Political Correctness Die Gefahren unserer Selbstzensur

Düsseldorf · Political Correctness bewahrt uns vor sprachlichen Entgleisungen. Sie kann auch ein Maulkorb sein, indem vor allem bei sensiblen Themen homogene Meinungen erwünscht und Andersdenkende reflexhaft abgestraft werden. Eine Analyse.

 Jeder Bürger hat das Recht, "seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten", steht im Artikel 5 des Grundgesetzes.

Jeder Bürger hat das Recht, "seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten", steht im Artikel 5 des Grundgesetzes.

Foto: Friso Gentsch

Über diese Verfassungsväter lässt sich schlecht streiten. Über solche weisen Leute also, die jedem Bürger das Recht garantierten, "seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten". Und die im selben Absatz des fünften Artikels unseres Grundgesetzes außerdem versprechen, dass eine Zensur nicht stattfindet.

An eins aber haben sie nicht gedacht, vielleicht deshalb, weil es in einer aufgeklärten Gesellschaft einfach undenkbar schien: nämlich an die Möglichkeit der Selbstzensur. Dieser Vorgang der eigenen Beschränkung hat einen Namen, den wir gerne in seiner englischen Variante gebrauchen, um vielleicht davon abzulenken, dass es etwas sehr typisch Deutsches sein könnte — die sogenannte Political Correctness.

Günther Oettinger und seine "Schlitzaugen"-Rede

Man weiß jedenfalls, was gemeint ist, wenn dieser Begriff fällt, der bis vor Kurzem mehr war als nur die Ermahnung zur gesellschaftspolitisch unstrittigen Rede. Political Correctness — kurz: PC — diente uns als Chiffre, mit der wir den Beweis antreten konnten, dass zivilisatorisches Verhalten zum Humus der Gesellschaft gehörte. PC war eine Haltung, eine Errungenschaft, ein Gestus der Wohlmeinenden.

Auf jeden Fall ist Political Correctness nicht die ganz große Keule und selten ein Instrument im Kampf gegen Rassismus und Fundamentalismus. Ihre Spielwiese ist zumeist die knappe Übertretung des Erlaubten von einem bis dahin eher unverdächtigen Sprecher in einem vergleichsweise unverdächtigen Kontext. Wenn etwa EU-Kommissar Günther Oettinger von "Schlitzaugen" spricht, wenn er Chinesen meint, oder der Historiker Herfried Münkler im Radio-Interview "große Teile des Volkes" als "dumm" bezeichnet.

Der Erregungsfaktor ist jedes Mal beträchtlich, der Erkenntnisgewinn bei solchen Disputen aber äußerst überschaubar.

Obgleich das Wort an US-amerikanischen Universitäten der 1980er Jahre populär und einsatzfähig wurde, scheinen die Deutschen in der Umsetzung mal wieder ein wenig zu ehrgeizig und streberhaft agiert zu haben. PC ist zum Kampfbegriff geworden und zudem ein wenig in Verruf gekommen, zumindest seine Anwendung in allzu hohen Dosierungen. Dabei wird PC keineswegs von den Rabauken des Politgewerbes in Frage gestellt. Der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann war es, der verlauten ließ, dass man es mit der politischen Korrektheit nicht übertreiben dürfe. Zu ähnlicher Gelassenheit hat auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen aufgerufen. PC sei ihres Erachtens hierzulande überzogen worden; und: "Der soziale Druck, homogen zu antworten, war zu hoch."

Political Correctness beschreibt ein eingeübtes Sprechen

PC dient nach diesen Worten kaum der Vermittlung oder der Aufklärung. Ihre Funktion ist der gesellschaftlich sanktionierte Maulkorb; sein Ziel ist die einhellige Meinung in sensiblen Debatten. Der angesprochene soziale Druck dient aber nicht der Wahrheit, sondern — im Gegenteil — der Verstellung. Wo PC tätig wird, ist das Ende aller Diskussionen, zumindest aller ehrlichen und offenen Kontroversen besiegelt. Politisch korrektes Sprechen heißt nämlich, sich rhetorisch innerhalb gesellschaftlicher Grenzen zu bewegen. PC beschreibt ein eingeübtes Sprechen; es dient der Vermeidung von Fehlern. Wer die Grenzen überschreitet, muss mit Ausgrenzung rechnen. Reflexhaft schaltet sich dann unser Korrektursystem ein.

Wer PC beherrscht, ist noch lange kein besserer Mensch. Er zeigt lediglich, dass er seine Lektion gelernt hat und mit den Regeln des Erlaubten umzugehen weiß. PC ist ein Handbuch zur Fehlervermeidung und zugleich die Akzeptanz einer Meinungslage, die zu belegen scheint, was gut und böse, richtig und falsch ist und zu unterscheiden vorgibt, was politisch korrekt oder politisch inkorrekt ist.

So kommt es, dass selbst in Berichten der Polizei die Herkunft von Gewalttätern verschwiegen wird und dass es kaum möglich zu sein scheint, Probleme im Umgang mit der Flüchtlingskrise zu benennen, ohne sofort verächtlich zu werden. Jede Skepsis wird so unter der wärmenden Decke vermeintlich Gleichmeinender erstickt. Die Skepsis ist damit aber nicht verschwunden; sie sucht sich fortan nur andere Wege.

Politische Korrektheit ist immer pädagogisch

Durch Sprechverbote werden politische Diskussionen vergiftet, wenigstens neurotisch. Und bei keinem anderen Thema scheint dies so prägnant zu werden wie in der Flüchtlingsfrage. Für den Münchner Soziologen Armin Nassehi ist die "charismatische Situation" der Willkommenskultur mit enthusiastischen Ausprägungen möglicherweise Ausdruck eines Gemeinwesens, "das sich in Wohlstand und Anstand eingerichtet hat, aber nicht wirklich gestört werden wollte". Deshalb habe lediglich der Gestus moralischer Offenheit zur Verfügung gestanden. Eine Antwort darauf ist nach Nassehi — gerade in den sogenannten wohlmeinenden Milieus — der romantische Ruf nach einem neuen "Wir". Linksliberale Identitätspolitik inmitten einer pluralistischen Gesellschaft.

Und auch das hat mit PC zu tun, die nur ein Entweder-Oder kennt — mit dem Hang zum alten Freund-Feind-Denken. Es geht ihr um Weltverbesserung. Politische Korrektheit ist nie diskursiv, sondern immer pädagogisch.

Die Spannungen der Selbstverunsicherung hierzulande ist nicht erst durch die Flüchtlingskrise ausgelöst worden. Aber sie hat diese sichtbarer werden lassen. Und sie werden schärfer und lauter auch durch die sozialen Medien, die ein Nährboden für Polarisierungen sind und in der Selbstvergewisserung der eigenen Meinung die Gräben nur vertiefen.

Am Donnerstag verließ der Werbemanager Georg Hensel seine Agentur. Er hatte privat die Initiative "keingeldfürrechts" ins Leben gerufen und für moralisches Handeln in Werbeagenturen geworben. Danach ist im Netz ein dramatischer "Shitstorm" über ihn hereingebrochen.

(los)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort