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Ein Jahr "Pegida" Angst, Hass, Verblendung

Berlin/Düsseldorf · Ein Jahr ist die "Pegida"-Bewegung alt. In dieser Zeit erlebten die selbst ernannten Retter des Abendlandes mehrere Brüche, gleichzeitig radikalisierten sich weite Teile der Protestierer. Die Hetze hält sie offenbar zusammen.

Pegida: Tausende bei "Pegida"-Demo am 19. Oktober 2015
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Tausende bei "Pegida"-Demo am 19. Oktober 2015

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Die politischen Akteure in Berlin sind sich nach einem Jahr "Pegida" einig. "Knallharte Rechtsextremisten", sagt der CDU-Innenminister. "Pegida sät den Hass, der dann zur Gewalt wird", ergänzt der SPD-Justizminister. Gibt es also einen direkten Weg von der Protestwiese in Dresden zum Anschlag auf OB-Kandidatin Henriette Reker in Köln?

Wegen des bei "Pegida" gezeigten Galgens und den für Kanzlerin und Vizekanzler "reservierten" Stricken daran ermittelt die Staatsanwaltschaft, ob damit zum Mord an Politikern aufgerufen wurde. Wie passt das zu dem Befund des Dresdner Politikwissenschaftlers Hans Vorländer, dass die "Pegida"-Demonstranten "mehrheitlich keine Bewegung von Rechtsextremisten" bildeten? Offensichtlich ist die Szene in Bewegung, bestimmen in jüngster Zeit immer mehr die Scharfmacher die Wahrnehmung von "Pegida".

Im Mai noch war Vorländers Kollege Werner Patzelt zu dem Schluss gekommen, dass "Pegida" sich nach den Verwerfungen im Frühjahr "deutlich zum rechten Rand hin restabilisiert, doch nicht radikalisiert" habe. Im Schnitt sei der "Pegida"-Demonstrant um die 49 Jahre alt, männlich, berufstätig und habe oft ein unterdurchschnittliches Einkommen. Gut 50 Prozent der "Pegida"-Anhänger glaubten, Deutschland voranzubringen, wenn sie mit ihren Demonstrationen dafür sorgten, dass es weniger Ausländer gebe. Rund 30 Prozent der Demonstranten seien sogar eher links von der Masse der Mitdemonstranten angesiedelt, sorgten sich aber um die Rahmenbedingungen der Zuwanderung. Etwa 17 Prozent seien rechtsradikal und bejahten Gewalt gegen politische Gegner. Damals hielt Werner Patzelt noch ein Verschwinden von "Pegida" für möglich. Doch der Flüchtlingsstrom hat die Bewegung wiederbelebt.

Pressestimmen zu einem Jahr Pegida: In Dresden gehen Tausende auf die Straßen
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"In Dresden zeigte sich, wie tief Deutschland gespalten ist"

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Foto: qvist /Shutterstock.com/Retusche RPO

Zunahme des "hetzerischen und aggressiven Potenzials"

Waren auch schon im Frühjahr einzelne "Pegida"-Ableger in anderen Städten wegen ihrer Radikalisierung oder rechtsextremistischen Unterwanderung in das Blickfeld des Verfassungsschutzes geraten, verzeichneten die Wissenschaftler um Vorländer auch in Dresden selbst nun eine Verschärfung. Durch die fortschreitende Zuspitzung der Rhetorik drohten die "Grenzen zwischen sprachlicher und physischer Enthemmung zu verschwinden".

Dresden: Pegida bringt wieder Tausende auf die Straße
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Pegida mobilisiert wieder Tausende in Dresden

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Auch die Sicherheitsbehörden registrieren eine Zunahme des "hetzerischen und aggressiven Potenzials". Deswegen werde die Entwicklung von Pegida und anderen "Gida"-Gruppen vom Verfassungsschutz verfolgt, erklärte ein Sprecher des Innenministeriums. Und Unions-Innenexperte Stephan Mayer verlangte, dem Bundesamt für Verfassungsschutz mehr Stellen zur Beobachtung der rechtsextremistischen Bestrebungen zur Verfügung zu stellen: "Der Verfassungsschutz ist hier schon sehr aufmerksam, muss allerdings auch in Zukunft seine Aktivitäten personell noch verstärken."

Die "Pegida"-Demonstrationszüge durch unsere Innenstädte sind auch Ausdruck von Angst und Unsicherheit der Beteiligten. Die kann in solchen Märschen und im Umfeld von Gleichgesinnten zu einer vorläufigen Beruhigung führen. Es kann aber auch ungeduldig machen, wenn kein einziges politisches Ziel auf absehbare Zeit wirklich durchsetzbar zu sein scheint. Aus der Macht der Gruppe wird dann die zunehmende Ohnmacht des Einzelnen. Genau an diesem Punkt scheint die Gewaltbereitschaft zu wachsen.

Proteste im Flüchtlingsheim in Heidenau: Der rechte Mob lebt - Pressestimmen
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"Der rechte Mob lebt"

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Foto: qvist /Shutterstock.com/Retusche RPO

Bislang war der Einzeltäter vor allem ein Phänomen des islamistischen Terrors; inzwischen gibt es auch eine deutsche Variante mit spezifischen Merkmalen. Wie jene im Leben des mutmaßlichen Attentäters Frank S. aus Köln. Ein Mann mittleren Alters, der von vielen sozialen Bezügen getrennt ist: seit Jahren arbeitslos und allein lebend, gehörte er vermutlich keiner terroristischen Vereinigung fest an; und auch die Kontakte zu rechtsextremen Organisationen scheinen nie allzu langfristig gewesen zu sein.

Frank S. wird als Einzeltäter eingestuft, der die aktuellen politischen Verhältnisse als eine Art Qual empfindet. Psychologisch ergibt sich daraus eine komplexe Situation: Zum einen fühlt sich der potenzielle Einzeltäter für den gesellschaftlichen Zustand mitverantwortlich, zum anderen aber auch als Auserwählter, der als einziger den Konflikt lösen kann.

Früheren Tätern dieser Art ist ein zwanghaftes Verantwortungsgefühl attestiert worden. Und so werden solche Attacken fast nie spontan oder aus dem Affekt ausgeübt. Ein Plan steht hinter dem Gewaltakt, der mit dem jeweiligen Opfer einer machtvollen Symbolfigur gilt. Die Bedeutung und Bekanntheit des Opfers ist es auch, die den Täter zum "Helden" werden lässt. Er opfert sich im Dienste der Gesellschaft.

Für eine solche Motivlage sprechen im Falle der Messerattacke auf Oberbürgermeister-Kandidatin Henriette Reker die ersten diffusen Bekenntnisse von Frank S. "Ich rette Messias", soll er gesagt haben. Und: "Die Gesellschaft muss vor solchen Leuten geschützt werden." Auch dies scheine Teil eines typischen Denksystems zu sein, so die Kriminalpsychologin Karoline Roshdi. Im Auftrag Jesu glaubte auch die Attentäterin zu handeln, als sie den SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine 1990 in Köln mit dem Messer angriff.

Zusammen mit der Gewalttat sind solche Worte die ideologischen Botschaften des Täters. Dass dies alles für ihn mit dem Anschlag erfüllt und erledigt zu sein scheint, bezeugt sein Verhalten unmittelbar nach der Attacke. Er dachte weder an Flucht noch an Widerstand bei seiner Festnahme.

Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hatte vor vier Wochen im Gespräch mit unserer Redaktion bereits eine böse Ahnung: "Wenn die Emotionalisierung der Rechtsextremisten gegen Flüchtlinge so weitergeht, könnten sich durchaus einzelne Anhänger noch weiter radikalisieren und Rechtsterroristen werden."

(RP)
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