Urteil zur Vorratsdatenspeicherung Polizei empört über Karlsruher Richter

Karlsruhe (RPO). Das Bundesverfassungsgericht hat das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt. Weil die Speicherung gegen das Fernmeldegeheimnis verstößt, müssen bereits gesicherte Daten unverzüglich gelöscht werden. Während Politiker und Datenschützer jubeln, zeigt sich die Polizei bitter enttäuscht. Internet-Anbieter warnen vor den immensen Kosten des Urteils.

 Peter Schaar, Bundesbeauftragter für Datenschutz, will das vom CCC entdeckte Ausspäh-Programm überprüfen.

Peter Schaar, Bundesbeauftragter für Datenschutz, will das vom CCC entdeckte Ausspäh-Programm überprüfen.

Foto: ddp, ddp

Das Urteil: Die Karlsruher Richter haben mit ihrer deutlichen Entscheidung sogar die Erwartungen von Experten übertroffen. Nach Ansicht des Gerichts handelt es sich bei der Speicherung aller Telefon- und Internetverbindungsdaten für sechs Monate um einen "besonders schweren Eingriff in das Fernmeldegeheimnis", weil die Verbindungsdaten inhaltliche Rückschlüsse "bis in die Intimsphäre" ermöglichten und damit aussagekräftige Persönlichkeits- oder Bewegungsprofile gewonnen werden könnten. Wenn ein Mann beispielsweise erst ein Hotel mit Restaurant anruft und anschließend eine Frau, könnten Ermittler den Schluss ziehen, beide Personen hätten ein Verhältnis. Damit verstößt das Gesetz gegen Artikel 10 des Grundgesetzes. Die bisher gespeicherten Daten müssen umgehend gelöscht werden. Wichtig: Die Richter erklärten nicht die zu Grunde liegende EU-Richtlinie für verfassungswidrig, sondern die Umsetzung durch die damals regierende schwarz-rote Koalition. Die Regierung soll jetzt ein neues Gesetz schaffen. Die EU-Richtlinie hat das Ziel, Ermittlungsbehörden beim Kampf gegen Schwerkriminalität und Terrorismus zu unterstützen.

Die Bewertung: Juristen sprechen von einem peinlichen Schlappe für die damalige Bundesregierung. Professor Michael Brenner sprach im im Interview mit ZDF von einer "schallenden Ohrfeige für die Politik". Das Urteil sei ein "juristischer Hammer". Dass das bisherige Gesetz als nachträglich nichtig erklärt wurde, sei die schärfste Sanktion, die das Gericht aussprechen konnte. Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) schlägt in dieselbe Kerbe. Das Urteil sei eine "Ohrfeige für den Gesetzgeber". Diesem bleibe jetzt nur noch ein "sehr kleiner Spielraum", um eine Neuregelung umzusetzen, sagte Baum am Dienstag nach der Urteilsverkündung in Karlsruhe.

Viel Lob und Jubel: Politiker von Grünen und FDP sowie Datenschützer begrüßen das Urteil einhellig. "Das ist ein guter Tag für die Grundrechte", erklärte Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar in einer ersten Reaktion. Das Gericht sei seiner Linie treu geblieben, sich für informationelle Selbstbestimmung stark zu machen. Sein NRW-Kollege Ulrich Lepper sprach von einem Meilenstein für den Datenschutz. FDP-Chef und Vizekanzler Guido Westerwelle nannte es "hervorragend, dass Liberale dieses Urteil erstritten haben". Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die selbst als Klägerin auftrat, sprach von einem "herausragend guten Tag für die Grundrechte und die Freiheitsrechte". Ähnlich äußerte sich die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth.

Die Sorgen der Polizei: Die Polizei hat mit Enttäuschung und Bestürzung auf das Urteil reagiert. "Mit der sofortigen Löschung der derzeitig gespeicherten Verbindungsdaten wird eine Strafverfolgung der Straftaten, die mittels Telekommunikation stattgefunden haben, bis auf Weiteres unmöglich gemacht", erklärte Klaus Jansen, Vorsitzender des Bunds Deutscher Kriminalbeamter. "Das ist ein guter Tag für die Grundrechte, aber nur wenn man die Opfer derartiger Straftaten oder Gefahrensituationen von Grundrechten ausnimmt", so Jansen weiter. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) geht mit ihrer Kritik noch einen Schritt weiter und attackiert die damalige Bundesregierung scharf: Eine "schlampige Gesetzesformulierung" habe dazu geführt, dass der Polizei ein notwendiges Ermittlungsinstrument aus der Hand geschlagen worden sei, erklärte der GdP-Vorsitzende Konrad Freiberg in Berlin.

Internet-Provider fürchten riesige Kosten: Die deutsche Internetwirtschaft ist ebenfalls unzufrieden mit dem Urteil. Die Sprecherin des Branchenverbands eco, Marita Strasser, erklärte, das Urteil sei zwar ein Erfolg für die Bürgerrechtler. Für die Provider bedeute es jedoch voraussichtlich hohe Kosten. "Es wird wahrscheinlich ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung geben, das hohe Anforderungen an die Datensicherheit und damit auch hohe Kosten mit sich bringen wird", sagte Strasser. Doch sei mit einer Kostenerstattung für die Unternehmen wohl nicht zu rechnen. Dies könne Preissteigerungen für die Nutzer von Internetzugängen zur Folge haben und bedeute einen Standortnachteil für Deutschland. Bereits bei der Verabschiedung des nun vom Bundesverfassungsgericht kassierten Gesetzes hatte die Branche Strasser zufolge die Kosten allein für die Anschaffung der notwendigen Speichertechnik auf rund 332 Millionen Euro beziffert.

(csi/tim)
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