Der SPD-Chef, die NSA und die Vorratsdatenspeicherung Das Netz verspottet Sigmar Gabriel für Autoren-Lob

Düsseldorf · Der Aufruf von mehr als 550 prominenten Autoren gegen staatliche Überwachung hat viel Lob bekommen – auch von Sigmar Gabriel. Doch der SPD-Chef muss sich dafür im Netz enorme Kritik gefallen lassen. Die User erinnern ihn daran, dass seine Partei in einer großen Koalition für die Vorratsdatenspeicherung stimmte. Gabriel selbst zeigt sich "verblüfft".

Die 15 wichtigsten Punkte des Koalitionsvertrages
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Der Aufruf von mehr als 550 prominenten Autoren gegen staatliche Überwachung hat viel Lob bekommen — auch von Sigmar Gabriel. Doch der SPD-Chef muss sich dafür im Netz enorme Kritik gefallen lassen. Die User erinnern ihn daran, dass seine Partei in einer großen Koalition für die Vorratsdatenspeicherung stimmte. Gabriel selbst zeigt sich "verblüfft".

Günter Grass, Orhan Pamuk, Umberto Eco, Daniel Kehlmann, Juli Zeh, Henning Mankell — es sind jede Menge prominente Namen, die den Aufruf gegen die Überwachung der Bürger unterzeichnet haben. In mehr als 30 Zeitungen war dieser am Dienstag erschienen, auch im Internet wurde der Protestbrief veröffentlicht. "Ein Mensch unter Beobachtung ist niemals frei", steht darin etwa geschrieben. Oder auch: "Massenhafte Überwachung behandelt jeden einzelnen Bürger als Verdächtigen" und hebele so die Unschuldsvermutung aus.

Die Überwachungsaktivitäten der NSA und die ständig neuen Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden zu dem Thema sorgen weltweit für Entrüstung. Schon mehrfach waren Aktionen gegen die Überwachung gestartet worden, doch keine hat wohl bislang so viel Gehör gefunden wie die Aktion der Autoren. Auch in der deutschen Politik ist sie wahrgenommen worden. Insbesondere von Sigmar Gabriel, der die Aktion auf seiner Facebook-Seite ausdrücklich lobte. Doch genau das brachte ihm nun Ärger ein.

"Es wird peinlich, Sigmar"

Am Dienstagvormittag hatte Gabriel dort geschrieben, dass er den Aufruf für eine "wunderbare und beeindruckende Aktion" halte. "Der Kampf um bürgerliche Freiheiten hat einst national begonnen, jetzt findet er erstmals international gemeinsam statt. Ein tolles Zeichen!", so der SPD-Chef auf seiner Facebook-Seite weiter. Und dann fügt er noch hinzu, dass er die deutschen Unterzeichner Anfang 2014 zu einem Gespräch einladen wolle, denn "ein solcher Aufruf darf in der Politik nicht ungehört bleiben!"

Ungehört blieb Gabriel mit diesem Statement tatsächlich nicht, Lob allerdings bekam er keineswegs für sein Ansinnen. Denn die fast 1000 Kommentare unter dem Posting erinnerten ihn vor allem daran, dass die SPD in der großen Koalition die Telefon- und Internetdaten aller Bürger speichern wolle. "Es wird peinlich, Sigmar", schreibt etwa ein User, andere bezeichnen ihn als Heuchler, von "blankem Hohn" ist ebenfalls die Rede. In den meisten Kommentaren kommt der SPD-Chef alles andere als gut weg.

Im Gegensatz zu den üblichen Shitstorms im Netz wird Gabriel aber zum größten Teil nicht wüst beschimpft, sondern die User argumentieren sachlich, teils mit ellenlangen Postings. "Die SPD kann auch einfach mal das Richtige tun, da wäre allen geholfen. Also lad nicht nur die Schriftstellerinnen und Schriftsteller ein, sondern bring das Thema in der SPD, aber auch in der Koalition wieder auf die Tagesordnung", bemerkt ein User.

Ein anderer hält ihm vor, dass er im ARD-Brennpunkt die Vorratsdatenspeicherung mit dem Breivik-Attentat in Norwegen in Verbindung brachte und behauptete, dass man durch diese schnell den Täter gefunden habe — obwohl die Vorratsdatenspeicherung in Norwegen nie angewendet worden ist. Viele der Kommentatoren fordern denn auch von Gabriel, den Koalitionsvertrag abzulehnen, da die Vorratsdatenspeicherung eben nichts anderes sei "als digitale Massenüberwachung". Der SPD-Chef aber kann die Aufregung nicht ganz nachvollziehen.

Gabriel: "Mich verblüfft diese Argumentation"

Denn ein paar Stunden nach dem Posting schrieb Gabriel erneut einen Beitrag zu dem Thema auf seine Facebook-Seite. "Ehrlich gesagt: Mich verblüfft diese Argumentation", schreibt Gabriel in Bezug darauf, dass ihm viele User vorhielten, sein Statement passe nicht zu seiner Haltung beim Thema Vorratsdatenspeicherung. Der SPD-Chef betont, dass seine Partei eine deutliche kürzere Speicherfrist im Koalitionsvertrag durchgesetzt habe und es ja auch noch ein Richter entscheiden müsse, ob auf die Daten zugegriffen werden dürfe.

"Wer die NSA-Praxis mit der Vorratsdatenspeicherung im oben beschriebenen Sinne gleichsetzt, verniedlicht das, was Geheimdienste gegenwärtig treiben", verteidigt sich Gabriel. Und erntet dafür erneut jede Menge Kritik. Bis Mittwochmittag waren es schon fast 700 Kommentare, die unter dem neuen Posting standen. "Uns ausschnüffeln ist halt nur böse, wenn andere das tun?", fragt da etwa ein User. Ein anderer bemerkt: "Verniedlicht wird hier wohl eher das eigene Handeln. Ist ja auch sehr bequem, auf den bösen großen Bruder in den USA zu zeigen, dann wirkt die Vorratsdatenspeicherung gleich gar nicht mehr schlimm, was?"

Andere halten das Argument des Richtervorbehalts für sinnwidrig und verweisen auf den aktuellen Fall der Abmahnungswelle im Fall Redtube. Auch da hätten Richter offenbar ohne richtige Kenntnis der Sachlage einfach der Offenlegung der Daten zugestimmt. Viele halten Gabriel auch mangelnde Sachkenntnis vor. So wie dieser User, der in Anspielung auf ein Zitat der Bundeskanzlerin schreibt: "Wer hier was verniedlicht, dürfte noch zu klären sein...Willkommen im Internet-Neuland — treu vereint mit der Kanzlerin..."

(das)
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