Pressestimmen "Bundestag erlebte seine Rückverwandlung in ein Parlament"
Die konstituierende Sitzung des neuen Bundestages am 24. Oktober 2017 und die damit einhergehende Wahl von Wolfgang Schäuble zum Bundestagspräsidenten sowie der erste Auftritt der AfD im Parlament ist in den Zeitungen im In- und Ausland reichlich kommentiert worden. Ein Blick in die Meinungsspalten.
Süddeutsche Zeitung: "Sie war zünftig, spannungsgeladen und aufmerksamsheischend. In der Sitzung waren Schwung, Süffisanz und Aggression, Hitze, Hitzigkeit und Gelassenheit. Es gab Mahnungen und Warnungen, Getöse und Geklapper; nur Langeweile gab es nicht. Man sah und hörte zu - erstaunt, irritiert, verwundert. Der Bundestag erlebte seine Rückverwandlung in ein Parlament, also eine Besinnung auf den Ursprung dieses Wortes: reden, streiten, diskutieren. Die Ödnis, die im hohen Haus zuletzt zu oft Hausrecht hatte, war weggeblasen."
Die Welt: "Schäuble hat als Parlamentspräsident eine große Rede gehalten. Er hat die Würde des Parlaments gegen die Ansprüche der Populisten verteidigt: 'Niemand vertritt allein das Volk', sagte er. In diesem Sinne tat es gut, zu sehen, wie zivil etwa eine Petra Pau von der Linkspartei und ein Christdemokrat wie Schäuble miteinander umgehen, wie Grüne und Liberale das Fremdeln lassen. Man darf gespannt sein, ob die SPD Opposition kann. Das Parlament wird wieder interessant. Schade, dass dazu ein Schock wie der Einzug der AfD nötig war. Doch wie Schäuble sagte, müssen die Abgeordneten nun 'zeigen, dass der Parlamentarismus etwas taugt'. Der Bundestag vertrete nicht nur den 'Grundkonsens', sondern auch 'Vielheit und Verschiedenheit' der Gesellschaft. Richtig. Der Lernprozess wird spannend sein."
Hannoversche Allgemeine Zeitung: "An diesem Bundestag ist vieles neu. Es gibt ungeniert Rechtsradikale in seinen Reihen, es gibt Abspaltungen aus einer Fraktion, noch ehe die Arbeit begonnen hat. Zum ersten Mal seit vier Jahren wird die Opposition wieder von einer Partei angeführt, die selbst den Kanzler stellen könnte, wenngleich derzeit eher theoretisch. Und zum ersten Mal seit Jahrzehnten wollen vier Parteien zusammen eine Regierung auf die Beine stellen. Das alles passt zum derzeitigen Bild der Republik. Sie ist weniger zwiegespalten als vielfach segmentiert, manche ihrer Milieus drohen den Kontakt zueinander ganz zu verlieren. Wenn sich das Parlament also politisch dehnt und auch die teils unansehnlichen Ränder des politischen Spektrums mit abbildet, ist das im Zweifel nicht falsch."
Tagesspiegel (Berlin): "Wer die Rede des neuen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble, gewählt mit anständigem Ergebnis, gehört hat, dem wird klar geworden sein, warum er der nahezu ideale Vertreter von 709 Abgeordneten gegenüber dem Volk ist. Die großen Debatten um die Ostverträge, um die Nato-Nachrüstung, die deutsche Einheit, den Euro - was ihr Kollege Schäuble alles erlebt und erstritten hat! So verwundert kaum, dass er, der politischen Streit selbst nie gescheut hat, zum Streit aufruft. Mutig bleibt es trotzdem. (...) Also Schluss mit der Vorstellung einer Alternativlosigkeit, die am Ende zu politischem Mehltau führt. Auch das hat Schäuble erlebt. Aber: Es ist ein Plädoyer für Meinungsstreit der Fraktionen, der je unterschiedlichen, mit dem gemeinsamen Ziel, dass am Ende etwas Gutes fürs große Ganze herauskommt: für das Gemeinwesen."
Rheinische Post: "Die AfD erfüllt die Erwartungen im Bundestag - und die anderen Parteien tun ihr den Gefallen, sie noch wichtiger zu machen. Den angemessenen Umgang müssen die Etablierten erst noch lernen."
Neue Osnabrücker Zeitung: "Die AfD versteht es meisterhaft zu provozieren. Deshalb darf man davon ausgehen, dass sie den Islamkritiker Glaser aus taktischen Gründen für das Amt als Bundestagsvize nominiert hat. Andernfalls wäre die AfD sang- und klanglos ins Gremium aufgenommen worden. So aber gelang es der jungen Partei, die erste Sitzung des Parlaments mit der umstrittenen Personalie zu dominieren, statt dass Wolfgang Schäubles erste Rede als Bundestagspräsident bleibende Akzente hätte setzen können. Genauer: Es waren die übrigen Parteien, die ihr auf den Leim gingen und Glaser verhinderten, nachdem sie die AfD schon bei der Frage des Alterspräsidenten ausgetrickst hatten; ein schlechter Stil. Schäuble sagte, bei allem parlamentarischen Streit müsse die Auseinandersetzung Regeln folgen. Wen meinte er damit?"
Freie Presse (Chemnitz): "Es ging offenbar darum, zu zeigen, dass die Mehrheit im hohen Haus gegen die AfD ist. Auch das ist zwar Demokratie. Allerdings steht jeder Fraktion ein Vize-Posten zu. Das sind die gemeinsamen Regeln des Parlaments. Somit hätten Glasers Gegner im Plenum wahrscheinlich besser im dritten Wahlgang mit Enthaltung votiert. Damit wäre der AfD-Mann gewählt und das Thema vom Tisch gewesen. Stattdessen beginnt die neue Legislatur nun mit einer Trennung in ein 'Wir' und ein 'Die'. Der AfD, die Krawall schätzt und sich ohnehin als Opfer des 'etablierten Systems' sieht, dürfte das nur recht sein. Je länger der Vize-Posten offen ist, desto besser für sie. Insofern war es aus ihrer Sicht gestern trotz allem ein guter Einstand im Bundestag."
Leipziger Volkszeitung: "Schäuble ist einer, der die notwendige Gelassenheit ausstrahlt und vermitteln kann. Er braucht kein Schloss Bellevue, um aufzufallen, und keine extra harten Instrumente zur moralischen Züchtigung des politischen Gegners. Seine knappe Antrittsrede im Bundestag hat genügt, um Hoffnung zu wecken. Der neue Bundestagspräsident kann zwischen einer Kanzlerin Angela Merkel in ihren letzten Amtsjahren und einem Staatsoberhaupt Frank-Walter Steinmeier schnell zum Dreh- und Angelpunkt einer neuen Berliner Republik werden. Dazu gehört auch die in der Geschäftsordnung vorgesehene faire Behandlung der AfD."
Stuttgarter Nachrichten: "An Streit wird es im neuen Bundestag nicht mangeln - das hat schon dessen erste Sitzung am Dienstag gezeigt. Ein Mehr an Kontroversen sollte es aber unabhängig davon geben, ob nun geschichtsvergessene oder rassistische Ausfälle der AfD gegeißelt werden müssen oder nicht. Streit ist unerlässlich, um die Meinungsvielfalt abzubilden und im Wettbewerb der Ideen zu guten, mehrheitsfähigen Lösungen zu kommen. Die große Koalition und die sich vieles offenhaltende Kanzlerin haben bei vielen Menschen den Eindruck eines alternativlosen Einerleis verstärkt. Aber auch der Bundestag hat bisher wenig gegen die Abwanderung der gesellschaftlichen Debatten in Talkshows und soziale Netzwerke getan."
Trierischer Volksfreund: "Vor allem aber müssen die demokratischen Parteien zusammenhalten, wann immer es um die Demokratie an sich und ihr Ansehen geht. Dies ist keine Zeit für kleines politisches Karo. Leider ist der gestrige Auftakt dafür nicht besonders gelungen. Die törichte Ablehnung des AfD-Kandidaten für das Amt des Bundestagsvizepräsidenten verschafft den Rechten neue Vorwände für ihre Kampagne als angebliches Opfer eines 'Altparteien'-Kartells."
Aachener Zeitung: "Der Bundestag braucht mehr Selbstbewusstsein. Das, war gestern zu bemerken, ist der Wunsch der meisten seiner Mitglieder. Schäuble setzt darauf, was das Parlament kann und soll, 'wenn es will'. Eben! Man muss schon wollen. Wenn manche - oder gar viele - Abgeordnete nicht wollen, ist es unredlich, daraus einen Vorwurf an die Regierungschefin zu formulieren. Das parlamentarische Selbstbewusstsein zu fördern, gehört nicht zu den Aufgaben der Kanzlerin. Dafür müssen die Damen und Herren schon selbst sorgen. Insofern war der larmoyante Auftritt des Parlamentarischen Geschäftsführers der SPD-Fraktion ein Armutszeugnis und entlarvend für den Zustand der SPD."
Straubinger Tagblatt: "Unverkennbar: Mit dem Einzug der AfD herrscht im Bundestag ein neuer Ton. Die Neulinge vom rechten Flügel nehmen die Pose der Provokateure ein, die mit großem Selbstbewusstsein schon einmal ankündigen, ab jetzt ihre Themen auf die Agenda zu setzen. Das ist ihr gutes Recht. Nur werden sie rasch merken, wie begrenzt die Möglichkeiten einer Oppositionspartei sind, die noch dazu alleine auf weiter Flur steht. Ihre Mitglieder und Wähler mag es beeindrucken, dass sie 'denen da oben' mal so kräftig die Meinung sagen. Nur: Ab jetzt gehören sie selber auch zu 'denen da oben', sind Teil des politischen Systems, das sie verachten und bekämpfen."
Kölner Stadt-Anzeiger: "Die Umfragen aus den Ländern und die Erfahrungen aus anderen europäischen Staaten lassen vermuten, dass die AfD länger bleiben wird als vier Jahre. In Thüringen taxieren die Demoskopen sie aktuell bei 20 Prozent - obwohl dort mit Björn Höcke ein Rechtsradikaler die Partei führt. Auf einen raschen Zerfall der Truppe sollte man nicht hoffen. Ob und wie die AfD den Bundestag 72 Jahre nach Kriegsende prägt, wird man aber erst in ein paar Monaten wissen. Vielleicht hat gestern begonnen, was für die Demokratie vielleicht das Gefährlichste ist: eine langsame Gewöhnung an die Feinde der Demokratie. Mitten an ihrem vornehmsten Ort - im Deutschen Bundestag."
Landeszeitung (Lüneburg): "Auf den Herzensparlamentarier Wolfgang Schäuble kommt als Bundestagspräsident einiges an Arbeit zu, wenn die Wut der Moderneverweigerer auch in der Volksvertretung auf die Schwächsten gelenkt wird, die Verlierer von Globalisierung und Kriegsopfer. Die von Schäuble selbst angemahnte Gelassenheit dürfte dabei für alle demokratischen Parteien die richtige Handlungsmaxime sein. Geschäftsordnungstricks wie die Verhinderung des Holocaustrelativierers Wilhelm von Gottberg sollten sie sich dabei künftig schenken, leitet es doch nur Wasser auf die ewig gleichen Mühlen der Populisten, sich als Opfer des Establishments zu stilisieren. Wichtiger noch als der Umgang mit der AfD im Bundestag ist das Eindämmen der Wut, die sie dorthin gespült hat. Wer Probleme löst, schlägt den Vereinfachern die Waffe aus der Hand."
Allgemeine Zeitung (Mainz): "So ist das in der Demokratie. Alle, die meinen, sie müssten unbedingt AfD wählen, können das tun. Aber alle Parlamentarier, die - vollkommen zu Recht - davon überzeugt sind, dass der AfD-Mann Albrecht Glaser kein würdiger Vizepräsident des Deutschen Bundestags sei, können gegen ihn stimmen."
Mannheimer Morgen: "Die AfD möchte gern auch die Bühne Bundestag für ihre Provokationen nutzen. Man muss sie ihr aber nicht geben. Die fünf anderen Parteien haben es nun vier Jahre lang in der Hand, zu zeigen, dass man die Rechtspopulisten nicht braucht, um sachlich und konsensorientiert an den Problemen des Landes zu arbeiten."
Rhein-Zeitung (Koblenz): "Die konstituierende Sitzung des Bundestags hat einen kleinen Vorgeschmack darauf gegeben, was uns in den kommenden Jahren an politischer Kultur erwartet: Provokationen, das Ausreizen demokratischer Spielregeln und lautstarke Auseinandersetzungen. Es wird nicht immer fair ablaufen. Ein Grund zur Sorge ist das dennoch nicht. Die AfD unternahm mit dem Göring-Vergleich eine gezielte Provokation, die die meisten Parlamentarier gepflegt an sich abtropfen ließen. Der gute Vorsatz, nicht über jedes Stöckchen der Rechtspopulisten zu springen, hat gehalten. Gut so. Unabhängig davon, in welchem Umfang es gelingt, die Spielregeln für Bundestagssitzungen zu ändern, darf mit einer Belebung der Debattenkultur gerechnet werden. Das ist auch dringend notwendig."
Mittelbayerische Zeitung (Regensburg): "Die parlamentarische Arbeit krankt an sich selbst, noch bevor es richtig losgegangen ist. Das zeigte sich schon im Vorfeld bei der Frage nach dem Alterspräsidenten, der die erste Bundestagssitzung eröffnet. Aus Sorge, der AfD-Politiker Wilhelm von Gottberg könnte den Posten bekleiden, änderte der Bundestag kurzerhand seine Geschäftsordnung. (.) Das Geschachere um das Amt vermittelt nicht den Eindruck starker Abwehrkräfte gegen rechtspopulistische Einflussnahme. Ein Zeichen von Stärke wäre es gewesen, darauf zu vertrauen, dass das Parlament und sein Einsatz für die Demokratie auch von einem AfD-Alterspräsidenten nicht erschüttert wird."
Münchner Merkur: "Man muss den neuen Bundestag, aufgebläht und an den extremen Rändern gestärkt, nicht mögen. Die wenigsten haben ihn genau so gewollt. Wahr ist aber: Er vertritt die Ansichten von mehr Menschen als von 2013 bis 2017, als das Parlament zunehmend lethargisch durch die Legislaturperiode dämmerte und die Mitarbeit am Megathema ab 2015, der Flüchtlingspolitik, phasenweise schlicht verweigerte. Dass die AfD jetzt mit über 90 Leuten im Bundestag sitzt, ist ein Resultat dieser Politikenthaltung. Das Parlament muss nun einen Umgang mit der AfD finden - die ja in den Bundestag nicht gelost, sondern gewählt wurde. Das erfordert Haltung, Hirn und Weitsicht."
Mitteldeutsche Zeitung (Halle): "Die Umfragen aus den Ländern und die Erfahrungen aus anderen europäischen Staaten lassen vermuten, dass die AfD länger bleibt als vier Jahre. In Thüringen taxieren die Demoskopen sie aktuell bei 20 Prozent - obwohl dort mit Björn Höcke ein Rechtsradikaler die Partei führt. Ob und wie die AfD den Bundestag 72 Jahre nach Kriegsende prägt, wird man erst in einigen Monaten wissen. Vielleicht aber hat begonnen, was für die Demokratie wohl das Gefährlichste ist: eine langsame Gewöhnung an die Feinde der Demokratie."
Mindener Tagblatt: "Der neue Bundestagspräsident hat die notwendigen Worte für die kommende Streitkultur gesagt. Seine Mahnung, die parlamentarische Mehrheit nicht als illegitim zu denunzieren, kann die vor Kraft kaum laufen könnenden Populisten allerdings wenig beeindrucken. Sie ignorieren, dass sie von immerhin 87 Prozent der Wähler nicht gewollt wurden und sehen stattdessen 'eine neue Epoche' beginnen, weil 'das Volk' entschieden habe. So klingt Anmaßung. So war sie auch am Wahlabend schon laut geworden, als Parteichef Gauland sich 'das Volk wiederholen wollte'."
Reutlinger General-Anzeiger: "Man wird sich daran gewöhnen müssen, dass die Diskussionen im Bundestag lauter und kontroverser verlaufen werden, wie der Fall Glaser zeigt. Das ist ungewohnt, aber keine Gefahr für den Staat. Unsere Demokratie hält das aus. Und wenn es im Parlament hoch zugeht, so spiegelt das nur die gesellschaftliche Wirklichkeit wider. Genau das soll ja der Bundestag tun."
Westfalen-Blatt: "Das Klima wird sich verändern, der Ton rauer, die notwendigen Debatten aber werden hoffentlich wieder geführt. Ein bisschen Jamaika-Luft wehte auch bereits unter der Kuppel des Bundestages. Bezeichnenderweise lehnten Union, FDP und Grüne Anträge der SPD geschlossen ab. Wenn das keine Steilvorlage ist für die nächsten Beratungen. Der 19. Bundestag ist für die neue Regierung und die Opposition eine echte Herausforderung. Es ist Zeit, die AfD zu demaskieren. Einen besseren Ort als den Deutschen Bundestag kann es dafür nicht geben."
Frankenpost (Hof): "In den nächsten vier Jahren stehen gewaltige Aufgaben an. Die sozialen Verwerfungen in der Gesellschaft müssen geglättet werden. Bildung und Arbeitsmarkt, Digitalisierung und Gerechtigkeit, Gesundheit und Pflege, Familie und Finanzen: Die Herausforderungen für die Abgeordneten sind enorm. Es ist ihre Aufgabe, die Zukunft zu gestalten und die Regierung zu kontrollieren. Die Abgeordneten sollen uns alle, sollen das Volk vertreten. Sie sind nicht 'die da oben', sie sind wir. Das Parlament dient nicht der Regierung, die Regierung dient dem Parlament. Eine starke Opposition kann diese Rollenverteilung der demokratischen Fundamente wieder aufwecken."
Schwäbische Zeitung: "Wolfgang Schäuble hat in seiner guten Rede den von der AfD allzu oft beschworenen Volkes Wille da verortet, wo er hingehört: im Parlament. Hier ist der Streit um das richtige politische Vorgehen zu Hause, hier wird entschieden. Dass dieser Streit in den letzten vier Jahren der Großen Koalition entweder gar nicht oder häufig nur sehr lau ausgefochten wurde, hat dem Bundestag geschadet. Insofern ist der Einzug der AfD auch eine Chance. Es weht ein anderer Wind."
Flensburger Tageblatt: "In Zeiten der großen Koalition zeigte sich die Opposition müde und manchmal überfordert. Das dürfte sich im neuen Sieben-Parteien-Parlament ändern. Die Besetzung des Bundestags spiegelt den Willen und die Meinungsvielfalt der Wähler wider. Und wenn die Parlamentarier dies ernst nehmen, dann darf nicht nur um Inhalte gestritten werden, dann sollte sogar gestritten werden. Was auch schon auf den elegantesten Umgang mit den Rechtspopulisten von der AfD hinweist. Nicht abkanzeln und abstrafen. Es werden sich am Ende des politischen Diskurses hoffentlich die besseren Argumente durchsetzen."
Der neue Tag (Weiden): "Trotz etlicher Zwischenrufe und Unmutsbekundungen blieb der erwartete lautstarke Eklat aus, auch beim programmierten Scheitern des AfD-Kandidaten Glaser an der Wahl zum Bundestagsvizepräsidenten. Das mag aber auch daran gelegen haben, dass mit Wolfgang Schäuble ein Politiker das Regiment übernommen hat, der quer durch alle Fraktionen respektiert wird - und bisweilen auch gefürchtet. Die Auseinandersetzung mit der AfD im Bundestag hat jedoch gerade erst begonnen. Aber nicht nur Schäuble hat deshalb ein hartes Stück Arbeit vor sich, sondern jeder einzelne der restlichen 617 Parlamentarier."
Hessische Niedersächsische Allgemeine: "Die AfD ist nicht das Volk, sondern nur ein Teil davon. Gewählt wurde sie, weil Sorgen vieler Menschen nicht thematisiert und Probleme nicht gelöst wurden. Darüber ist künftig zu diskutieren, und der Bundestag ist dafür der geeignete Ort. Die Erfahrungen in den Landtagen zeigt allerdings, dass die AfD kaum etwas zu bieten hat, wenn es darum geht, dicke Bretter zu bohren. Da kam es den Parlamentsneulingen gestern gerade recht, dass sie das Scheitern ihres Kandidaten Glaser als Ausgrenzung der AfD beklagen konnte."
Ludwigsburger Kreiszeitung: "Die vielen Nein-Stimmen gegen Wolfgang Schäuble auch aus den Reihen der anderen Parteien sind durch die Person des neuen Bundestagspräsidenten nicht zu rechtfertigen und schwächen die Autorität des gemeinsamen Repräsentanten des Parlaments. Und die Versuche der SPD, schon in der konstituierenden Sitzung Opposition zu spielen, wirkten kleinkariert. Hier müssen einige wohl noch üben. Die AfD möchte gern auch die Bühne Bundestag für ihre Provokationen nutzen. Man muss sie ihr aber nicht geben. Die fünf anderen Fraktionen haben es nun vier Jahre lang in der Hand, zu zeigen, dass man die Rechtspopulisten nicht braucht, um sachlich und konsensorientiert an den Problemen des Landes zu arbeiten."
Rhein-Neckar-Zeitung (Heidelberg):" Bedenkt man die letzten vier Jahre der großkoalitionären Übermacht, so ist das wirklich nicht der schlechteste Rat an die Abgeordneten: Lernt diskutieren, statt Talkshows zu besuchen. Schäuble erweist sich hier als der ideale Nachfolger von Norbert Lammert. Denn natürlich muss das Bundestagspräsidium künftig mehr eingreifen als bisher. Auf der anderen Seite sollten die anderen Parteien nicht auf jede AfD-Provokation hereinfallen. Der Göring-Vergleich war töricht. Er spricht nicht gegen Union und SPD, sondern gegen den Urheber. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Außer vielleicht noch eines: Respekt muss man sich erarbeiten."
Neue Zürcher Zeitung (Schweiz): "Die SPD vor allem war es, die die dafür ungeeignete Eröffnungssitzung dazu nutzen wollte, ihre neue Oppositionsrolle zur Geltung zu bringen. Sie forderte, der Bundestag müsse wieder der zentrale Ort der politischen Debatte werden - nicht Talkshows und Einzelinterviews mit der Kanzlerin im Fernsehen. Deshalb solle sie sich viermal pro Jahr einer Befragung im Parlament stellen müssen. In eine ähnliche Kerbe hieb die Linkspartei. Der SPD-Vorschlag wirkte scheinheilig, weil es in den vergangenen Jahren ihrer Regierungsbeteiligung nicht aufgefallen war, dass die SPD sich besonders dafür interessiert hätte."
Le Figaro (Frankreich): "Aus Sicht der anderen Länder Europas tritt Deutschland damit in die Normalität ein. Der Einzug einer Anti-Flüchtlings- und Anti-Euro-Partei ist nicht erstaunlich auf einem Kontinent, der dem Populismus zum Opfer gefallen ist. Die 87 Prozent der Deutschen, die nicht AfD gewählt haben, werden das allerdings anders sehen. Mehr als 70 Jahre nach dem Ende der Nazi-Zeit bleibt das Land tief gekennzeichnet von den dunklen Seiten seiner Geschichte. Sicherlich ist die AfD keine Neonazi-Partei. Aber sie hinterlässt einen miefigen Geruch..."
Corriere della Sera (Italien): "Angela Merkel steckt in Schwierigkeiten wie nur selten in der Vergangenheit. Wolfgang Schäuble wechselt seinen Job und hat nun kein Ministerium mehr. Eine neue Regierungskoalition dämmert herauf und es ist nicht leicht, sie zusammenzubringen. Die Sozialdemokraten sind desorientiert. Und die nationalistische Partei Alternative für Deutschland (AfD) ist im Kriegszustand. So beginnt heute, einen Monat nach der Wahl am 24. September, die neue deutsche Legislaturperiode. (...) Für Berlin ist es ein Zeitenwechsel."