Debatte geht weiter Politiker hinterfragen Wahlrecht für Demenzkranke

Frankfurt · Auch nach der Europawahl geht die Debatte über das Wahlrecht für geistig behinderte Menschen weiter. Der gesundheitspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Jens Spahn (CDU), warf in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" die Frage auf, ob das Wahlrecht für schwer Demenzkranke angesichts der Möglichkeiten zum Missbrauch noch vertretbar sei.

Zehn-Punkte-Präventionsplan gegen Alzheimer
Infos

Zehn-Punkte-Präventionsplan gegen Alzheimer

Infos
Foto: dpa, Jan-Philipp Strobel

Nach Darstellung der Zeitung durften am Sonntag bei der Europawahl rund 700.000 Betroffene teilnehmen, obwohl sie durch ihre Krankheit in der Regel nicht mehr selbst entscheiden können.

Es sei "schwer zu erklären, warum jemand mit schwerster Demenz, der die eigenen Kinder nicht mehr erkennt, grundsätzlich sein Wahlrecht behält - das dann auch manches Mal von seinen Verwandten oder Betreuern für ihn ausgeübt wird", so Gesundheitspolitiker Spahn. Schließlich gehe es um "Hunderttausende Stimmen".

Die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft 60 plus der SPD, Angelika Graf, berichtete von Auffälligkeiten bei manchen Wahlergebnissen in Alten- und Pflegeheimen. "Ich weiß von Kolleginnen, die die Wahl auszählen und berichten, dass aus den Pflegeheimen der Arbeiterwohlfahrt nur SPD-Stimmen kommen und aus den Caritas-Heimen nur CDU-Stimmen", so Graf. Es dränge sich der Eindruck auf, dass mitunter Pfleger oder Heimleiter für die Demenzkranken entschieden.

Die frühere Familienministerin Renate Schmidt (SPD) schlug eine Art Vollmacht vor. "Es spricht nichts dagegen, das Wahlrecht meinem Ehepartner, meinem Kind oder einer anderen Vertrauensperson für den Fall zu übertragen, dass ich nicht mehr entscheiden kann."

Nach Einschätzung von Wissenschaftlern kann etwa die Hälfte der derzeit 1,4 Millionen Demenzerkrankten in Deutschland eine Wahlentscheidung noch selbstständig treffen. Bei "schwerster Demenz" sei die Wahlfähigkeit jedoch erloschen, zitiert die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" den Berliner Geronto-Psychiater Hans Gutzmann.

Bereits im Vorfeld der Europawahl hatten die Bundesvereinigung Lebenshilfe und die Caritas Behindertenhilfe hingegen mobil gemacht gegen einen bereits bestehenden Wahl-Ausschluss von rund 10.000 geistig behinderten Menschen. Die Vorschriften nehmen alle Menschen von der Teilnahme an einem Urnengang aus, für die auf gerichtliche Anordnung ein Betreuer in allen Angelegenheiten des Alltags tätig ist.

Ebenfalls nicht wählen dürfen demnach aufgrund einer Krankheit oder Behinderung schuldunfähige Straftäter, die in der Psychiatrie untergebracht sind, weil weitere Straftaten drohen. Dies widerspreche den Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention und der Situation in anderen EU-Staaten, argumentieren die Verbände.

Die Grünen unterstützen laut Zeitungsbericht diese Forderungen. "Demenzerkrankte vom Wahlrecht auszuschließen wäre eine klare Diskriminierung", so die behindertenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Corinna Rüffer. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hatte sich zu Monatsbeginn zuversichtlich gezeigt, dass es bis zur nächsten Bundestagswahl ein "Wahlrecht für alle" geben werde.

(KNA)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort