Vizekanzler-Gattin Wiebke Rösler „Philipp, viel Spaß mit den Kröten“

Düsseldorf (RP). In der kommenden Woche erscheint die Biographie "Philipp Rösler - ein Portrait. Glaube. Heimat. FDP". Vor der Veröffentlichung des Buches bringen wir einen exklusiven Vorabdruck daraus: Im Interview spricht Wiebke Rösler über Kindererziehung, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und das Leben als Vizekanzler-Gattin.

 Wiebke und Philipp Rösler

Wiebke und Philipp Rösler

Foto: AP, AP

Sie sind berufstätig und Mutter von Zwillingen. Leben wir in einer kinderfreundlichen Gesellschaft?

Rösler Puh. Was heißt denn ,kinderfreundlich'? Grundsätzlich denke ich, wenn man jetzt landläufige Vorstellungen zum Begriff ,kinderfreundlich' zu Grunde legt: ja. Man erlebt es, dass einem kinderfreundlich begegnet wird, natürlich dort, wo viele Kinder sind und man an Kinder gewöhnt ist. Aber es passiert auch dort, wo gar keine Kinder sind, man sie aber mag und deshalb auch kleine Abenteuer toleriert.

Es hat mich gefreut, wie das frischgebackene Ehepaar Lindner bei unserem Besuch dort entspannter als wir mit angesehen hat, wie unsere Kinder auf dem Balkon wassergefüllte Blumentöpfe umgekippt ("trocknet wieder"), die weißen Polster mit Krümeln bearbeitet ("kann man waschen") und den Tisch mit Apfelschorle geflutet haben.

Ist so ein Verhalten die Regel?

Rösler Das Gegenbeispiel sind die klassischen Situationen am Bus, wenn 20 Fahrgäste an einem vorbei stürmen, um sich einen Sitzplatz zu sichern anstatt zu helfen, den Wagen in den Bus zu heben. Schade, dass es üblich ist, dass sich da nur Mütter gegenseitig helfen. Da kann man dann schon mal leise fluchen. Ich will aber nicht, dass Kinderfreundlichkeit eingeklagt wird, wenn es eigentlich um Rücksichtslosigkeit geht.

Natürlich sollen Kinder auch laut sein und toben dürfen — aber ich achte schon darauf, dass in der Mittagszeit zum Beispiel bei uns im Garten nicht der Lärmpegel eines startenden Düsenjets herrscht. Obwohl oder gerade weil ich weiß, dass unsere Nachbarn sich gerne mit unseren Kindern am Zaun ,unterhalten' und sich nie über ihr lautes Singen oder Rumtoben beklagen.

Sie haben als Ärztin und junge Mutter zunächst keine passende Teilzeitstelle in Ihrer Klinik bekommen, obwohl überall Fachkräfte gesucht werden. Sind die Arbeitgeber ignorant?

Rösler Desinteressiert und bequem trifft es eher. Es ist leichter gesagt, dass Mütter wieder arbeiten sollen, als es dann selbst auch umzusetzen. Dafür müsste man ja auch mal Arbeitsabläufe einer Abteilung auf den Prüfstand stellen und den Bedürfnissen von Teilzeitkräften anpassen. Oder ihnen zumindest entgegen kommen. Es nervt, dass ein Elternteil, das in Teilzeit arbeiten möchte, zuallererst als Problem angesehen wird.

Das wird auch gerne direkt so formuliert. Ich habe Vorgesetzte, die ganz klar sagen, Teilzeit auf einer Station funktioniert überhaupt nicht und auf meiner schon gar nicht. Denen kann man durch seine Arbeit und sein eigenes Engagement nur zeigen, dass es auch anders geht. Und ich will mir entspannt ansehen, wie die in zehn Jahren gedenken, ihren Arbeitsalltag zu gestalten, wenn die jetzigen Medizinstudentinnen auf den Arbeitsmarkt kommen.

Die Branche verschläft das Thema?

Rösler Ich mache keinen Hehl daraus, dass mich dieses Thema sehr umtreibt und ich da viele Ungerechtigkeiten empfinde. Eine Zeit lang habe ich gedacht, ich sag jetzt nicht, ich arbeite 60 Prozent, sondern 160 Prozent, eine 100 Prozent-Stelle habe ich ja schon zu Hause. Aber das ist vermutlich zu sperrig.

In ruhigen Momenten denke ich, die werden schon sehen, was sie von ihrer bornierten und engstirnigen Sichtweise haben. Ich baue auf die normative Kraft des Faktischen, wie man so schön sagt. Wichtig an dieser Stelle ist mir, dass es hier nicht nur die Arbeitgeber sind, um die es geht. Ich habe erkannt, dass wohl das schwierigste, was einem (teilzeit-)arbeitenden Elternteil passieren kann, kinderlose Vorgesetzte und Kollegen sind. Und Kolleginnen. Zum Verzweifeln.

Wurden Sie schief angeschaut, weil Sie ein Jahr nach der Geburt wieder in den Job einsteigen wollten?

Rösler Na ja, ich habe schon gespürt, dass das einige verrückt fanden. Aber weniger wegen der Wiederaufnahme an sich als wegen der Tatsache, dass mein Mann zu diesem Zeitpunkt bereits in Berlin und ich in der Arbeitswoche mit den Kindern ja faktisch alleine war. Ich habe das zu dem Zeitpunkt nie hinterfragt. Ich wollte das unbedingt so. Mein Mann macht Karriere und ich hocke als Akademiker-Mami auf der Krabbeldecke? Niemals.

Dazu kam, dass ich so schnell wie möglich meinen Facharzt machen wollte. Vor allem dieses Ziel hat meine Familie mitgetragen, in besonderer Weise meine Eltern und auch meine Schwestern. Sie haben mich sehr dabei unterstützt. Wenn ich heute sage, dass das ja doch alles ganz schön anstrengend war, ernte ich meistens nur ein belustigtes ,Ach ja?' aus der familiären Runde. Wobei ich es ausdrücklich nicht abwerten möchte, wenn sich ein Elternteil dafür entscheidet, zu Hause zu bleiben.

Bei mir selbst war die ersten eineinhalb Jahre mein Vater zu Hause, da er noch studiert und meine Mutter schon Geld verdient hat. Mit der Geburt meiner Schwester hat sich das dann geändert und ich hatte mit ,Mama zu Hause' eine tolle Kindheit. Ich war auch ziemlich ungehalten, als sie dann wieder angefangen hat zu arbeiten. Heute weiß ich natürlich, dass das genau richtig war. Woraus sich für mich auch die Frage ableitet, wie es bei mir weitergeht.

Und?

Rösler Ich möchte schon da sein, wenn unsere Kinder aus der Schule kommen. Ich glaube auch, dass man dann wesentlich oder anders zu Hause präsent sein muss als jetzt. Aber ich neige dazu, so was auf mich zukommen zu lassen. Noch mal zurück zu den schiefen Blicken: Wenn ich darauf was gegeben hätte, wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin. Und spätestens als ich im April meine Facharzturkunde in der Hand hatte, war ich auch einfach mal stolz. Manchmal bin ich noch erstaunt, dass wir das so gut gepackt haben.

Muss moderne Familienpolitik Gleichstellungspolitik sein?

Rösler Ganz ehrlich? Ich glaube, dass Familienpolitik wenig bringt. Das kann man nicht steuern. Eltern müssen begreifen, dass nicht nur der Entschluss zu Kindern und die Entstehung der Kinder ein Gemeinschaftsprojekt ist. Mein Mann hat mich immer, wirklich immer in allem unterstützt. Der glaubt viel mehr an mich und meine Fähigkeiten als ich selbst und traut mir auch viel mehr zu. Wenn ich nach der Geburt der Kinder gesagt hätte, ich bleibe jetzt komplett zu Hause, hätte er auch gesagt: gut, wenn Du dabei glücklich und zufrieden bist. Aber ich glaube, er hat da bewusst jemanden wie mich geheiratet. Es sollte nicht mehr als Normalfall gelten: Der Mann geht arbeiten, die Frau bekommt Kinder, und wenn sie dann wieder arbeiten geht, hat sie halt Beruf und Kinder.

Normalfall sollte sein: Beide gehen alles gemeinsam an. Und zwar, weil man das so will - und nicht, weil man das von oben verordnet bekommt oder es finanzielle Anreize gibt. Das muss von einem selbst kommen, es ist eine Sache der Einstellung. Genauso müssen auch Mütter abgeben können. Ich erlebe oft, dass Mütter ganz schlecht Aufgaben an Väter abgeben. Da sind die Kinder falsch angezogen, er hat ,morgens natürlich den falschen Käse auf das Frühstücksbrot gemacht', falls es nicht sowieso einfach Kekse gab. Und dass ,er die Kleine nach dem Mittagsschlaf mit dem Morgengruß weckt - die kommt ja ganz durcheinander'.

Wie ist es im Hause Rösler?

Rösler Bei uns hat sich das so nie gestellt, weil man als Zwillingsvater einfach immer mit ran muss. Oder wie es unsere Hebamme einmal ausdrückte: ,Zwillingsväter sieht man nie ohne ein Kind auf dem Arm'. Mütter machen es sich auch manchmal einfach, indem sie sagen: ,Im Kinderzimmer regiere ich!'. Ich kenne ganz selbstbewusste Frauen, die nicht in der Lage sind, ihre Kinder beim Vater zu lassen ohne fünf mal anzurufen, ob auch alles in Ordnung ist und doppelt so oft aufs Handy schielen.

Natürlich kommt mein Mann mit den Kindern klar. Er ist doch der Vater! Man muss dann auch mal ganz selbstbewusst sagen: Ich brauch' jetzt mal Zeit für mich, viel Spaß mit den Kröten, Du weißt ja, wo alles ist. Aber da kann die Familienministerin vermutlich flächendeckend plakatieren; es hilft nichts, das muss vorgelebt werden. Sonst ändert sich nichts. Aber ich habe Hoffnung.

Ab September arbeiten in meiner Abteilung fünf Mütter, davon vier in Teilzeit. In einem Fall geht der Partner in Elternzeit, andere haben reduziert, damit ihre Frau auch arbeiten kann. Ich erlebe in unserem gesamten Freundes- und Bekanntenkreis, dass es noch nicht selbstverständlich ist, aber mehr und mehr wird.

Hat sich Ihr Mann verändert, seitdem er in Berlin Politik macht?

Rösler Er hat sich sicher verändert - aber wer tut das nicht im Alter zwischen 23 und 38?

Wie halten Sie den Vizekanzler aus dem Privatleben heraus? Wie erden Sie Philipp Rösler?

Rösler Ich kann den Vizekanzler nicht aus dem Privatleben raushalten. Ich bin mit ihm verheiratet. Was ich definitiv nicht wäre, wenn man ihn erden müsste.

Wünschen Sie sich manchmal, dass Ihr Mann Arzt geblieben wäre?

Rösler Höchstens, weil er ein wesentlich besserer Arzt geworden wäre als er immer behauptet. Alles ist gut, wie es ist.

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