Paul Ziemiak und Kevin Kühnert "Ich bin kein Feminist" — "Ich schon!"

Berlin · Im ersten gemeinsamen Zeitungsinterview sprechen die Jugendchefs von Union und SPD über Führung, Frauen und ihre Tränen.

 Paul Ziemiak (32, l.) und Kevin Kühnert (28) posieren unter der Eisenbahnbrücke an der Luisenstraße in Berlin-Mitte für unser Bild.

Paul Ziemiak (32, l.) und Kevin Kühnert (28) posieren unter der Eisenbahnbrücke an der Luisenstraße in Berlin-Mitte für unser Bild.

Foto: Marco Urban

Im ersten gemeinsamen Interview sprechen die Jugendchefs von Union und SPD über Führung, Frauen und ihre Tränen. Paul Ziemiak und Kevin Kühnert verraten außerdem, was sie zum Weinen bringt — wenn auch widerwillig.

Herr Kühnert, Herr Ziemiak, warum duzen Sie sich?

Kevin Kühnert Weil wir beide jung und in einer Jugendorganisation sind. Ich glaube, das haben wir immer so gemacht, oder?

Paul Ziemiak Ja, jedenfalls mussten wir uns das nicht anbieten.

Haben Sie politische Vorbilder?

Kühnert Es gibt für mich keine politischen Vorbilder. Es gibt Leute, die haben herausragende politische Entscheidungen getroffen. Aber das trifft bei keinem auf ein ganzes politisches Leben zu.

Ziemiak Ich sehe das ähnlich. Einem Vorbild eifert man nach und möchte auch so sein. Das kenne ich nicht.

Was glauben Sie: Woran mangelt es Politikern heute am meisten?

Ziemiak Wir haben in der Politik kaum noch Gelegenheit, inne zu halten, zuzuhören und nachzudenken. Immer sind schnelle Antworten gefordert, jeden Tag wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Das betrifft die Parlamentsarbeit und den Medienalltag.

Könnte die Politik für sich nicht mehr Zeit einfordern?

Ziemiak Solche Versuche liefen bisher ins Leere. Dabei fände ich es gut, wenn wir den Sonntag wieder zu einem wirklich freien Tag erklären könnten. Ohne Parteiveranstaltungen, Medienanfragen oder offene Einkaufsläden.

Kühnert Ich finde, das geht an der Realität in der Politik vorbei. Für die ehrenamtliche Arbeit bei den Jusos etwa brauchen wir die Wochenenden — auch den Sonntag. Sonst würde kaum noch einer mitmachen können.

Woran mangelt es also in der Politik?

Kühnert Es mangelt an Authentizität. Der Politikbetrieb ist, insbesondere was seine Sprache angeht, zu homogen. Die Meinungen mögen auseinander gehen, die Ausdrucksweisen aber nicht. Viele Menschen werden so nicht mehr erreicht, weil die Unterschiede kaum zu erkennen sind.

Was können Sie voneinander lernen?

Ziemiak Ich finde es gut, wie Kevin die Kampagne der Jusos gemacht hat. Unabhängig von den Inhalten. Er hat es geschafft, die Jusos zu Meinungsmachern in der SPD zu machen. Darüber freue ich mich, weil so die Unterschiede zu uns deutlicher wurden. Aber die Jusos sollten von uns lernen: Wir reden über das Land und wie wir es verbessern wollen. Die Jusos reden nur über die SPD.

Kühnert Das ist Quatsch. Aber die Junge Union kriegt eigene Funktionärinnen und, nein Halt, vor allem männliche Funktionäre besser in Landtagsfraktionen unter. Diese Einflussnahme in den Parlamenten, in denen wichtige Entscheidungen getroffen werden, ist bei uns noch zu gering. Das muss sich mit dem SPD-Erneuerungsprozess bessern.

Also eine Jugendquote für Landtags- und Bundestagswahlen?

Kühnert Ich bin von einer klassischen Quote in diesem Fall nicht überzeugt. Die Frauenquote war und bleibt wichtig. Aber es sollte nicht zu viele solcher Vorgaben geben, um bei der Besetzung von Listen nicht nur nach Geschlecht, Alter, und so weiter gehen zu müssen. Trotzdem brauchen wir in den SPD-Statuten eine Änderung, die mehr Einfluss für junge Parteimitglieder ermöglicht, denn alle losen Absichtserklärungen sind gescheitert. Das könnte über Anteile an Listenplätzen geregelt werden.

Ziemiak Von einer Jugendquote halte ich nichts! Unsere junge Generation muss sich den Einfluss schlicht politisch erkämpfen. Es fliegt einem nichts in den Schoß.

Würden Sie sich beide als Feministen bezeichnen?

Ziemiak Ganz klar Nein.

Kühnert Doch, natürlich bin ich Feminist. Ich leite den SPD-Jugendverband, der sich als feministische Organisation versteht. Feminismus heißt, sich dafür einzusetzen, dass Frauen ihren gerechten Anteil an der Gesellschaft in Deutschland und der ganzen Welt bekommen. Der wird ihnen seit Jahrtausenden verwehrt. Paul, ich verstehe Deine Haltung da nicht.

Ziemiak Ich kann mit diesem Begriff nicht besonders viel anfangen. Ich interessiere mich für die Sache, nicht für Begriffe. Wir streben als Junge Union die Gleichberechtigung von Männern und Frauen an. Und wir stellen unter Beweis, dass Frauen oft Führung übernehmen. Das ist doch eindeutig.

Kühnert Aber wie willst Du mit so einer Herangehensweise dafür sorgen, dass es künftig mehr Frauen in der Fraktion oder in wichtigen Positionen gibt?

Ziemiak Jedenfalls ändert so eine Zuschreibung auch nichts daran. Ich werde mich in diesem Jahr innerhalb der Jungen Union sehr stark machen, damit wir unserem Ziel näher kommen, mehr Frauen in Verantwortung zu bringen. Es stimmt, dass alle freiwilligen Ansätze bisher kaum Früchte getragen haben.

Ist die neue Debatte um Gleichberechtigung in Ihrer Generation besonders ausgeprägt?

Ziemiak Zumindest gibt es heute so viele gut ausgebildete Frauen wie nie zuvor, die eine solche Diskussion auch führen. Das ist gut so und die Politik muss das begleiten. Aber wenn es etwa um die Strukturen eines Unternehmens geht, sollte sich der Staat heraushalten. Übrigens: Frauen wegen ihres Geschlechts einen niedrigeren Lohn zu zahlen und sie damit zu diskriminieren ist schon heute verboten. Die Rechtslage ist da klar.

Kühnert So ein Blödsinn. Die Politik muss doch Ziele definieren, sonst passiert nichts. Wir haben gerade erst beim Equal Pay Day wieder gehört, wie groß die Lohnunterschiede bei gleicher Arbeit zwischen Männern und Frauen nach wie vor sind. Es geht um strukturelle Nachteile von mehr als 20 Prozent. Das geht nicht, da besteht politischer Handlungsbedarf!

Herr Kühnert, auf Druck der Union will die SPD nun doch nicht gleich über die Reform des Paragrafen 219a abstimmen lassen, der Werbung für Abtreibung unter Strafe stellt. Ist Ihre Bundestagsfraktion da eingeknickt?

Kühnert Ich bin mit diesem Auftakt in die neue große Koalition keineswegs zufrieden. Die Abstimmung zum Paragraf 219a sollte als eine Gewissensfrage behandelt werden und ohne Fraktionsdisziplin erfolgen. Selbst die Spitze der Unionsfraktion wollte es ja dem Vernehmen nach auf eine freie Abstimmung ankommen lassen. Das Thema jetzt mit einer dünnen Erklärung zurückzustellen, erscheint mir wie tatsächlich ein Einknicken. Und angesichts jüngster Äußerungen von Jens Spahn zu dem Thema habe ich große Zweifel, dass der angekündigte gemeinsame Vorschlag der Bundesregierung fortschrittlich sein wird. Frauen sollten in so einer schwierigen Lage alle Informationen für eine selbstbestimmte Entscheidung bekommen.

Ziemiak Es geht dabei nicht nur um die Selbstbestimmtheit der Frau sondern auch um den Schutz ungeborenen Lebens. Es wird mit der Union keine Änderung des Paragrafen 219a geben. Wir sind überzeugt, dass das Werben für einen Schwangerschaftsabbruch weiterhin verboten bleiben muss. Darauf kannst Du Dich verlassen.

Kühnert Um es klar zu sagen: Es geht nicht um Werbung der Ärzte, sondern um Information. Nur selbst die ist bisher nicht überall möglich. Frauen müssen aber wissen, wohin sie sich wenden können. Ich finde es interessant, dass sich mit CDU/CSU und AfD ausgerechnet die Fraktionen gegen eine Änderung des 219a sperren, die den höchsten Männeranteil haben.

Ziemiak Moment! Unsere Position ist einhellig und wird von den Frauen wie Männern in der Union aus tiefer Überzeugung getragen. Wie es scheint, sind wir die einzige Partei, die sich noch um den Schutz ungeborenen Lebens kümmert.

Union und SPD haben betont, in den kommenden sieben Jahren die Digitalisierung mit zwölf Milliarden Euro voranzutreiben. Genügt das?

Kühnert Keinesfalls. Angela Merkel hat das schon oft betont und bisher ist zu wenig passiert. Immer noch ist schnelles Internet abhängig von dem Ort, an dem man lebt. Damit sind viele gesellschaftliche Fragen unbeantwortet.

Ziemiak Die große Koalition muss bei der Digitalisierung weit über den Koalitionsvertrag hinausgehen. Als Junge Union werden wir die Regierung antreiben.

Herr Kühnert, würden Sie als Kanzlerkandidat antreten, um Rot-Rot-Grün zu einer Mehrheit zu bringen?

Kühnert Wir Jusos wollen andere Regierungsmehrheiten als die große Koalition, Rot-Rot-Grün ist eine davon. Dafür müssen alle drei Parteien mehr tun, und zwar jetzt. Ich bin dazu bereit. Bisher fehlt es an einer guten Gesprächsbasis zwischen den Spitzen. Das muss sich schnell ändern.

Andrea Nahles wird die SPD künftig führen, bei Angela Merkel kündigt sich ein Abschied an. Kann die SPD in der Koalition bleiben, wenn Merkel vorzeitig das Kanzleramt abgibt?

Kühnert Wir entscheiden erst beim Parteitag am 22. April, ob Andrea Nahles künftig die SPD führen wird. Das Ergebnis ist noch offen, weil viele Delegierte ihre Zustimmung nicht zuletzt davon abhängig machen, ob ein konkreter Erneuerungsplan für unsere Partei vorlegt wird. Das ist die Messlatte.

Aber würde die Koalition halten, wenn Merkel früher ginge?

Kühnert Nach der Hälfte wird es eine Bestandsaufnahme geben. Bei einem personellen Wechsel müsste die Vertragsgrundlage erneut geprüft werden. Das gilt aber permanent. Eine Koalition kann auch wegen Inhalten platzen, wenn es so läuft wie in der letzten Groko.

Ziemiak Die Menschen haben seit der Bundestagswahl jetzt lang genug auf eine handlungsfähige Regierung gewartet. Alle sollten jetzt arbeiten, Probleme lösen und nicht Personaldebatten führen.

Vervollständigen Sie bitte diesen Satz: Zum Weinen bringt mich...

Kühnert Ich hasse diese Fragen. Empirisch betrachtet habe ich über die letzten Jahre wohl am häufigsten bei Sportveranstaltungen geweint.

Ziemiak Wenn der BVB nicht so spielt, wie man es sich wünscht.

Jan Drebes und Kristina Dunz führten das Gespräch.

(jd, kd)
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