Interview mit Hannelore Kraft "Peer Steinbrück kann gut zuhören"

Düsseldorf · Vor dem Nominierungsparteitag der SPD spricht die nordrhein-westfälische Regierungschefin Hannelore Kraft über den Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, seine Chancen im Bundestagswahlkampf gegen Angela Merkel und ihre Beziehung zu den Grünen.

Hannelore Kraft - die alte und neue Ministerpräsidentin von NRW
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Mit was für einem Ergebnis rechnen Sie für Peer Steinbrück beim Nominierungsparteitag?

Kraft Mit einem sehr guten Ergebnis.

Der Start war mäßig. Peer Steinbrück hat durch die Teilnahme an einer Talkrunde 25.000 Euro eingenommen. Damit müssen viele SPD-Wähler ein ganzes Jahr auskommen. Was wird von der Debatte übrig bleiben?

Kraft Der kritische Fall ist der von Ihnen erwähnte Vortrag bei den Bochumer Stadtwerken. Die Frage ist aber: Wie kann es bei Stadtwerken passieren, dass solche Summen bezahlt werden, nicht nur an Peer Steinbrück, auch an andere? Diese Frage muss in Bochum geklärt werden.

Aber es stimmt, dass Steinbrück einen Stolperstart hingelegt hat?

Kraft Das bewertet er ja selbst so. Wir sind aber weit vor dem Wahltag. Deshalb darf man das nicht überbewerten. Am Ende ist eine gute inhaltliche Positionierung der Partei entscheidend, die mit dem Kandidaten zusammenpassen muss. Das ist der Fall. Das wird die Basis für den Erfolg sein.

Wie viel Beinfreiheit muss die Partei ihm denn lassen?

Kraft Weniger, als man glaubt. Peer Steinbrück und die SPD sind eng beieinander.

Ach ja? Wer ist denn auf wen zugegangen?

Kraft Es gab überhaupt nicht die Distanz, die Sie unterstellen. Er war der erste, der ein Buch über den vorsorgenden Sozialstaat geschrieben hat. Die Ideen sind ins Grundsatzprogramm eingeflossen. Steinbrück ist sehr reflektiert und hat die innere Größe, sich zu korrigieren, wenn das notwendig ist.

Es war Peer Steinbrück selbst, der die Beinfreiheit für sich gefordert hat. Und er hat auch schon andere Bücher geschrieben — in "Unterm Strich" bezeichnet er beispielsweise die Personalauswahl seiner Partei als provinziell.

Kraft Wir sind eine große Volkspartei, in der unterschiedliche Nuancen von Positionen durchaus normal sind. Und das ist gut so. Peer Steinbrück hat sich immer wieder in Debatten-Prozesse eingebracht und diese auch mitbestimmt.

Erwarten Sie, dass er bei der Debatte um die Vermögensteuer Beinfreiheit einfordert?

Kraft Die Vermögensteuer ist Beschlusslage. Wir wollen und wir werden eine Vermögensteuer einführen, ohne dass der berühmten Oma ihr klein Häuschen oder die Substanz von kleinen und mittleren Unternehmen besteuert wird.

Wie soll das funktionieren?

Kraft Wir haben gute Finanzfachleute, die rechtzeitig ein entsprechendes Konzept erarbeiten werden. Die Vermögensteuer ist auch im Interesse der Länder. Wir brauchen dringend mehr Geld auch in den Ländern, vor allem um Bildung, Vorbeugung und unsere Kommunen besser finanzieren zu können.

Werden wir 2013 einen Lagerwahlkampf erleben?

Kraft Da bin ich auch gespannt. Ein Lager CDU/CSU/FDP kann ich jedenfalls nicht erkennen. Die Regierung ist doch ständig mit mindestens drei unterschiedlichen Positionen auf dem Markt.

Erwarten Sie von den Grünen eine klare Koalitionsaussage?

Kraft Die Grünen haben sich ja klar positioniert. In Nordrhein-Westfalen waren wir auch sehr erfolgreich damit, deutlich zu sagen, mit wem wir regieren wollen. Das reicht.

Die Grünen fordern, dass die SPD ihnen auf Augenhöhe begegnet. Werden Sie das tun?

Kraft Das machen wir so in NRW. Das ist für mich kein Thema.

Würde es im Bund mit Kanzler Steinbrück und den Grünen gutgehen?

Kraft Die Regierung Steinbrück habe ich als Ministerin in Nordrhein-Westfalen miterlebt, daher kann ich sagen, dass er damals eine schwierige Ausgangsposition beim Start als Ministerpräsident hatte. In der rot-grünen Koalition damals war schon vieles verhärtet. Die Lage von damals darf man heute nicht überbewerten. Peer Steinbrück kann sehr gut zuhören und ist ein Teamspieler. Das ist wichtig in einer Koalition.

Es heißt, Steinbrück könne nicht mit den Frauen.

Kraft Mit Verlaub: Das ist totaler Unsinn. Ich kenne viele Frauen, die große Fans von Peer Steinbrück sind.

Eine tiefe soziale Spaltung ist in Deutschland kaum zu erkennen. Wie wollen Sie im Wahlkampf mit der Sozialpolitik punkten?

Kraft Die soziale Spaltung hat sehr wohl in der Gesellschaft zugenommen. Die Regierung hat deshalb ja auch ihren Armutsbericht des Bundes geschönt. Sie verweigert sich in dieser Frage der Realität. Das werden wir im Wahlkampf thematisieren, denn als SPD wollen wir die Schere zwischen Arm und Reich endlich wieder mehr schließen.

Eine Wechselstimmung ist trotzdem nicht in Sicht.

Kraft Ich lese Umfragen, die besagen, dass ein weit überwiegender Teil der Befragten unzufrieden ist mit dieser Bundesregierung.

Die Kanzlerin hat hohe Zustimmungswerte.

Kraft Das allein ist doch nicht entscheidend. Die Leute merken doch, dass die Kanzlerin ihre Koalition nicht im Griff hat, dass sie nicht wirklich führt.

Wie erklären Sie sich die Beliebtheit der Kanzlerin?

Kraft Das hat mit ihrer persönlichen Integrität zu tun. Dennoch werden sich die Bürger fragen: Wollen wir eine solche Regierung weiter haben. Die Antwort wird lauten: Nein!

Die SPD hat eine Blockademehrheit im Bundesrat. Gibt es ein Thema, bei dem Sie sich mit der Regierung noch einigen können?

Kraft Wir machen keine prinzipielle Politik der Blockade, keine Blockade um der Blockade willen. Bei vielen Themen geht es aber darum, dass die Länder sich völlig einig sind, dass wir nicht gleichzeitig eine Neuverschuldungsgrenze von null anstreben und auf Einnahmen verzichten können.

Eine der neuen Stromautobahnen soll durch NRW führen. Werden Sie sich dafür starkmachen?

Kraft Wir werden dafür werben. Denn ein solcher Stromkonverter wird gebraucht und muss aus technologischen Gründen in NRW liegen. Ob er genau an der bisher geplanten Stelle stehen muss, das wird man diskutieren. Die Daten und Fakten werden wir uns noch einmal ansehen. Viel größere Sorgen macht mir, was zur Energiewende zur Zeit aus Brüssel zu hören ist.

Was hat Brüssel damit zu tun?

Kraft Der EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia greift das deutsche Gesetz zum Ausbau der erneuerbaren Energien an — und zwar mit der Behauptung, die Förderung der erneuerbaren Energien in Deutschland sei eine rechtswidrige Beihilfe, also ein verbotener Wettbewerbsverstoß. Sollte die EU ein solches Verfahren einleiten, wäre das dramatisch. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie sehr schnell reagiert und das verhindert.

Was wäre die Konsequenz, wenn Almunia sich durchsetzt?

Kraft Damit wäre das Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG als zentraler Eckpunkt der Energiewende Makulatur.

Michael Bröcker und Eva Quadbeck führten das Gespräch.

(brö/qua)
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