Pfleger soll mindestens 12 Menschen getötet haben Gutachten erhärtet Verdacht auf Mordserie in Kliniken

Oldenburg · Der Pfleger war beliebt, hilfsbereit und fleißig. Doch in Notfällen verhielt er sich wie auf dem Fußballplatz: Er drängte sich vor, war süchtig nach Anerkennung. Einige Kollegen am Klinikum im niedersächsischen Oldenburg schöpften damals schon Verdacht.

 Der Angeklagte wartet im Gerichtssaal auf den Prozessauftakt.

Der Angeklagte wartet im Gerichtssaal auf den Prozessauftakt.

Foto: dpa, crj fdt

Wenn der Pfleger im Dienst war, mussten mehr Patienten wiederbelebt werden. Doch die Beweise für die Vermutungen fehlten. Das scheint heute anders: Zwölf Patienten könnte er nach einem Gutachten in Oldenburg auf dem Gewissen haben. Und das könnte nur der Anfang einer großen Mordserie sein.

174 Verdachtsfälle untersuchen Polizei und Staatsanwaltschaft allein am Klinikum im nahe gelegenen Delmenhorst. Dort hatte der Pfleger nach seiner Zeit in Oldenburg gearbeitet - und auch dort häuften sich die Todesfälle unter den Patienten.

Wegen Mordversuchs in Delmenhorst hatte ihn das Landgericht Oldenburg 2008 bereits zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt. In einem zweiten Prozess muss er sich seit September wegen dreifachen Mordes und zweifachen Mordversuches vor Gericht verantworten.

Experte untersuchte 57 Krankenakten

Der Gutachter Prof. Georg von Knobelsdorff hat in den letzten zwei Monaten die Krankenakten von 57 schwer kranken Patienten untersucht, die während der Dienstzeit des Pflegers von 1999 bis 2002 im Oldenburger Klinikum starben. Bei zwölf von ihnen stellte er auffallend hohe Kaliumwerte fest. Bei sieben davon ist er sich sicher, dass es keine natürlich Ursache dafür gibt.

"Kalium war damals eine normale Infusionslösung", sagte der Experte. Alle Pfleger und Schwestern auf Intensivstationen konnten sich ganz einfach daran bedienen. Heimlich in eine Infusionslösung gemischt kann Kalium zu einem Herzstillstand führen - unauffällig und effektiv. Also das perfekte Mordwerkzeug? "Wir wissen nicht, ob es sich um einen Fehler oder eine Straftat handelt", erläutert von Knobelsdorff.

Klinik-Geschäftsführer Dirk Tenzer spricht dagegen von einem "wahnsinnigen Einzelnen", einem "Exzesstäter". Ob die Taten dem Pfleger zu Last gelegt werden könnten, müssten jedoch Richter entscheiden, sagt Tenzer. Er hat das Gutachten bereits der Staatsanwaltschaft übermittelt. Außerdem will er mit den Angehörigen über Entschädigungen sprechen.

Doch hätte das Klinikum nicht viel früher aufmerksam werden müssen? Die Patienten waren alle schwer krank, ihr Tod nicht unwahrscheinlich. "Dies machte für die damals Beteiligten ein Erkennen der Situation schwierig", sagt Tenzer.

Trotzdem erheben Angehörige der Opfer am Delmenhorster Krankenhaus schwere Vorwürfe gegen das Klinikum. Es hatte dem Pfleger 2002 trotz seines auffälligen Verhaltens ein gutes Arbeitszeugnis erstellt. Damit bewarb er sich in Delmenhorst - mit Erfolg.

"Wir waren letztlich froh, dass er weg war", gibt Tenzer zu. Aus heutiger Sicht hätte sein Haus das Arbeitszeugnis jedoch nicht in dieser Form ausstellen dürfen. Damals sei die Sicht aber eine andere gewesen: "Fachlich gab es keinen Grund, ihn zu beanstanden."

(dpa)
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