Grünen-Parteitag Entsetzen über Trump eint die Grünen für einen Moment

Münster · Zum Auftakt ihres dreitägigen Parteitags in Münster erinnert sich die Öko-Partei an ihre gemeinsamen Werte. Doch am Samstag droht ein Richtungsstreit über die Steuerpolitik.

 Cem Özdemir spricht am 11. November 2016 beim Grünen-Parteitag in Münster.

Cem Özdemir spricht am 11. November 2016 beim Grünen-Parteitag in Münster.

Foto: dpa, bt fgj

Der Wahlsieg Donald Trumps in den USA war aus Sicht der Grünen eine so monströse Fehlentwicklung, dass das Entsetzen darüber zu Beginn des Grünen-Parteitags in Münster alle innerparteilichen Streitigkeiten vergessen lässt. Parteichef Cem Özdemir fällt es zum Auftakt nicht schwer, die beiden auseinander driftenden Flügel seiner Partei, den Linken und den Realos, für einen Moment hinter sich zu versammeln.

Die Grünen seien "mehr denn je überzeugte Europäer", ruft Özdemir in seiner Eröffnungsrede den 850 Delegierten zu. "Ein Zurück zum Nationalstaat wird keines unserer Probleme lösen." Die Grünen "werden und dürfen niemals still an der Seite stehen, wenn Rechtspopulisten und Nationalisten in Deutschland und Europa Hass verbreiten." Menschenrechte, Demokratie, Gleichberechtigung, Klimaschutz müssten von jeder Generation wieder neu verteidigt werden - heute durchaus entschiedener und aggressiver denn je. "Wir bleiben unbequem", schließt Özdemir - und zitiert damit das Motto des Parteitags.

"Es ist wahrhaft eine Zeitenwende. Wacht auf!"

"Trump hat eine Machtfülle wie kein US-Präsident seit Ronald Reagan", warnt Gastredner Bastian Hermisson, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington. "Es ist wahrhaft eine Zeitenwende. Wacht auf!", ruft er. Die Grünen müssten sich auch an die eigene Nase fassen: Sie gehörten zu jenen Eliten, die den Kontakt zu den Massen verloren hätten, die Leute wie Trump wählen. Die Grünen müssten "den Duktus der moralischen Überheblichkeit ablegen" und verhindern, dass sich auch in Deutschland Rechtspopulisten durchsetzen. Mit großer Mehrheit billigt der Parteitag am Abend einen Leitantrag des Bundesvorstands, in dem die Grünen ihren pro-europäischen Kurs unterstreichen.

Das Entsetzen über Trump vereint die Grünen, doch das wird grundlegende innerparteiliche Konflikte heute kaum überdecken können. Am Samstag steht den Grünen ein nervenaufreibendes Gezerre über die Steuerpolitik bevor. Viele sehen im Kräftemessen zwischen Parteilinken und Realos über die Frage, ob die Grünen eine Vermögensteuer einführen wollen oder nicht, ein Symbol für die Richtung, die die Grünen einschlagen sollen: Die Grünen könnten das Zünglein an der Waage sein, wenn es im Herbst 2017 darum geht, die nächste Bundesregierung zu stellen - mit Rot-Rot-Grün oder mit Schwarz-Grün.

Linke gegen Realos

Linke wie Parteichefin Simone Peter machen keinen Hehl daraus, dass sie ein rot-rot-grünes Bündnis im Bund anstreben, Realos wie Kretschmann treten offen für Schwarz-Grün ein. Da sähe es schon wie eine Vorentscheidung aus, wenn der grüne Ober-Realo, Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), deren ausdrücklicher Fan er ist, als schwarz-grüner Kandidaten für die Wahl zum Bundespräsidenten aufgestellt würde.

Die Augen sind daher in Münster auch auf Kretschmann gerichtet, den beliebtesten Grünen-Politiker seit Joschka Fischer. Der Mann sagt einfach stets, was er denkt, unabhängig von Mehrheitsmeinungen, das bringt viele linke Grüne gegen ihn auf. Der Regierungschef im starken Industrieland Baden-Württemberg lehnt die Vermögensteuer kategorisch ab, weil sie als Substanzsteuer schädlich für Betriebe und überdies verfassungswidrig sei. Nicht einmal den Kompromissvorschlag der Bundestags-Fraktionsspitzen will er mittragen.

Über zwei Jahre hatte eine Steuerkommission unter Parteichefin Peter versucht, den Konflikt zu lösen, ohne Ergebnis. Das liegt auch an Simone Peter selbst, die die Vermögensteuer persönlich unbedingt durchsetzen wollte - und deshalb für die Kompromisssuche in der Kommission ungeeignet war. Um diesen Richtungsstreit zu entschärfen, sprangen schließlich die Fraktionschefs Anton Hofreiter und Katrin Göring-Eckardt in die Bresche. Ihr Kompromiss-Antrag sieht zwar auch eine "ergiebige Vermögensteuer" vor, aber nur für "Superreiche", und auch nur, wenn sie keine Arbeitsplätze und Betriebe gefährdet. Dank dieser Einschränkungen könnten auch Realos damit leben.

Umstritten war auch der Auftritt von Daimler-Chef Dieter Zetsche, der für Sonntag auf dem Programm steht. Özdemir hatte Zetsche eingeladen, um über die Zukunft der deutschen Automobilindustrie zu debattieren. Die Grünen trommeln für das Ende des Verbrennungsmotors bereits ab 2030, die Autoindustrie hat das als unrealistisch zurückgewiesen.

Viele linke Grüne waren empört über die Einladung durch Özdemir: Daimler stehe für Vieles, das die Grünen ablehnen, für Waffenlieferungen, Globalisierung, Umweltverschmutzung. Zwei Anträge, mit denen die Kritiker verhindern wollten, dass Zetsche am Sonntag spricht, werden mit großer Mehrheit abgeschmettert. "Dieter Zetsche beweist Mut, dass er zu uns kommt. Ihn jetzt auszuladen, wäre feige", resümiert Bundesgeschäftsführer Michael Kellner.

(mar)
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