Interview mit Norbert Walter-Borjans "Wir wollen keinen ruinösen Wettbewerb"

Düsseldorf · Nordrhein-Westfalens Finanzminister lehnt mehr Steuerautonomie für die Länder ab: Sie sollen auch nach der Finanzreform keine eigenen Steuersätze einführen. Und auch künftig sollen Defizitsünder unter den Ländern nicht bestraft werden können.

 Norbert Walter-Borjans ist Finanzminister in NRW.

Norbert Walter-Borjans ist Finanzminister in NRW.

Foto: dpa

Warum wird der Solidaritätszuschlag auch nach 2019 noch benötigt, obwohl doch der Solidarpakt für die neuen Länder dann ausläuft?

Walter-Borjans Wenn Sie auf der einen Seite Länder etwa in Ostdeutschland haben, die auch nach 2019 auf besondere Hilfen angewiesen sind, und auf der anderen Seite Länder wie Bayern und Hessen, die ihre Zahlungen in die gemeinsame Kasse als zu hoch empfinden, dann muss es eine Lösung geben. Die kann nur darin liegen, dass man das Steueraufkommen aus dem Solidaritätszuschlag für Bund und Länder erhält. Auch der Bund könnte seine "schwarze Null" nicht halten ohne den "Soli".

Aber Bund und Länder hätten bis 2020 genügend Zeit, Ausgaben in Höhe der "Soli"-Einnahmen von 15 Milliarden Euro pro Jahr zu kürzen. Warum sparen Sie nicht einfach?

Walter-Borjans Ich kann nur für Nordrhein-Westfalen sprechen. Wir geben jetzt schon von allen 16 Bundesländern pro Kopf am wenigsten aus. Da können sich andere Länder an NRW noch ein Beispiel nehmen. Was andere jetzt erst anpacken, etwa die kommunale Neugliederung oder eine günstige Relation von Landespersonal und Bewohnern, hat NRW schon hinter sich. Der Verweis auf Größeneffekte zieht hier nicht: Wir brauchen als bevölkerungsreichstes und großes Bundesland mindestens so viele Polizisten und Lehrer wie kleinere Bundesländer. Wenn wir die Infrastruktur nicht verrotten lassen wollen, kostet das Geld, das wir nicht aus anderen Ecken herauspressen können.

Die Länder sollen die Bürger mit unterschiedlich hohen Einkommensteuersätzen locken können, fordert Schäuble. Warum sind Sie dagegen?

Walter-Borjans Finanzschwächere Länder würden dadurch in einen ruinösen Wettbewerb mit stärkeren Ländern wie Bayern und Baden-Württemberg gezwungen. Sie müssten ihre Steuersätze senken, obwohl sie sich das gar nicht leisten können. Wenn sie aber die Steuersätze erhöhen würden, würden sie damit die Abwanderung ihrer Eliten nach Bayern auslösen. Das wäre genau das Gegenteil dessen, was wir mit dem Länderfinanzausgleich erreichen wollen, nämlich eine Annäherung der Lebensbedingungen.

Der Finanzausgleich bietet den Ländern keinen Anreiz, sich vom Nehmer- zum Geberland zu entwickeln.

Walter-Borjans Der Länderfinanzausgleich bringt meiner Auffassung nach gar keine negativen Wettbewerbsanreize mit sich, das ist eine Mär. Was ausgeglichen wird, ist die stark unterschiedliche Einnahmekraft der Länder. Ich kenne kein einziges Land, das wegen des Länderfinanzausgleichs darauf verzichten würde, neue Unternehmen anzusiedeln und Jobs zu schaffen.

Schäuble fordert von den Ländern sieben Umsatzsteuerpunkte oder zwölf Milliarden Euro im Tausch gegen den "Soli" zurück. In Ordnung?

Walter-Borjans Nein. Das würde ja bedeuten, dass der Bund den "Soli" in voller Höhe kassieren kann. Die Länder würden ihn nur auf dem Papier anteilig bekommen. Wir sind hier einer ganz anderen Auffassung: Der "Soli" und die sieben Umsatzsteuerpunkte stehen für uns in gar keinem Zusammenhang. Ich habe den Eindruck, dass Herr Schäuble mit dieser Forderung vor allem seine Preise in die Höhe treiben will.

Der Stabilitätsrat von Bund und Ländern soll Defizitsünder unter den Ländern künftig bestrafen dürfen. Wie stehen Sie dazu?

Walter-Borjans Einen Sanktionsmechanismus lehnen die Länder einhellig ab, weil er die Haushaltsrechte der Länderparlamente beschneiden würde und damit gegen das Grundgesetz verstieße. Die Länder müssen handlungsfähig bleiben. Bei den Verhandlungen geht es außerdem fast ausschließlich um die Einnahmeseite, nicht um das Ausgabeverhalten der Länder. Das ist nicht Gegenstand des Länderfinanzausgleichs.

Aber es muss jetzt doch auch darum gehen, die Einhaltung der Schuldenbremse sanktionieren zu können, damit sie auch durchgesetzt wird.

Walter-Borjans: Bevor wir uns über Sanktionen Gedanken machen, sollten wir Länder wissen, wie wir alle die Schuldenbremse ab 2020 einhalten können. Im Moment gibt es bei der Verteilung der Mittel eine zu große Schieflage: Sachsen zum Beispiel bekommt ein Drittel seiner Einnahmen aus fremden Kassen, tilgt aber bereits seine Schulden. NRW kann nicht tilgen, obwohl es Geberland ist. Da stimmt etwas nicht. Es gibt für mich drei Punkte, die ab 2020 eine ausreichende Finanzierung der Länderhaushalte sicherstellen und auf die wir uns einigen sollten: die Teilhabe der Länder und Kommunen an den "Soli"-Einnahmen, eine neue gemeinsame Initiative gegen Steuerhinterziehung und Steuervermeidung der großen Konzerne sowie gemeinsame Bund-Länder-Anleihen an den internationalen Finanzmärkten.

Der Bund darf sich ab 2016 weiterhin mit 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschulden. Soll der Bund den Ländern von dieser Verschuldungsmöglichkeit etwas "abgeben"?

Walter-Borjans Das halte ich für keinen seriösen Vorschlag. Das ist ein vergifteter Versuch des Bundes, Begehrlichkeiten bei den Ländern zu wecken, sich noch mehr zu verschulden.

Das Gespräch führte Birgit Marschall.

(mar)
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