Steuern Neuer Anlauf gegen die kalte Progression

Berlin · Eine bemerkenswerte Konstellation: SPD sowie Arbeitgeber und Arbeitnehmer in der Union wollen die Kalte Progression abbauen. Kanzlerin Merkel wehrt sich dagegen. Hat sie auch dieses Mal Erfolg?

Schon früh im Jahr brachte SPD-Chef Sigmar Gabriel das Thema Kalte Progression ins Gespräch. Es wurde wohl nicht richtig ernst genommen, weil die SPD innerhalb des ersten halben Regierungsjahrs vor allem damit beschäftigt war, ihre Prestigeprojekte in der Sozialpolitik durchzubringen: Rentenreform und Mindestlohn. In der Union fragte man sich schon, ob der sozialdemokratische Koalitionspartner für die restliche Zeit der Legislaturperiode sein Pulver verschossen hat.

Langsam lässt sich aber doch eine Strategie erkennen: Zuerst wurde die eigene Klientel bedient. Jetzt gilt es, wie SPD-Chef Sigmar Gabriel es sagte, das wirtschaftspolitische Profil zu schärfen. Die SPD dürfe sich nicht damit begnügen, nur für Soziales im Staat zuständig zu sein. Es gehe auch um die wirtschaftliche Zukunft des Landes und die Wahrung des Wohlstands der Bürger, betonen Sozialdemokraten. Ähnliches hatte man vor allem von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gehört.

Letztlich geht es für die SPD darum, bei Umfragen endlich zuzulegen. Bisher ist nicht erkennbar, dass dies mit den Sozialprojekten allein zu bewerkstelligen ist. "Um aus dem Ghetto der 25 Prozent zu kommen, braucht es neue und erweiterte Angebote für die arbeitende Mitte, zum Beispiel in der Steuerpolitik", sagte zuletzt der Staatssekretär im Arbeitsministerium, Jörg Asmussen, der "Rheinischen Post" (Samstag). Der Sozialdemokrat Asmussen war vor seiner Zeit als EZB-Direktor Staatssekretär im Finanzministerium, auch unter Wolfgang Schäuble (CDU).

Die SPD will wieder in die Mitte der Wählerschaft vorstoßen, will beim Mittelstand Boden gut machen. Da käme ein Abbau der Kalten Progression gerade recht, zumal das Thema der SPD auch die Chance böte, das Image der Steuererhöhungspartei abzustreifen. Merkel versuchte das Dauerthema noch vor ihrem Urlaub auszutreten: Es gebe keine finanziellen Spielräume. Doch dieses Mal scheint dies nicht so einfach zu sein, wie etwa in der vergangenen Legislaturperiode unter Schwarz-Gelb.

Denn inzwischen werden ähnliche Forderungen vom Arbeitgeber- und auch Arbeitnehmerflügel der Union aufgegriffen. Das Thema soll auf dem CDU-Parteitag im Dezember auf die Tagesordnung. Im "Spiegel" meldeten sich am Sonntag auch CDU-Ministerpräsidenten zu Wort, die sich eine Entlastung mittlerer Einkommen auf diesem Wege gut vorstellen können.
Allerdings beharren sie mit dem Argument der Schuldenbremse darauf, dass ihre Haushalte dadurch nicht belastet werden.

Das Thema kommt bei Arbeitgebern und Gewerkschaften gut an, wenn auch mit unterschiedlichen Begründungen. "Die Facharbeiter und Ingenieure, die durch Kreativität, Einsatz und Engagement unsere Industrie so erfolgreich machen, trifft die Kalte Progression besonders", sagte der einflussreiche Metallarbeitgeber-Präsident Rainer Dulger und forderte von der Bundesregierung den Abbau der "heimlichen Steuererhöhung".

Kassenwart Schäuble gibt sich kooperationswillig: Wenn der Haushalt dies zulasse und die Koalitionspartner sich einig seien, stehe einer Entlastung nichts im Wege. Unter Schwarz-Gelb scheiterte dies letztlich an SPD und Grünen im Bundesrat. Doch die FDP unterstellt Schäuble bis heute, der eigentliche Bremser gewesen zu sein.

In einem mit bitterem Unterton verfassten Brief schrieb der neue FDP-Chef Christian Lindner an Schäuble: "Nicht nur die FDP, auch die CDU hat die Abschaffung der "kalten Progression" schon bei zwei Wahlen versprochen. Dennoch haben Sie so lange gemauert, bis unser Gesetzentwurf am rot-grünen Widerstand im Bundesrat gescheitert ist."

Strittig ist die Finanzierung der Steuerentlastung. Einig scheinen sich alle darin, dass es keine neue Schulden geben darf. Und Steuererhöhungen zur Gegenfinanzierung "wird es mit uns nicht geben", stellte CDU-Generalsekretär Peter Tauber im "Tagesspiegel" klar. In der SPD setzt man auf Subventionsabbau und vor allem auf die bisher entgangenen Milliarden durch Steuerflucht und Steuervermeidung. "Jetzt muss Finanzminister Wolfgang Schäuble liefern", forderte SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel im "Focus".

Metallarbeitgeber-Präsident Dulger rechnet mit Kosten von knapp vier Milliarden Euro und will die aus den laufenden Haushalten nehmen: "Unsere staatlichen Haushalte erleben gerade ein goldenes Zeitalter. Wer da ernsthaft behauptet, für die Abschaffung der Kalten Progression wäre kein Geld da, der täuscht die Menschen." Er erbittet sich "von der Koalition kein Sommertheater, sondern eine schnelle politische Entscheidung".

(dpa)
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