Nach Alarm in Chemnitz NRW setzt bei Terrorabwehr auf die Hilfe der Bürger

Düsseldorf · Unter die Flüchtlinge, die im vergangenen Jahr nach Deutschland kamen, haben sich auch Terroristen gemischt - wie Dschaber al Bakr, der in Chemnitz festgenommen wurde. Die Behörden setzen deshalb auch in NRW auf Wachsamkeit in Flüchtlingsunterkünften.

NRW setzt bei der Terrorabwehr auf die Hilfe der Bürger
Foto: Shutterstock/blvdone

Dschaber al Bakr kam als Flüchtling nach Chemnitz — am Montag wurde er in Leipzig als Terrorverdächtiger festgenommen. Auch am 13. September waren drei terrorverdächtige Syrer bei Razzien in Schleswig-Holstein und Niedersachsen festgenommen worden. Auch sie waren als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen.

"Wir dürfen nicht alle Flüchtlinge verdächtigen, aber es gibt Hinweise, dass es unter ihnen auch Terroristen oder welche, die mit Terrorgruppen sympathisieren, gibt", sagte Innenminister Thomas de Maizière damals. Die Einwanderungsbehörden würden zwar die Pässe der Flüchtlinge überprüfen und Fingerabdrücke nehmen, um Terroristen schon vor der Einreise zu stoppen. Eine Garantie, alle Terroristen auf diese Weise zu entlarven, gebe es jedoch nicht. Die Behörden würden daher jedem Hinweis aus der Bevölkerung zum Thema nachgehen. Im September waren es 400 Meldungen.

Doch wie gelangen die Ermittlungsbehörden um BKA, Staatsschutz und Verfassungsschutz an Informationen über mögliche Terroristen, die mit den Flüchtlingen ins Land gekommen sind?

100 Hinweise auf solche Personen liegen in Nordrhein-Westfalen vor, teilt das Innenministerium des Landes mit. Denen werde sorgfältig nachgegangen, sagte ein Ministeriumssprecher auf Anfrage der Redaktion. Hinweise kämen unter anderem von Mitarbeitern der Flüchtlingsheime oder auch von anderen Asylbewerbern.

"Die Betreiber der Unterkünfte sind von uns dafür sensibilisiert worden, zu erkennen, wann Salafisten um Flüchtlinge werben und welche Anzeichen es für eine Radikalisierung geben kann", sagt der Ministeriumssprecher. Außerdem gibt die Broschüre "Extremistischen Salafismus erkennen" des Verfassungsschutzes Hinweise, was auf Extremismus und eine Radikalisierung hindeutet. Alarmierend sei es zum Beispiel, wenn jemand plötzlich seine Kleidung verändere, sich einen Bart wachsen lasse oder aggressiv missionieren wolle.

"Wenn Mitarbeiter in Flüchtlingsunterkünften ein komisches Gefühl haben, dann ist es immer besser, wenn sie die Situation den Behörden melden", sagt Thomas Stotko, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im NRW-Landtag. Es sei besser, einmal zu viel anzurufen, als einmal zu wenig. In den Flüchtlingsunterkünften seien die Kontakte zu Staats- und Verfassungsschutz bekannt. Es müsse sich niemand davor fürchten, den Kontakt auch zu nutzen.

"Manchmal ist das Bauchgefühl genau richtig. In jedem Fall aber können die Experten die Informationen einschätzen und eventuell dann auch beruhigen", sagt Stotko. Er hält es für sinnvoll, Mitarbeiter von Flüchtlingsunterkünften dafür zu schulen, auf gewisses Verhalten zu achten. "Wir können aber nicht alle Mitarbeiter zu Psychologen schulen, die jeden Terroristen erkennen."

Auch die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen, Monika Düker, sagte unserer Redaktion: "Wir wissen, dass Salafisten zunehmend Anwerbeversuche in Flüchtlingsunterkünften unternehmen, oftmals als Flüchtlingshelfer getarnt. Wenn wir Radikalisierungstendenzen von Anfang an verhindern wollen, müssen wir hier ansetzen." Der Verfassungsschutz habe daher die Betreiber informiert und sensibilisiert.

Nordrhein-Westfalen setze hohe Standards bei der Vergabe von Aufträgen an Betreiber von Flüchtlingsunterkünften. "Allerdings ist es auch für gut geschultes Personal schwierig, Bewohner, die sich völlig unauffällig verhalten, als Gefährder zu identifizieren", sagt Düker.

Die Anzeichen für eine Radikalisierung seien zudem nicht nur für Flüchtlinge gültig, so SPD-Politiker Stotko: "Die Informationsbroschüre könnten wir auch an alle Haushalte in NRW verteilen. Denn die Anzeichen für eine Radikalisierung gelten für alle. Egal ob sie in Flüchtlingsunterkünften leben oder in den Stadtteilen", sagt Stotko.

Aber: Es dürfe keine Hexenjagd gegen Flüchtlinge entstehen, betont Stotko. Die meisten von ihnen seien nach Deutschland gekommen, um genau vor diesen Terroristen zu fliehen und sich ein neues Leben in Deutschland aufzubauen.

Als Zeichen dafür kann auch die Reaktion vieler Syrer in Deutschland auf die Festnahme von al-Bakr gedeutet werden. In den sozialen Netzwerken wie Facebook bedanken sie sich bei der Polizei, die die Festnahme durchführte, und bei ihren Landsleuten, die al-Bakrs Ergreifung möglich gemacht hatte.

Denn der Terrorverdächtige al Bakr wurde in Leipzig festgesetzt: Bei einer Anti-Terror-Razzia hatten Behörden mehrere Hundert Gramm Sprengstoff in der Wohnung in Chemnitz sichergestellt, in der er gelebt haben soll. Der Verdächtige konnte zunächst fliehen und wurde erst durch zwei weitere syrische Flüchtlinge gestellt.

Nach Erkenntnissen des Bundesamts für Verfassungsschutz hatte al Bakr einen Sprengstoffgürtel gefertigt und einen Anschlag auf einen Berliner Flughafen geplant. Anschlagshinweise habe der Verfassungsschutz seit Anfang September gehabt.

"Der Fall in Chemnitz zeigt, dass die Flüchtlinge untereinander darauf achten, mögliche Terroristen zu entlarven", sagt der Sprecher des NRW-Innenministeriums. Die Mitarbeiter der Flüchtlingsunterkünfte seien durch die Betreiber dazu angehalten, alle Hinweise von Flüchtlingen auch an die Behörden weiterzuleiten. Denn es gebe durchaus Situationen, in denen eine Flüchtling einen IS-Kämpfer vor dem er geflohen ist, wiedererkennt.

(rent)
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