Schlagabtausch im Bundestag Peer Steinbrück und das "Reziplikative" der Kanzlerin

Berlin · Da sage noch einer, Wahlkampf sei langweilig. Im Bundestag kommt es am Donnerstag zum wohl letzten direkten Schlagabtausch zwischen Kanzlerin und Herausforderer vor der Wahl. Steinbrück bringt Stimmung in den Laden. Das hebt die zuletzt mäßige Laune bei der SPD.

Ludwig Erhard und Heinz Erhardt waren Männer ihrer Zeit. Der eine verkörperte als wohlgenährter Mann mit Zigarre das Wirtschaftswunder, der andere mit seiner tollpatschigen Art den damaligen Humor. Auch sie spielen an diesem Marathontag im Bundestag eine Rolle. An einem Tag, an dem Peer Steinbrück punkten kann und seine SPD-Fraktion zu lautem Johlen hinreißt.

Um kurz nach halb zehn tritt der Kanzlerkandidat ans Rednerpult. Als Kurzanalyse der vorherigen Rede von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zitiert er einfach den früheren SPD-Fraktionschef Fritz Erler, der auf eine Regierungserklärung von Kanzler Ludwig Erhard mal geantwortet habe: "Die Rede des Herrn Bundeskanzler war sehr reziplikativ."

Raunen im Saal. Was bedeutet dieses Wort? Steinbrück löst das Rätsel und hat sichtlich Spaß: "Das heißt gar nichts. Es spricht sich nur so gut." Er habe diese Regierungserklärung Merkels zur Eurokrise schon drei, vier Mal gehört. Selbst die halbe Regierungsbank sei ja von akutem Schlafbedürfnis überwältigt. Ein Satz habe ihm in der Rede Merkels definitiv noch gefehlt: "Eine gute Grundlage ist die beste Voraussetzung für eine solide Basis in Europa." Die Abgeordneten der SPD klatschen laut, das ist der Steinbrück, den sie sehen wollen.

Merkel blickt stoisch nach vorne

Einer, der klare Kante gegen eine aus ihrer Sicht inhaltsleere Kanzlerin zeigt, die ihre ganze Politik nur dem Ziel Machterhalt unterordne. In diesen Tagen, wo alle erst in den Urlaub und dann in den Wahlkampf ausschwärmen, gilt es, die eigenen Abgeordneten wegen der Umfragewerte von rund 25 Prozent vor frühzeitigem Aufgeben zu bewahren.

Merkel blickt stoisch nach vorne. Auch sie hatte zuvor trotz gewohnt präsidialen Auftretens in ihrer Erklärung zum EU-Gipfel ein klein wenig Wahlkampf gemacht. "Sie wollen nichts anderes als die Leistungsträger in der Mitte der Gesellschaft wieder belasten", rief sie Sozialdemokraten, Grünen und Linken zu. "Wir nicht. Das ist der Unterschied." Steinbrück hingegen betont landauf, landab, mit den Steuerplänen würden 95 Prozent der Bürger nicht stärker belastet.

Im Fokus steht weiterhin die Schuldenkrise in Europa. "Wachstum und Haushaltskonsolidierung sind keine Gegensätze. In Deutschland haben wir doch gezeigt, wie das geht", sagt Merkel. "Deutschland hat es geschafft, stärker aus der internationale Finanzkrise herauszukommen als es hineingegangen ist." Das müsse und werde Europa auch schaffen. Sechs Milliarden Euro soll es ab 2014 zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa geben.

Das Thema Europa ist für die Sozialdemokraten ein schwieriges. Sie bekannten sich schon 1925 im Heidelberger Programm zu den Vereinigten Staaten Europas. Anno 2013 geht es vielen Bürgern aber primär darum, nicht zu viel Geld für die Euro-Rettung aufzubringen. Da fühlen sich die meisten bei der Kanzlerin gut aufgehoben. Steinbrück versucht, die Gefahren ihrer Politik für den Zusammenhalt Europas zu skizzieren.

"Sie können nicht mit Geld umgehen"

Jugendarbeitslosigkeitsquoten von bis zu 50 Prozent seien Folge der "völlig einseitigen" Sparpolitik Merkels. Der "Bienenfleiß" dabei stehe in direktem Gegensatz zum Engagement für Wachstumsimpluse. Sie solle eine Allianz deutscher Firmen schmieden, die mehr junge Spanier, Italiener und Griechen in den Auslandsbetrieben einstellen. Das würde auch das deutsche Ansehen wieder heben, man dürfe nicht vergessen, wie Deutschland nach dem Krieg geholfen worden sei. "Ihnen fehlt dieses historische Bewusstsein von Europa", sagt er zu Merkel.

In Deutschland hingegen habe Merkel die Spendierhosen an und mache unfinanzierbare Wahlversprechen. Trotz Niedrigzinsen und sprudelnden Steuereinnahmen seien 100 Milliarden Euro neue Schulden gemacht worden. "Sie können nicht mit Geld umgehen. Wenn Sie in der Wüste regieren, wird der Sand knapp."

Es folgt der FDP-Politiker Rainer Stinner. Steinbrücks Rede habe ihn an Heinz Erhardt erinnert. Ein Komiker könne aber nicht Kanzler werden. Das ist noch harmlos. Es ist an Linksfraktionschef Gregor Gysi, eine offene Flanke Steinbrücks und der SPD bloßzustellen. "Eines verstehe ich nicht, Herr Steinbrück", sagt er. Wenn dieser doch die Euro-Rettungspolitik so kritisiere: Warum habe er dann den Rettungspaketen zugestimmt? Die SPD sei doch mitschuld an der hohen Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland und Spanien, sagt Gysi.

Diese vorletzte reguläre Sitzung vor der Wahl sollte wegen knapp 70 Tagesordnungspunkten bis etwa zwei Uhr am Freitagmorgen dauern.
Mit Blick auf die schon wahlkampfähnliche Stimmung betonte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU): "Ich freue mich über die erkennbar gute Laune und bin gespannt, wie lange sie anhält".

(dpa)
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