Bundestagspräsident Norbert Lammert — Abschied mit Hintertürchen

Berlin · Der hochgeschätzte CDU-Politiker und Bundestagspräsident Norbert Lammert will 2017 nicht mehr antreten. Das könnte ihn zum Überraschungssieger der Bundespräsidentenwahl machen.

 Norbert Lammert will 2017 nicht erneut für den Bundestag kandidieren.

Norbert Lammert will 2017 nicht erneut für den Bundestag kandidieren.

Foto: dpa, mkx nic

Der "Abschied aus der aktiven Politik" falle ihm nicht leicht, hatte der 67-jährige Parlamentspräsident Norbert Lammert erläutert, als er am Montagabend seinen CDU-Landesverband Nordrhein-Westfalen darüber unterrichtete, nach 37 Jahren im Bundestag nicht erneut in seinem Bochumer Wahlkreis anzutreten. Damit habe sie nicht gerechnet, sagte CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. Und "ein bisschen überrascht" zeigte sich auch Michael Grosse-Brömer, der Fraktionsgeschäftsführer der Union. Aber er tat sich zugleich schwer, daraus einen völligen Verzicht Lammerts auf eine Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten herauszulesen.

Weil sich die drei Parteichefs Angela Merkel (CDU), Sigmar Gabriel (SPD) und Horst Seehofer (CSU) verabredet haben, einen möglichst überparteilichen Kandidaten zu suchen, war unter möglichen Bewerbern auch Lammert wiederholt genannt worden. Vor allem seine präsidiale, auf Minderheitenrechte und Ansehen aller Abgeordneten achtende Amtsführung hatte ihn dafür prädestiniert. Auch bei den Einheitsfeiern in Dresden hatte er eine geschliffene Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus geliefert, die als weitere Bewerbungsrede empfunden werden konnte.

Nachdrücklich trat Grosse-Brömer Vermutungen entgegen, Lammert könne entnervt den Abschied gewählt haben. Er habe "keine Anzeichen von Frustration" bei Lammert wahrgenommen. Lammert finde die richtigen Worte in schwierigen Situationen und genieße auch in der Unionsfraktion ein "ganz hohes Ansehen". Lammert habe als Bundestagspräsident "dem Parlamentarismus gut getan", sagte FDP-Chef Christian Lindner unserer Redaktion. "Ich bin sicher, dass er auch künftig eine Rolle haben wird", fügte er vielsagend hinzu.

In der Koalition wird für möglich gehalten, dass sich die drei Parteichefs doch noch nicht bis Ende des Monats auf eine Person für die Präsidentenwahl am 12. Februar verständigen. Wechselweise wollen die Parteien Signale als Vorfestlegungen für Koalitionen vermeiden. "Norbert Lammert hat sich als Bundestagspräsident Verdienste erworben — einem aktiven CDU-Politiker könnten wir Grüne aber keine Unterstützung anbieten", sagt Parteichefin Simone Peter unserer Redaktion. Sie bevorzuge eine Frau, die für Weltoffenheit und Zusammenhalt unserer Gesellschaft stehe, und wolle in diesem Sinne das Gewicht der Grünen in der Bundesversammlung einsetzen.

Daraus lässt sich auch die Erwartung herauslesen, dass das Nominierungstrio vielleicht doch keinen gemeinsamen Kandidaten findet und im ersten Wahlgang eine ganze Reihe geschätzter Persönlichkeiten ins Rennen geschickt werden. Für die SPD wird in diesem Zusammenhang unter anderem Außenminister Frank-Walter Steinmeier genannt. Wegen ihres großen, aber nicht allein reichenden Stimmenvorsprungs erwartet die Union, dass Merkel einen CDU-kompatiblen Kandidaten auswählt.

Aber was geschieht, wenn keiner dieser Bewerber auch im zweiten Wahlgang die absolute Mehrheit erzielt? Zieht die Union ihren Kandidaten mit den bis dahin meisten Stimmen zurück? Oder kommt dann zum Tragen, was NRW-Vize-Regierungschefin Sylvia Löhrmann von den Grünen auf die Formel bringt, dass "ein breites politisches Bündnis" hinter dem neuen Präsidenten stehen möge, um "größtmögliche Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft" zu finden? Die Löhrmann-Definition: "In Zeiten wie diesen, die von großer Unsicherheit geprägt sind, braucht es eine Persönlichkeit an der Spitze des Staates, die politisch erfahren ist, Orientierung gibt, integrativ und verbindend wirken kann."

Lammert-Anhängern fällt dazu nur einer ein, der mit seinem angekündigten Rückzug ein noch stärkeres Signal weg von der CDU, hin zur neutralen Persönlichkeit gegeben habe. Würden die Karten vor dem dritten Wahlgang neu gemischt und Lammert dann gefragt, müsse dieser auch neu entscheiden. Er selbst bleibt auf Fragen nach einer Kandidatur einstweilen vage. Seiner Erklärung sei "nichts hinzuzufügen".

(mar, may-)
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