Juli Zeh im Interview "Merkel macht aus gespielter Ahnungslosigkeit eine Tugend"

Düsseldorf · Juli Zeh ist Juristin und Schriftstellerin. Zusammen mit Ilja Trojanow hat sie das Buch "Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte" geschrieben und gerade den Hoffmann-von-Fallersleben-Preis für zeitkritische Literatur erhalten. Wir sprachen mit der Autorin über den jüngsten BND-NSA-Skandal.

 Juli Zeh ist Co-Autorin des Buches "Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte".

Juli Zeh ist Co-Autorin des Buches "Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte".

Foto: dpa, Kay Nietfeld

Haben Sie die neuen Enthüllungen zur Verstrickung zwischen BND und dem amerikanischen Geheimdienst überrascht?

Zeh Leider nein. Im Grunde bewahrheitet sich nun Stück für Stück in einem zähen Aufklärungsprozess, was Datenschützer den Geheimdiensten und anderen Sicherheitsbehörden schon lange vorwerfen. Nämlich, dass beim Ausspähen und Auswerten von Daten keine Grenzen respektiert werden. Weder die Privatsphäre der Einzelnen noch die Rechte befreundeter Staaten.

Es geht beim aktuellen Fall ja um die Frage, wer welche Suchwörter in die Computersysteme des BND eingespeist hat. Verselbständigt sich da durch den Computereinsatz das System und wird unkontrollierbar?

Zeh So darf man das nicht sehen. Die Systeme sind von Menschen gemacht und werden von Menschen bedient. Wir leben nicht in einem Science-Fiction-Film, in dem intelligent gewordene Technik die Menschheit beherrscht, frei von menschlicher Verantwortung. Es gibt real existierende Personen, die das Ausspähen vorsätzlich betreiben, und diese müssen zur Verantwortung gezogen werden, ganz egal, ob sie ein bestimmtes Ereignis gewollt haben oder nicht. Man kann das mit einem einfachen Fall vergleichen: Wenn sich jemand einen gefährlichen Hund hält und der reißt sich eines Tages los und beißt ein Kind, dann kann der Besitzer auch nicht sagen: "Das war ich nicht, das war mein Hund." Der Skandal besteht gerade darin, dass mutwillig versucht wird, die Verantwortungsstrukturen zu verschleiern. Keiner ist es gewesen, keiner weiß was. Bei gezielten Nachfragen heißt es dann, es sei alles geheim. Das Wesen einer rechtsstaatlichen Demokratie besteht aber darin, dass die Machthaber dem Volk für ihr Handeln verantwortlich sind.

Regierungsvertreter sprechen nun davon, der BND habe nicht vorsätzlich falsch gehandelt, sondern fahrlässig. Was halten Sie von dieser Argumentationslinie?

Zeh Das ist Haarspalterei. Es geht in diesem Stadium nicht darum, jemanden strafrechtlich zu verfolgen - nur dann wäre der Unterschied zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit zentral. Das Anliegen ist bedingungslose Aufklärung und ein Offenlegen der Strukturen, inklusive der Vernetzung mit amerikanischen Behörden. Das wird von der Regierung seit Beginn der NSA-Affäre bewusst hintertrieben.

Die Öffentlichkeit reagiert inzwischen fast gelangweilt auf solche Enthüllungen, weil sie den Geheimdiensten ohnehin alles zutraut. Wozu führt das?

Zeh Leider ist auch die mediale Berichterstattung erlahmt. Man liest überall, der neue Skandal sei "peinlich". Das ist aber kein Problem von Peinlichkeit, sondern ein Problem des Zerbröselns von demokratischen Strukturen. Niemandem ist geholfen, wenn man das verniedlicht. Der abnehmenden Wachsamkeit kann man nur Entgegenwirken, indem man die Dinge immer weiter hartnäckig beim Namen nennt und fordert, dass das aufhört. Nicht nur das Ausspähen von anderen Staaten, sondern auch und vor allem das Ausspähen von Bürgern, egal ob durch staatliche Behörden oder Privatkonzerne. Für beides muss es klare Grenzen geben, und es muss immer klar sein, wer was macht und zu welchem Zweck.

Die politische Verantwortung wird nun beim Innenminister und früheren Kanzleramtsminister Thomas de Maizière gesucht, wieso gerät Angela Merkel nicht in den Fokus der Kritik?

Zeh Das ist ein großes Rätsel. Mein Eindruck ist, wenn die NSA-Affäre in die Regierungszeit von Gerhard Schröder gefallen wäre, hätte der früher oder später zurücktreten müssen. Angela Merkel schafft es, aus gespielter Ahnungslosigkeit eine Tugend zu machen. Sie trifft damit einen Nerv beim Volk: Keiner weiß was, eigentlich will es auch keiner wissen, es ist zu schwer zu verstehen, und wehren kann man sich sowieso nicht - irgendetwas mit Technik eben. Als Frau kann sie diese Rolle überzeugender spielen als ein Mann. Damit erreicht sie Leute, die dankbar in der Passivität verharren, weil sie instinktiv spüren, dass wir es hier mit einem riesigen Problem zu tun haben - einer Epochenwende, die politisch begleitet werden müsste. Wir versäumen gerade die historische Chance, eine technische Revolution demokratieverträglich zu gestalten. Die Geschichtsbücher werden Angela Merkel eines Tages die gleiche Frage stellen: Warum haben Sie nicht gehandelt?

(dok)
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