Nollendorfplatz Im Kiez von Volker Beck

Berlin · Der Berliner Ortsteil Schöneberg, wo der Politiker Volker Beck mit Drogen erwischt wurde, ist bürgerliches Wohnviertel, schwule Partyszene und Straßenstrich in einem. Ein Ortsbesuch.

 Der Nollendorfplatz in Berlin.

Der Nollendorfplatz in Berlin.

Foto: Drebes, Jan

In der Eckkneipe "Voyage" ist an diesem Abend nichts los. Ein Stammgast, nennen wir ihn Norbert, sitzt am Tresen, der Wirt steht dahinter. Die übrigen Plätze in Wohnzimmeratmosphäre sind leer. Über Lautsprecher ist der 70er-Hit "Indian Reservation" von Paul Revere & The Raiders zu hören. Die beiden Männer in der Kneipe sind jenseits der 50, sie kennen ihren Kiez genau. Sie wissen, dass Berlin-Schöneberg bürgerliches Wohnviertel mit Spielplätzen, Schwulenszene und Straßenstrich in einem ist. Es ist die Gegend um den Nollendorfplatz, wo der Grünen-Abgeordnete Volker Beck am Dienstagabend mit 0,6 Gramm einer "betäubungsmittelsuspekten Substanz" von der Polizei aufgegriffen wurde. Bereits am Mittwoch trat er von allen politischen Ämtern zurück, nur sein Bundestagsmandat behält er.

"Früher gab es mehr Ecstasy und Heroin"

"Drogen gab es hier schon immer, das ist nichts Ungewöhnliches", sagt der Wirt im "Voyage". Er trägt einen schwarzen Lederhut weit zurück auf den Hinterkopf geschoben. Und bisher sei ja nicht erwiesen, dass Beck mit Crystal Meth erwischt worden sei. "Früher gab es mehr Ecstasy und Heroin, heute dieses Zeug", sagt Norbert. Schöneberg sei heute jedenfalls weit entfernt von den wilden 70er und 80er Jahren, meinen die Männer. Damals habe man überall Junkies gesehen.

Der Bezirk grenzt im Westen an Charlottenburg, im Osten an Kreuzberg, dahinter kommt Neukölln. Der zentrale U-Bahnhof Nollendorfplatz wird nachts in den Regenbogenfarben als Symbol der homosexuellen Bewegung beleuchtet. Nördlich davon beginnt der Straßenstrich der Kurfürstenstraße. Vor allem junge Frauen aus Rumänien warten dort auf Freier. Ab dem frühen Abend fahren Autos mit teils auswärtigen Kennzeichen die Straße auf und ab. Weiter nördlich beginnt das noble Botschaftsviertel und schließt direkt an Berlins grüne Lunge, den Tiergarten, an.

"Besonders merkwürdig"

"Früher kannten wir jede Prostituierte", erinnert sich Norbert. Die seien zurückhaltend gewesen, hätten sich auch nicht so halbnackt wie heute auf die Straße gestellt. Mittlerweile mache er sich Sorgen um die Kinder, die im direkten Umfeld des Straßenstrichs aufwachsen, sagt der Mann. Und dass ausgerechnet ein Parlamentarier offenbar zu Drogen wie Crystal Meth greifen müsse, mache ihn fassungslos. Andererseits: Volker Beck sei ja auch nur ein Mensch und damit fehlbar. Beck wohne in der Gegend, vielleicht sei er ja in dem Haus auch gar nicht bei einem Dealer, sondern in einer anderen Wohnung gewesen, mutmaßt der Wirt. Zumindest sei das alles kurz vor den Landtagswahlen doch besonders merkwürdig.

1929 erschien der Roman "Emil und die Detektive" von Erich Kästner. Kästner ließ seine Figur Emil Tischbein auch rund um den Nollendorfplatz nach dem Dieb mit dem Namen Grundeis fahnden. In dem Buch gibt es ein Hotel mit der Adresse Nollendorfplatz, Ecke Motzstraße. Heute sind dort zwischen Galerien, Frisörgeschäften und Piercingboutiquen viele Bars oder Geschäfte für Fetisch-Zubehör. Lack- und Lederkostüme, Sexspielzeug. Es ist friedlich. Am nahegelegenen Winterfeldtplatz wird mittwochs und samstags einer der beliebtesten Wochenmärkte Berlins aufgebaut, auf den Gehwegen sind fast so viele Eltern mit Kinderwagen zu sehen wie im Prenzlauer Berg.

Crystal Meth unterdrückt Müdigkeit

Aber die Gegend hat ein Drogenproblem, das bestreitet rund um den Nollendorfplatz niemand. In den Clubs und Bars gibt es Rauschmittel für jeden, der welche haben will. Crystal Meth heißt häufig einfach nur "Tina", wird in Foren mit einem "T" verklausuliert. Es gibt Schwulen-Sex-Partys, die speziell unter dem Einfluss dieser Droge stattfinden. Crystal Meth unterdrückt Müdigkeit, Hunger und Durst, steigert die körperliche Leistungsfähigkeit und das sexuelle Verlangen, sagen Experten. Wohl auch deshalb soll Crystal Meth in der Berliner Partyszene beliebt sein. Und wohl auch deshalb observierte die Polizei laut "Bild" eine Drogenwohnung in direkter Nachbarschaft zum Nollendorfplatz.

Eine offene Dealerszene gibt es in Schöneberg aber nicht. Anders am Görlitzer Park, der Hasenheide oder dem Kottbusser Tor in Kreuzberg: Männer stehen auf der Straße und zischen einem beim Vorbeigehen zu, ob man Gras, Koks oder andere Drogen kaufen möchte.

Nachts kommen die Prostituierten

Trotzdem: Ein Algerier, der seit zwei Jahren von montags bis freitags nachts als Sicherheitsmann in einer Kaiser's-Filiale am Nollendorfplatz arbeitet, findet nichts Gutes an der Entwicklung. Der Supermarkt hat bis auf sonntags durchgehend geöffnet. "Nachts kommen viele Prostituierte, Junkies und immer wieder auch gewaltbereite Zuhälter hier rein", sagt der Mann. Das sei zuletzt deutlich schlimmer geworden. Und die Polizei lasse sich oft mehr als eine halbe Stunde Zeit, bis sie ihn unterstützt. Er zeigt auf eine Narbe am Hinterkopf, die er sonst mit einer schwarzen Baseballkappe verdeckt. Ein Kerl habe ihm da mal eine Bierflasche draufgeschlagen, sagt der Algerier und zuckt mit den Schultern.

Dass es so brutal zugehe im Kiez, wollen zwei Gäste in der Schwulen-bar "Hafen" an der Motzstraße nicht bestätigen. In ihren Augen bildenmittlerweile Taschendiebe das weitaus größere Problem. Junge Männer hätten es mit dem Antanztrick vor allem auf schwule Touristen abgesehen. "Auswärtige fühlen sich von den Typen geschmeichelt - Zack, ist das Geld weg", sagt ein Gast. Trotz aller Verdächtigungen: Volker Beck findet er sympathisch - geht es aber um Drogen, wird er schmallippig.

(RP)
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