Bundestagspräsident lässt Vorwürfe prüfen Norbert Lammert will seine Doktorarbeit prüfen lassen

Berlin · Ein anonymer Plagiatsjäger beschuldigt den CDU-Politiker Norbert Lammert, bei seiner Doktorarbeit getäuscht zu haben. Der Bundestagspräsident will die Dissertation nun prüfen lassen.

 Norbert Lammert will die Vorwürfe prüfen lassen.

Norbert Lammert will die Vorwürfe prüfen lassen.

Foto: dapd, Tobias Schaertl

Plagiatsvorwürfe gegen Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) haben am Montagabend die CDU-Führung aus ihrem Sommerurlaub hochschrecken lassen. Der Parlamentschef aus Bochum soll laut einem Internet-Aktivisten mit dem Pseudonym "Robert Schmidt" auf 42 Seiten seiner 1975 an der Uni Bochum vorgelegten Dissertation unsauber zitiert und teilweise Textstellen anderer Autoren ohne Quellenangabe übernommen haben. Letzteres wird in der Wissenschaft als Plagiat bezeichnet.

Der CDU-Politiker verteidigt sich gegen den Plagiatsvorwurf. Der Zeitung "Die Welt" sagte er: "Ich habe meine Doktorarbeit nach bestem Wissen und Gewissen angefertigt." Allerdings will er die Arbeit untersuchen lassen: "Ich habe die Universität Bochum unverzüglich darum gebeten, die Vorwürfe zu prüfen."

Nachdem in dieser Legislaturperiode bereits die Bundesminister Karl-Theodor zu Guttenberg (Verteidigung, CSU) und Annette Schavan (Bildung, CDU) nach Plagiatsvorwürfen zurückgetreten sind, ist die Sorge in der Union groß. Sollte sich im heraufziehenden Wahlkampf ausgerechnet der formal zweite Mann im Staat und zugleich Spitzenkandidat der NRW-CDU für den Bundestagswahlkampf mit seiner Uni juristisch auseinandersetzen müssen, wäre der größte Landesverband der Union gehemmt. Lammert, der in seiner Partei wegen seiner oft moralischen Vorträge "Sankt Norbert" genannt wird, muss nun Aufklärung in eigener Sache leisten. Im Internet-Dienst "Twitter" wird der Fall bereits munter diskutiert. Ein Autor des Magazins "Stern" schreibt: "Hochmut kommt vor dem Fall."

Nach "bestem Wissen und Gewissen"

Der Internet-Aktivist Schmidt, der seinen wirklichen Namen nicht angeben will, hatte auch schon die Dissertation von Annette Schavan prüfen lassen und als Plagiat gebrandmarkt. Schmidt gehörte zu den Mitbegründern von "VroniPlag", einer Gruppe von Plagiateforschern, die sich zunächst der Dissertation der Tochter von Edmund Stoiber, Veronica Saß, widmeten. Später waren es die Recherchen von "Schmidt", die Schavan ihr Amt kosteten. Die Philosophische Fakultät an der Universität Düsseldorf entzog der damaligen Bildungsministerin nach einer eingehenden Prüfung schließlich den Doktortitel. Annette Schavan trat zurück.

Sowohl Guttenberg als auch Schavan beteuerten so wie jetzt Lammert, dass sie ihre Arbeit nach "bestem Wissen und Gewissen" angefertigt hätten. Der anonyme Autor der Plagiatsvorwürfe hat auf einer Internetseite (http://lammertplag.wordpress.com) diverse kritische Fundstellen der Arbeit mit dem Titel "Lokale Organisationsstrukturen innerparteilicher Willensbildung. Fallstudie am Beispiel eines CDU-Kreisverbandes im Ruhrgebiet" veröffentlicht.

Lammert hatte die 224 Seiten lange Arbeit ein Jahr nach seiner Promotion an der Hochschule von der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgeben lassen. Damals war Lammert bereits im Bochumer Stadtrat für die CDU aktiv. Der Internet-Plagiatsjäger Schmidt erklärte gegenüber der "Welt", bei den kritischen Textstellen handele es sich vorwiegend, aber nicht ausschließlich um Plagiate. Unter anderem soll Lammert Auszüge aus dem Sammelband des Politologen Wolfgang Jäger als seine Gedanken deklariert haben.

Auch kuriose Textstellen finden sich angeblich. So soll Lammert auf das Buch "Zur Rolle und Funktion der Parteien" von W. Gagel verwiesen haben, dieses Buch gebe es so gar nicht. Ein anderes Mal habe Lammert Ausführungen des Politikwissenschaftlers Hans-Otto Mühleisen inklusive der Fehler übernommen. Der Plagiatejäger zitiert außerdem eine Fußnote von Lammert, in der er auf das Werk "Einführung zur englischen Ausgabe von Robert Michels' Soziologie des Parteiwesens" von Seymour Martin Lipset verweise. Dieses Buch gebe es aber so nicht, schreibt "Schmidt". Lammert habe sich offenbar den deutschen Titel in Anlehnung an eine Fußnote des Sozialforschers Frieder Naschold ausgedacht. "Das Werk, das Naschold meint, aber nicht nennt, heißt demnach "Michels' theory of political parties; Introduction to Collier Books edition of Political parties".

Schmidt gilt im Netz als leidenschaftlicher Plagiate-Aktivist, der auf eigene Faust und angeblich ohne politische Ambitionen Dissertationen überprüft. In der nordrhein-westfälischen CDU wollte sich am Montag niemand zu den Vorwürfen äußern. Auch die Hochschule war nicht zu erreichen. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Bochumer Universität wie bei anderen Verfahren üblich die Arbeit sorgsam überprüfen wird. Ein Urteil vor der Bundestagswahl ist daher nicht zu erwarten.

Eigentlich wollte Norbert Lammert während seines Sommerurlaubs am Bodensee, zu dem er vergangenes Wochenende aufgebrochen ist, das Buch "Geschichte der Deutschen" von dem renommierten Historiker Heinrich August Winkler lesen. Nun dürfte sich der CDU-Politiker zunächst mit seiner eigenen akademischen Geschichte befassen — und seine Doktorarbeit noch einmal zur Hand nehmen.

(brö)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort