Jahresrückblick 2013 Piraten und AfD — die enttäuschten Außenseiter

Berlin · Anfang des Jahres 2013 sah es noch so aus, als wären Volksparteien Vergangenheit und Ein-Themen-Parteien im Kommen. Doch weder AfD noch Piraten schaffen es in den Bundestag.

Zehn Fakten und Hintergründe zur AfD
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Zehn Fakten zur AfD

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Foto: dpa, Bernd von Jutrczenka

Die Forsa-Umfrage schlägt im Februar des Wahljahres 2013 in den Parteizentralen der "Großen" wie eine Bombe ein. Manfred Güllners Meinungsforscher haben herausgefunden, dass 24 Prozent der Deutschen sich vorstellen könnten, eine europakritische Partei zu wählen. Gerade hat sich die "Alternative für Deutschland" - kurz AfD - gegründet. Unter der Führung des Hamburger Wirtschaftsprofessors Bernd Lucke macht das neue Bündnis sich rasch bekannt. Die Euro-Kritiker wollen es besser machen als die Piraten. Beide Parteien wollen vor allem anders sein als die Etablierten.

Tatsächlich sind die kleineren Parteien seit Jahren im Aufwind. Politikforscher sehen das Prinzip Volkspartei im Schwinden begriffen, nachdem Union und SPD schon länger nicht mehr über Werte von 40 Prozent gekommen sind. Dazu passt, dass die Gesellschaft immer weniger homogen ist. Die Antwort auf die Individualisierung ist die Ein-Themen-Partei. Die Piratenpartei scheint das zu belegen, doch 2013 wird zum Jahr des Sinkflugs für die Freibeuter des Internets. Ihre Themen Netzpolitik, Datenschutz und Basisdemokratie - die Idee, der lahmenden Parteienrepublik auch zwischen den Wahlen ein neues Betriebssystem zu verordnen - reichen nicht aus, um sich dauerhaft als Alternative zu präsentieren.

Zudem haben die Piraten mit personellen Querelen zu kämpfen. Insbesondere der Auftritt des neuen politischen Geschäftsführers sorgt zunehmend für Unmut in der jungen Partei, die sich in Deutschland erst 2006 gegründet hat. Johannes Ponader setzt sich in Sandalen in Talk-Shows, spricht über freie Liebe und inszeniert sich als glücklicher Arbeitsloser. Viele Piraten sind wütend, weil sie sich nur noch über Fehltritte Ponaders und nicht über ihr Programm in die Schlagzeilen bringen. Auf dem Parteitag im Mai gibt der umstrittene Geschäftsführer dem Druck nach und zieht sich aus dem Vorstand zurück.

Die neue Geschäftsführerin Katharina Nocun hat wenige Monate vor der Bundestagswahl kaum noch Zeit, das Ruder herumzureißen. Vorsitzender Bernd Schlömer und sein Team schaffen es nicht, in der im Sommer aufkommenden NSA-Affäre um die Enthüllungen des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden als Stimme für den Datenschutz durchzudringen. Dabei ist das millionenfache Abgreifen von Verbindungsdaten unbescholtener Bürger eigentlich eine Steilvorlage für die bürgerrechtsbewegten Piraten. Sie steigen viel zu spät und zu leise in die Debatte ein.

Ihre Umfragewerte sind jetzt stetig unter der Fünf-Prozent-Hürde. 2012 konnten sich noch bis zu 14 Prozent der Wähler vorstellen, den Piraten ihre Stimme zu geben. Das Versprechen auf mehr Mitbestimmung und Basisdemokratie war attraktiv. Doch haben auch die Großen darauf reagiert. Netzpolitische Sprecher gibt es auch bei Union und SPD, Peer Steinbrück hat mit der Designforscherin Gesche Joost eine Frau für Digitales in seinem Kompetenzteam für den Bundestagswahlkampf.

Die Piraten erreichen am 22. September für sie enttäuschende 2,2 Prozent und haben sich im Vergleich zu 2009 nur noch leicht verbessern können. Schon kurz nach der Bundestagswahl dreht sich ihr Personalkarussell wieder weiter. Der 45-jährige Software-Entwickler Thorsten Wirth aus Frankfurt will als neuer Vorsitzender jetzt wieder stärker "Werte und Ideale" in den Vordergrund rücken. Die Piraten stehen am Ende des Superwahljahres 2013 kurz davor, in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden.

Personell besser aufgestellt hat sich da die "Professoren-Partei" AfD. Bei einem offiziellen Gründungsparteitag in Berlin Anfang April verabschiedet sie ihr Kurzprogramm, das zunächst im Wesentlichen in einem Stopp der Euro-Rettungsmaßnahmen und der Rückabwicklung des Euro besteht. Lucke, der 30 Jahre lang CDU-Mitglied war, erklärt begleitet vom Jubel der 1500 angereisten Parteimitglieder in Berlin, die AfD bräuchte "keine ideologischen Wegweiser", sondern nur den "gesunden Menschenverstand".

Lucke ist eloquent und gebildet. Er vermag das Unbehagen in Worte zu fassen, das viele Bürger bei den milliardenschweren Summen für die Rettung maroder Staaten im Euro-Raum erfasst hat. Den Vorwurf des Rechtspopulismus kann Lucke abwehren. Als er am Abend der Bundestagswahl aber von "Entartungen von Demokratie und Parlamentarismus" in den vergangenen vier Jahren spricht, gerät er wegen der historisch belasteten Wortwahl in die Kritik. Bis zur Auszählung der letzten Stimme hofft die AfD noch auf den Einzug in den Bundestag. Am Ende erzielt sie mit 4,7 Prozent aber doch nur einen Achtungserfolg.

Für die Euro-Kritiker wird die Europa-Wahl im Mai 2014 entscheiden, ob sie längerfristig eine Rolle spielen können. Ihre Chancen stehen dort besser, weil es nur eine Drei-Prozent-Hürde für den Einzug gibt. Am Ende des Wahljahres ist aber unsicher, ob sich die Neuen dauerhaft etablieren. Das Ende der Volksparteien ist jedenfalls anders als erwartet nicht in Sicht, im Gegenteil. Mit dem Wahlsieg der Union von 41,5 Prozent sind plötzlich wieder Mehrheiten vorstellbar, die niemand mehr für möglich hielt.

Alle unsere Texte zum Jahresrückblick finden Sie nach und nach hier.

(RP)
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