Kurz vor Untertauchen der Zwickauer Zelle Verübten Neonazis weiteren Anschlag?

Berlin · Ein weiterer Anschlagsversuch könnte auf das Konto der Zwickauer Terrorgruppe gehen: Laut einem Medienbericht hat es wenige Wochen vor dem Untertauchen der Neonazi-Zelle einen weiteren Anschlagsversuch auf Ausländer in Thüringen gegeben. Derweil wurde bekannt, dass die Täter offenbar mehrere Unterstützer hatten.

Ermittler entdeckten am 18. November 1997 einen Sprengsatz in einem Haus in Stadtroda bei Jena, wie der MDR Thüringen am Sonntag unter Berufung auf die Jenaer Polizei berichtete. In dem Gebäude waren demnach Arbeiter aus Portugal untergebracht.

Der Sprengsatz lag dem Bericht zufolge neben dem Kessel einer Gasheizung. Lediglich eine Störung am Zünder habe eine Explosion verhindert. Ein Sprecher des Thüringer Landeskriminalamtes (LKA) erklärte auf Anfrage des MDR, der Vorgang sei im Amt "nicht bekannt". Die Staatsanwaltschaft Gera wollte Ermittlungen zu dem Fall weder bestätigen noch dementieren.

Die drei Neonazis Uwe B., Uwe M. und Beate Z. waren im Januar 1998 untergetaucht, nachdem die Polizei in Jena eine Bombenwerkstatt der Rechtsextremen ausgehoben hatte. Zwischen 1996 und 1998 wurden laut MDR in Jena verschiedene Sprengsätze und Bombenattrappen gefunden. Bekannt wurden demnach Funde von mit Hakenkreuzen versehenen Sprengsätzen oder Attrappen an der Autobahn, im Stadion, auf einem Friedhof und vor dem Theater. Außerdem erhielten die Polizei, die Stadtverwaltung und eine Zeitungsredaktion ebenfalls mit Hakenkreuzen versehene Briefbombenattrappen.

Neues Rätsel um Tod der Extremisten

Mehr als zwei Wochen nach dem Tod der rechtsextremen Terroristen Uwe M. und Uwe B. geben die Umstände Rätsel auf. Wie das Onlinemagazin "stern.de" am Sonntag berichtet, haben die Nachbarn des Eisenacher Neubaugebiets, in dem das Wohnmobil der beiden Männer bei ihrem Tod stand, keine Schüsse gehört.

Nach der bisher bekannten offiziellen Darstellung hatten M. und B. nach einem Überfall auf eine Sparkasse in Eisenach das Wohnmobil gegen 11.30 Uhr angezündet und sich erschossen. Zwei Polizeibeamte hätten sich zuvor dem Wohnmobil genähert und zwei Schüsse gehört. Während sie in Deckung auf Verstärkung warteten, ging das Wohnmobil in Flammen auf. Nach dem Löschen habe die Polizei die beiden Männer mit tödlichen Schussverletzungen aufgefunden.

Friedrich: Sicherheitsbehörden haben kläglich versagt

Als Konsequenz aus der Mordserie der Thüringer Neonazis strebt Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich mehr Befugnisse für den Bund an. Künftig soll der Generalbundesanwalt sicherstellen, dass Verbrechensserien nicht übersehen werden. "Es sieht so aus, als ob einige Behörden kläglich versagt haben", sagte CSU-Minister Friedrich.

Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnte eine bessere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden an. Im Zentrum der Kritik stehen die Inlandsgeheimdienste von Bund und Ländern, die nach Medienberichten vom Wochenende mehr V-Männer im Umfeld des Neonazi-Trios hatten als bekannt war.

Die Zwickauer Neonazi-Zelle hat sich zudem offenbar auf ein größeres Helfer-Netzwerk stützen können als bislang bekannt. Der Thüringer Verfassungsschutz geht nach Informationen des "Spiegel" und des "Focus" mittlerweile von etwa 20 Unterstützern aus, die dem Trio im Untergrund halfen.

Bundesinnenminister Peter Friedrich äußerte die Einschätzung, dass die rechtsextremen Strukturen "doch größer sind als wir uns das vorgestellt haben und damit noch gefährlicher". Umso dringlicher müssten die Sicherheitsbehörden die Frage beantworten, warum die Zelle jahrelang unentdeckt blieb. "Das macht sehr unruhig", sagte er. Die Bundesanwaltschaft führt derzeit offiziell insgesamt sechs Menschen als Beschuldigte.

Demonstrationen gegen Rechtsextremismus

In mehreren deutschen Städten gingen am Wochenende Hunderte Menschen auf die Straße, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren und ihre Anteilnahme mit den Mordopfern zu bekunden. Bundestagspräsident Norbert Lammert kündigte eine gemeinsame Gedenkfeier von Bundestag, Bundespräsidialamt und Bundesregierung für die Opfer an.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und der SPD-Innenpolitiker Thomas Oppermann regten außerdem eine finanzielle Entschädigung der Angehörigen der Neonazi-Mordopfer an.

Friedrich: Mehr Kompetenz für Generalbundesanwalt

Der eine oder andere aus den Sicherheitsbehörden werde sich "einer peinlichen Befragung unterziehen müssen", sagte Friedrich am Samstag am Rande einer Veranstaltung der Jungen Union in Bayern. "Wir werden sehen, was da auch an Strukturen falsch gelaufen ist und Konsequenzen ziehen." Im "Spiegel" skizzierte der Minister seine Pläne: "Ich kann mir vorstellen, die Kompetenzen des Generalbundesanwalts zu stärken, wenn die Ermittlungen bei einem Fall im Bereich schwerer Kriminalität die Landesgrenzen überschreiten."

Dadurch solle verhindert werden, dass die Staatsanwaltschaften der Länder den größeren Zusammenhang einer Verbrechensserie übersähen. Zudem forderte er Änderungen bei der Speicherung von Daten über Verdächtige. Die Speicherdauer des Verfassungsschutzes von fünf Jahren sei zu kurz. Auch solle bei Speicherfristen nicht mehr zwischen gewalttätigen und anderen Extremisten unterschieden werden.

Laut der Zeitung "Die Welt" soll der Verfassungsschutz rechtsextreme Kameradschaften einer generellen Prüfung unterziehen. Eine stärkere Erfassung und Bewertung dieser Szene sei wichtig, weil sich "das neonazistische Spektrum mehr und mehr zur treibenden Kraft des Rechtsextremismus in Deutschland" entwickele, zitierte die Zeitung aus einem Papier des Innenministeriums.

Verfassungschutz gerät in Kritik

Die Bundesregierung hatte am Freitag die Einrichtung eines Zentralregisters und eines gemeinsamen Abwehrzentrums der Ermittlungsbehörden und der Geheimdienste angekündigt, um militante Rechtsextremisten zu bekämpfen. Merkel mahnte eine bessere Kooperation an. Dabei müsse zwar die Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten beachtet werden. "Aber informieren müssen sich die Behörden natürlich untereinander", sagte sie.

Besonders der Verfassungsschutz war im Zusammenhang mit der Zwickauer Zelle in die Kritik geraten, der zehn Morde an Migranten und einer Polizistin zur Last gelegt werden. Der rechtsextremistische Hintergrund der Mordserie zwischen 2000 und 2007 kam erst ans Licht, als Anfang November zwei Mitglieder der Zelle Selbstmord begingen und später in ihrer Wohnung Tatwaffen entdeckt wurden. Ein mutmaßliches Mitglied und ein mutmaßlicher Komplize sitzen in Untersuchungshaft. Die Ermittler haben weitere Verdächtige im Visier.

MAD soll von Aufenthaltsort des Trios gewusst haben

Laut "Spiegel" führte der Thüringer Verfassungsschutz Ende der 1990er Jahre mindestens drei V-Leute im Umfeld der Neonazi-Gruppe. Dennoch sei es ihm nicht gelungen, das untergetauchte Trio aufzuspüren. Der Thüringer Verfassungsschutz gehe von etwa 20 Unterstützern aus, die den dreien im Untergrund geholfen hätten, berichteten "Spiegel" und "Focus".

"Focus" zufolge wurde der Militärische Abschirmdienst (MAD)
von einem V-Mann des Militärgeheimdienstes kurz nach dem Verschwinden des Trios über dessen Aufenthaltsort informiert.
Die Information sei zwar von der MAD-Stelle in Leipzig an die Kölner Zentrale gemeldet worden, dort aber liegengeblieben, zitierte das Magazin aus Aussagen des MAD-Präsidenten Karl-Heinz Brüsselbach im Parlamentarischen Kontroll-Gremium am vergangenen Dienstag. Die ARD berichtete, die MAD-Ermittlungen könnten im Zusammenhang mit dem Sprengstoff stehen, den das Trio zum Bau von Rohrbomben eingesetzt hatte. Die Explosivstoffe könnten aus Bundeswehr-Beständen stammen.

"Wenn es ein Unterstützernetzwerk in der Bundeswehr gegeben hat, dann ist der Fall noch viel beängstigender als bisher angenommen", sagte der Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour Reuters am Sonntag. Das Verteidigungsministerium müsse darlegen, was der MAD gewusst habe, was mit den Erkenntnissen geschehen und woher der Sprengstoff gekommen sei.

Nach Angaben von Generalbundesanwalt Harald Range wurde auch eine zweite DVD gefunden. Es sei aber unklar, ob es sich um eine Kopie der bekannten DVD handele oder um den zweiten Teil des Bekenner-Films, sagte Range der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

(REU/AFP)
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