Kanzleramtschef Peter Altmaier Der Li-La-Laune-Bär aus Saarlouis

Saarlouis · Er ist Merkels wichtigster Minister, schläft wenig, arbeitet viel und lebt allein. Doch Kanzleramtschef Peter Altmaier hat auch eine unbekannte Seite.

 Der damalige Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) steht im Jahr 2012 in der Schachthalle des Atommülllagers Schacht Asse.

Der damalige Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) steht im Jahr 2012 in der Schachthalle des Atommülllagers Schacht Asse.

Foto: dpa, Jochen Lübke

Drei regionale Lions- und Rotary-Clubs haben sich erstmals zusammengefunden, um für diesen Gast ein großes Publikum zu bilden, doch bei der Begrüßung passiert der Patzer. Den "Chef der Staatskanzlei" heißt der Clubvorsitzende willkommen. Verlegen verbessert er sich. Denn hier im Landhotel Rauber in Oberthal steht nicht der Kanzleichef der kleinen Saar-Regierung, hier ist der Manager der großen Regierungszentrale aus Berlin eingetroffen. Dabei hat es im Leben des Peter Altmaier (58) sicher Momente gegeben, da wäre er fasziniert von der Vorstellung gewesen, einmal für die Landesregierung in Saarbrücken arbeiten zu dürfen. Doch nun ist er der wichtigste Bundesminister für das Funktionieren der Regierungsgeschäfte einer Kanzlerin von Weltformat. "Unser Peter", sagen sie in seiner Heimat Saarlouis in einem Tonfall zwischen unbändigem Stolz und fassungslosem Staunen.

Es ist ja auch kaum zu fassen. Dass ein Mann mit angeborener Hasenscharte so telegen in den populärsten TV-Talks rüberkommen würde. Dass einer mit der Ausstrahlung eines Li-La-Laune-Bärs einen derart fordernden Job in der ersten Reihe bekäme. Dass ein alternder Nachwuchspolitiker, der so lange in der Warteschlange der CDU stand, von den Medien mal als "Alleskönner" umschrieben werden würde, wenn er aus dem Schatten der Hinterbänkler ins Scheinwerferlicht der großen Politik tritt.

"Macht Macht einsam?"

Ist da unterwegs was auf der Strecke geblieben? Wenn er um kurz nach sechs frühstückt, ist er allein. Wenn er dann mit dem Koordinieren von Flüchtlingspolitik, Ministerien, Bund-Länder-Beziehungen, Regierungsinitiativen, Nachrichtendiensten und auch mit dem Aktenstapel für die Kanzlerin, wenn er also mit allem fertig ist, was den Adrenalinspiegel hochhält, dann ist da auch keiner, mit dem er wieder runterkommt. Selbst für seine legendären Abendeinladungen mit Selbstgekochtem in seiner Berliner Wohnung reicht die Zeit nicht mehr. Macht Macht also einsam?

"Der liebe Gott hat es so gewollt, dass ich alleine durchs Leben gehe" hat Altmaier schon vor Jahren in einem Interview gesagt. Das scheint für ihn nicht bedauerlich zu sein. Es ist eher eine Erklärung, warum ihm die vielen Veranstaltungen an vermeintlich "freien" Wochenenden, die Verhandlungen, Beratungen und Koalitionstreffen bis zum frühen Morgen so wenig ausmachen. "Das passt", sagt er. Und dass er von Natur aus mit wenig Schlaf auskommt, so wie die Kanzlerin, das passt noch mehr.

Ein Minister, der vor allem funktioniert? Der "Ochsentour" sagt, um seinen Weg vom Plakatekleber über den Orts-, Kreis- und Landesvorsitz bei der Jungen Union zu beschreiben — und das Wort sofort wieder zurückzunehmen: Nein "Ochsentour", das klinge zu negativ. Dabei habe es ihm doch Spaß gemacht. "Da habe ich damals Flugblätter verteilt", sagt Altmaier und weist auf ein paar Poller vor dem Gymnasium am Stadtgarten in Saarlouis. "Und da habe ich oft meine Hausaufgaben gemacht", fügt er hinzu und zeigt auf eine Bank im Park daneben. Wenn es bei den Jungen Union zu spät geworden war und er vor dem Unterricht noch schnell einen Aufsatz schrieb.

Politik hatte für ihn immer schon Priorität. Sein Vater, Bergmann wie dessen Vorfahren, war politisch interessiert, las eine ganze Reihe von Tages- und Wochenzeitungen, die dann auch der kleine Peter studierte. Seine Mutter hatte Akademikerin werden sollen, in den Nachkriegswirren dann aber Geld verdienen müssen. So war denn der Sohn mit seinem Werdegang die logische Folge dessen, was die Eltern auch gewollt hätten: Studieren, Jurist und EU-Beamter werden, im Job Französisch und Englisch perfektionieren und privat auch noch Niederländisch dazu. Alles fließend.

Dabei war Deutsch seine erste Fremdsprache. Das bricht bei den Abendterminen durch, wenn er "dahemm" die Zuhörer auffordert, sich von den Wahlumfragen "nicht wurres machen" zu lassen, wenn er von der "Angscht" vor Veränderungen spricht und die "nägschte" Zukunft beschreibt, in der Pflegeroboter selbstverständlich sind und er seinem Exemplar im Alter dann sagen werde: "Ab in die Kich!" Das ist die Stelle, an der er in seinen Reden auch seine Mutter einbaut, die nach einem schweren Sturz nun drei Schrauben im Nacken habe und deshalb mit fast 88 nicht mehr Auto fahren könne. So wirbt er mit ihr fürs autonome Fahren.

Autonom gefahren werden, das war eigentlich nicht sein Ding. Der Altmaier, der stand anfangs für Rebell. Inmitten der SPD-Begeisterung um Willy Brandt gründet der Gymnasiast die Schülerunion in Saarlouis — auch aus Protest gegen verbreitete linke Strömungen unter Lehrern und Mitschülern. Und als er 1994 endlich in den Bundestag einzieht, ist er zwar schon zu alt für die "junge Gruppe", aber nicht für die "jungen Wilden". Die wollen Vergewaltigung in der Ehe bestrafen, die Staatsbürgerschaft Richtung Integration öffnen und die Sprachlosigkeit gegenüber den Grünen beenden. Altmaier gehört zur "Pizza Connection", die in den 90ern schon sehen will, was schwarz-grün geht. Und der Altmaier, der sich heute gegen alle "Merkel-muss-weg"-Rufe stemmt, der weiß am Ende seiner ersten Wahlperiode: Kohl muss weg. Neben Friedbert Pflüger und Herrmann Gröhe erscheint er auf den Titelseiten, als vom geplanten "Putsch gegen den Kanzler" berichtet wird. Das Kanzleramt selbst hat es offenbar lanciert, um den Widerstand zu brechen. Am Ende ist Kohl Geschichte.

Zwei Jahrzehnte später ist Altmaier eine öffentliche Person. Beim Einkauf am Samstagmorgen im örtlichen Globus-Markt steht er unter genauer Beobachtung. "Ja, saarländische Eier sind gut", ruft es hinter ihm, wenn er nach einer Packung greift. Der eine bestellt Grüße von seinem Schwager, die andere will Rat in einem komplizierten Fall. "Das kann ich nicht, dann heißt es, die Bundesebene mischt sich in die Landespolitik ein", sagt der Kanzleramtsminister und stellt sich an der Fleischtheke an. Minuten braucht der Kunde vor ihm für ein paar Scheiben Wurst. Altmaier wartet geduldig, bis er an der Reihe ist. Hat bei ihm in der großen Politik ja auch funktioniert. Sogar als Saarländer, sogar als Mann, sogar als Mittvierziger. Will sagen: dass der Außenseiter für keine der üblichen Proporz-Tickets "wichtiger Landesverband" oder "Frau" oder "jung" in Frage kam.

Wenn das Anstellen dann jedoch dazu führt, dass man als Justiziar im Fraktionsvorstand Eindruck machen kann, dann klappt es auch mit dem Innen-Staatssekretär. Und wenn er den Minister dort so überzeugt, dass der ihn (eine kleine Bürokratie-Revolution) in die Mitzeichnungskette aufnimmt, dann muss man es sich schon zwei Mal überlegen, ob man auf Bitten Merkels das Regierungsamt aufgeben und als Parlamentarischer Geschäftsführer die Heimat verwirren soll: "Ist er jetzt abgestiegen?" Doch nur um umso kraftvoller aufzusteigen und als Saarländer einen Nordrhein-Westfalen zu ersetzen: Umweltminister Norbert Röttgen, mit dem er einst Seite an Seite bei den "jungen Wilden" focht und eine enge Freundschaft pflegte.

"Escape"

Vom Augenblick der Ernennung zum Bundesminister ändert sich auch Altmaiers Leben. Apparate neigen dazu, die Terminkalender der Chefs nach optimalen Verläufen zu füllen. Da kann es dann zwischendrin selbst für die Pinkelpause zu knapp werden, wie er sich während der Fahrt zwischen zwei Terminen erinnert. Außerdem brauche er Denk-Pausen. "Es ist doch manchmal wichtig, einfach mal über eine Sache nachzudenken." Das ist die Stelle, an der er das Wort "Escape" in den Mund nimmt. Flucht. Einer wie er, der scheinbar perfekt im Räderwerk der Regierung rotiert, der genießt es ganz besonders, einfach mal abzutauchen. Anzug gegen Jeans zu tauschen, nach Ludwigslust zu fahren und in das Wirken der Herzöge von Mecklenburg-Schwerin einzutauchen.

Das ist das Leben, in dem Altmaier häufiger von "Liebe" spricht. Mag er auch noch so präsent in der 140-Zeichen-Twitter-Generation sein. Er liebt seine Bücher. Tausende hat er, auch viele, die schon hundert Jahre und älter sind. Von einer Sekunde zur anderen in einer anderen Zeit sein können: "Kopfkino" sei das für ihn. Und dabei schaut er mindestens so begeistert, als sei ihm gerade eine neue Kreation seiner berühmten gefüllten Klöße gelungen. Er liebt noch mehr. Neben den Büchern und dem Kochen seinen Garten, den er so gerne "englisch" hätte. Er hat es schon mehrfach versucht. Mit Hunderten von Blumen. Aber die blühten stets nur einen Sommer lang. Die Zeit. Die Zeit hindert ihn auch daran, mal selbst ein Buch zu schreiben. Zum Beispiel darüber, wie Politik wirklich abläuft, so dass es jeder versteht.

Wer ihn über die Jahrzehnte verfolgt hat, kann sich das gut vorstellen. Jacob Fuhrmann etwa, der mit Altmaier zur Schule gegangen ist und der nun mit seiner Bürgerinitiative Front gegen Windräder macht. Er war somit auch anderer Auffassung als der Schulfreund und Umweltminister Altmaier. Aber an seiner Hochachtung hat das nichts geändert. Früher sei der Peter bei seinen Reden, nun ja, nicht so überzeugend gewesen. Aber wenn er nun mühelos in Deutsch und Französisch eine halbe Stunde oder noch länger die Menschen mitnehme, da kämen wohl nicht nur seine saarländischen Freunde auf den Gedanken: "Der kann auch Kanzler." Einschränkend kommt sofort ein "aber dafür fehlt ihm vermutlich die Ausstrahlung" hinzu. In Berlin bezweifeln Sozialdemokraten sogar seine Kompetenz, wenn sie seinen Schreibtisch ein "Bermuda-Dreieck" nennen. Aber die Kritik am Kanzleramt ist nicht neu in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Wenn Projekte, vor allem die vom kleineren Koalitionspartner, nicht vorankamen, war der jeweilige Kanzleramtschef schnell als Schuldiger ausgeguckt.

Keine Sekunde Langeweile

Allerdings: Auch im saarländischen Überherrn, beim Fischessen mit CDU-Leuten im Gasthaus Häsfeld, mischt sich in die Bewunderung eine dumpfe Vorahnung. Mit "Grenzen zu"-Parolen kann man bei Saaländern zwar nichts gewinnen, dazu leben hier Franzosen, Luxemburger und Deutsche zu intensiv zusammen. Doch die CDU-Basis nimmt eine Anti-Merkel-Stimmung wahr. "Meine Kinder wollen auch mal ein anderes Gesicht sehen", berichtet einer, der "den Peter" damit ausdrücklich nicht meint. Aber Altmaier kämpfte als "junger Wilder" für eine CDU-Programmatik, die er mit Merkel bekam. Und die ihn vielleicht deshalb als engsten Vertrauten wählte. So ist nun sein Schicksal wie kaum ein anderes mit dem seiner Chefin verknüpft.

Er wird also wieder kämpfen müssen. Zudem nicht nur auf Bundesebene. So dürften die Medien genau verfolgen, wie zwei Bundesminister in den Clinch gehen. Der Saarländer und SPD-Justizminister Heiko Maas will dem Saarländer und CDU-Kanzleramtsminister Peter Altmaier das Direktmandat in Saarlouis abnehmen. Der Schwarze will den einstmals roten Wahlkreis halten. Das könnte knapp werden. Aber wirklich nervös wirkt er nicht. Auch nicht, wenn es um den "Schulz-Effekt" geht und um die Möglichkeit, nach der Wahl im Herbst nicht mehr zu regieren.

Es sei bei einem Politiker "immer eingepreist", dass er auch verlieren könne, sagt er, als gehöre die Niederlage zum natürlichen Repertoire von Spitzenpolitik. Aber dann analysiert er, warum die Menschen nach der Rückkehr aus dem Urlaub, wenn es ernst werde, "ganz andere Fragen" haben und seine Chefin die besseren Antworten darauf geben werde. Was er dann machen wolle? Achselzucken mit süffisantem Lächeln. "Um die Posten geht es immer erst ganz zum Schluss." Eines weiß er jedoch ganz bestimmt: Bis an sein Lebensende werde er "keine Sekunde Langeweile" haben.

(may-)
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