Partei sinkt in Umfragen weiter ab Piraten versenken sich allmählich selbst

Berlin · Die Piraten sind dabei, sich selbst zu versenken. Nach einer fulminanten Kaperfahrt durch die Landtage von Berlin, dem Saarland, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein ist ihr Schiff leckgeschlagen.

Piraten, die man kennen könnte
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Foto: dpa, Rolf Vennenbernd

Das rettende Kommando "Alle an die Lenzpumpen" kann Piratenkapitän Bernd Schlömer aber nicht geben, denn dafür bräuchte es einen Beschluss der Besatzung. Die aber streitet über die wahren Piratenwerte.

In Niedersachsen, wo im Januar mit der Landtagswahl der letzte große Testlauf vor der Bundestagswahl startet, sind die Piraten in Umfragen schon abgesoffen. Nach einer Infratest-dimap-Studie halbierte sich die Zustimmung für die ehemaligen Shooting-Stars von Mai bis September von acht auf vier Prozent.Noch düsterer sieht es in einer Erhebung des GMS-Instituts aus. Demnach verloren die niedersächsischen Piraten zwischen April und September zwei Drittel ihrer Anhänger und sanken von neun auf drei Prozent.

Im Bund ist die Piratenpartei noch in keiner Erhebung unter die Fünf-Prozent-Hürde gerutscht. Aber ihr Trend zeigt seit Monaten unerbittlich nach unten. Parteichef Schlömer hatte es schon bei seiner Wahl im April gewusst: Die Programmarbeit müsse vorangetrieben werden, damit die Bürger wüssten, was die Piraten wollten. Fünf Monate später ist immer noch unklar, welche Vision die Piraten haben, abgesehen von Transparenz, Basisbeteiligung und freiem Internet.

Unklarheit über das Programm

Schlömer und andere Spitzenpiraten bleiben regelmäßig in Talkshows Antworten schuldig, etwa auf die Frage nach einem Konzept zur Lösung der Euro-Krise. "Wofür die stehen, weiß kein Mensch", diagnostizierte Forsa-Chef Manfred Güllner.
Der Schatz der Piraten, ihre unbedingt basisdemokratische Ausrichtung, ist zugleich ihr Fluch. Nichts, was eine Mitgliederversammlung - eine Delegiertensystem lehnen die Piraten ab - nicht abgesegnet hat, zählt zum offiziellen Gedankengut. Jeder, der sich darüber hinaus wagt, muss mit einem "shitstorm" rechnen - einer Beschimpfungsorgie im Internet.

Ein Beispiel: Der Bundesvorstand erteilte der Arbeitsgruppe "Nuklearia" vergangenen Monat eine Abmahnung, weil diese den Eindruck erweckt hatte, die Partei befürworte die Atomenergie. Im Internet löste das eine muntere Debatte aus. Jacky Neiwel etwa fragte: "Was für Vollpfosten verteilen bei euch eigenmächtig solche Abmahnungen?"

Der Zwang, sich ständig der Schelte der Basis zu stellen, nimmt manchen Spitzenpiraten die Lust an der politischen Arbeit. Der Berliner Landesverband, dem es vergangenen September gelang, erstmals in ein Landesparlament einzuziehen, hat seitdem zweimal einen neuen Vorstand wählen müssen. Immer wieder geraten die Spitzenleute unter Beschuss aus den eigenen Reihen. Der politische Geschäftsführer Johannes Ponader etwa geriet in die Kritik nach einem Talkshow-Auftritt, der ihm als Selbstinszenierung ausgelegt wurde.

Jüngst hatte die Beisitzerin im Bundesvorstand, Julia Schramm, Ärger. Der Verlag ihres Buches "Klick Mich - Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin" ging gegen Kopien im Internet vor. Daraufhin warfen Piraten Schramm Unglaubwürdigkeit vor. Schließlich zieht die Partei gegen das Urheberrecht zu Felde und verteidigt den ungehinderten Austausch von Inhalten im Internet.

Ausbleibende Beitragszahlungen

Auch bei ihrem Mantra - der Basisbeteiligung - bleiben die Piraten hinter den Erwartungen zurück. Ursprünglich sollte sich mit dem Umfrage-Instrument Liquid Feedback jedes einfache Parteimitglied einbringen und so mitregieren können. Technische Schwierigkeiten verhindern allerdings, dass das auch jeder kann.
Wichtiger ist jedoch: Nicht jeder Pirat hat offenbar Lust, viel Zeit am Monitor zu verbringen. Nur ein kleiner Teil hat bislang eigene Anträge ins Liquid Feedback eingegeben.

Die Mitmach-Kultur hat auch beim Finanziellen Grenzen. Parteichef Schlömer klagte über ausbleibende Mitgliedsbeiträge. Rund 40 Prozent der über 33.000 Mitglieder haben den Jahresbeitrag von 48 Euro nicht berappt. Für die Bundestagswahl sind aber volle Parteikassen unbedingt nötig.

Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Emnid, Klaus-Peter Schöppner, sagte schon vor Wochen angesichts der programmatischen und personellen Unwägbarkeiten, die Piraten hätten ihren Zenit überschritten. Schlömer aber ist optimistisch. Er vertröstet die Piraten-Fans auf November und das Frühjahr. Dann sollen zwei Parteitage die Positionen in wichtigen Politikfeldern festlegen und neue Fahrt Richtung Bundestag aufgenommen werden.

(REU)
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