwischen von allen Fraktionen des Bundestages begrüßte Grundsatz "Nein heißt Nein" bedeutet, dass sich nicht nur derjenige strafbar macht, der Sex mit Gewalt oder Gewaltandrohung erzwingt. Demnächst soll ausreichen, wenn sich der Täter über den "erkennbaren Willen" des Opfers hinwegsetzt. Dann drohen bis zu fünf Jahre Freiheitsstrafe. Neu hinzu kommt der Straftatbestand sexueller Angriffe aus einer Gruppe heraus. In diesem Zusammenhang wird das neue Gesetz auch Folgen für Bestimmungen im Aufenthaltsgesetz haben, weil eine Verurteilung schneller zur Ausweisung führen kann.

Schon lange — mit stark zunehmender Intensität. Die Kontroverse über ein strenges Sexualstrafrecht spalte weniger Parteien als weibliche und männliche Politiker, stellte die Schweriner Justizministerin Uta-Maria Kuder (CDU) schon vor einiger Zeit fest. Als Chefin der Justizministerkonferenz warf sie ihrem Ressortkollegen im Bund, Heiko Maas (SPD), vor, seine Strafandrohung für Sexualdelikte bleibe hinter Maßgaben internationaler Regelungen zurück. Daraufhin bewegte sich Maas im vorigen Jahr auf weitere Verschärfungen zu, verwies aber — wie auch andere Juristen — auf das Problem der Beweisbarkeit.

Sie hat die Diskussion stark emotionalisiert. In Köln und anderen deutschen Städten hatten junge Männer — vorwiegend aus dem arabisch-nordafrikanischen Raum — in der Silvesternacht 2015/2016 massenhaft Frauen belästigt, betatscht und beraubt. Als Konsequenz sind jetzt auch aufdringliches Grapschen und sexuelle Attacken aus der Gruppe als Straftatbestände festgeschrieben — ein "neues und gewichtiges Phänomen", das bislang strafrechtlich nicht voll erfasst war.

Das Bundesjustizministerium legte dem Kabinett im März — also mehrere Wochen nach Köln — einen Gesetzentwurf vor. Vielen Fachleuten, Politikern und auch dem Bundesrat gingen diese Pläne noch nicht weit genug, weil unter anderem das Prinzip "Nein heißt Nein" nicht klar festgeschrieben sei. Die schwarz-rote Koalition einigte sich auf verschiedene Nachbesserungen am Maas-Entwurf, über den der Bundestag am Donnerstag in zweiter und dritter Lesung abstimmte.

Die Fachpolitiker der großen Koalition waren sich am Ende über die Inhalte des Gesetzentwurfs in seiner letzten Fassung einig. So sprach die Rechtsexpertin der CDU/CSU-Fraktion, Elisabeth Winkelmeier-Becker, von einem "Meilenstein für die Wahrung der Rechte der Frauen". Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) nannte die Reform einen "wesentlichen Schritt" zum Schutz von Frauen in Deutschland. Die Reform sei dringend notwendig, "um eklatante Schutzlücken zu schließen". Zu so viel Einigkeit beim "Nein-heißt-Nein"-Prinzip gratulierten sogar die oppositionellen Grünen: Es sei zu begrüßen, "dass die Frauen aus SPD und Union diese Idee übernommen" und Maas "überstimmt" hätten, sagte die Rechtsausschuss-Vorsitzende Renate Künast der dpa in Berlin.

Im Streit um das Model Gina-Lisa Lohfink und die juristischen Folgen einer Partynacht vor vier Jahren geht es unter anderem darum, was eine Vergewaltigung ist und was nicht. Mit der 29-Jährigen hat die ohnehin hitzige Diskussion ein Gesicht — andere sagen indes: Das Beispiel passt nicht. Auch hier, meinen Frauenrechtlerinnen, habe zu gelten: Eine Frau muss nicht schreien oder sich körperlich wehren, sexuelle Handlungen gegen ihren Willen sind trotzdem Unrecht. Einen nicht unumstrittenen eigenen Akzent setzte Bundesfrauenministerin Manuela Schwesig (SPD), als sie Lohfinks noch ungeklärten Fall forsch in die juristische Debatte über das Sexualstrafrecht einsortierte.

Union und SPD schalteten zwar, auch unter dem Druck der öffentlichen Empörung über die Silvester-Delikte, den Turbo ein. Der Bundesrat befasst sich mit dem Gesetz aber nicht schon am Freitag vor der Sommerpause, sondern erst danach — nämlich am 23. September. Der CSU-Rechtsexperte Alexander Hoffmann ärgerte sich: "Es ist unverantwortlich, dass unser Koalitionspartner bei so einem wichtigen Thema noch immer auf der Bremse steht, obwohl wir uns doch einig sind."

Die Opferschutzorganisation Weißer Ring erwartet durch die Verschärfung eine abschreckende Wirkung. "Die Reform ist ein Signal und eine Warnung an Männer: So geht es nicht", sagte die Bundesvorsitzende Roswitha Müller-Piepenkötter der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Jetzt ist klar, dass Busengrapschen natürlich eine sexuelle Belästigung und ein Straftatbestand ist — und nicht nur eine Beleidigung."

Unbehagen wird in den Feuilletons großer Zeitungen formuliert. "Die Absicht ist gut, die Wirkung wird verheerend sein", schrieb die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung". Eine "Zeit"-Autorin sieht gar eine Katastrophe für die Geschlechterverhältnisse herannahen: "Was leidenschaftliche Liebesnacht und was Vergewaltigung war, definiert die Frau künftig am Tag danach." Nach Auffassung der Sexualstrafrechtsprofessorin Monika Frommel ist die Regelung der Gruppenstraftaten "offenkundig verfassungswidrig". So sollten in diesem Fall auch jene bestraft werden können, die zwar Teil der Gruppe, jedoch an der Tat nicht beteiligt gewesen seien, sagte die emeritierte Direktorin des Kieler Universitätsinstituts für Sanktionsrecht und Kriminologie dem Deutschlandradio Kultur.

(das/dpa/KNA)
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