Neues Buch Protokollchef des Bundespräsidenten will mehr Stil für alle

Berlin · Enrico Brissa, der Protokollchef des Bundespräsidenten und des Bundestagspräsidenten, hat zur Feder gegriffen und eine Anregung für ein besseres Miteinander durch Manieren geschrieben - mit Beispielen von Pannen der Promis.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel sitzt während des Festempfangs für die IOC-Evaluierungskommission für die Bewerbung für die Olympischen Spiele München 2018 im Antiquarium der Münchner Residenz.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sitzt während des Festempfangs für die IOC-Evaluierungskommission für die Bewerbung für die Olympischen Spiele München 2018 im Antiquarium der Münchner Residenz.

Foto: dpa/Bundesregierung/Bergmann

Wenn einer wie Enrico Brissa auspackt, dann rappelt es im Staatsgeschirr mit Goldrand und Bundesadler. Denn der 46-Jährige leitet das Protokoll des Deutschen Bundestages, war zuvor jahrelang Protokollchef des Bundespräsidenten. Er weiß also alles über Missgeschicke und Manieren der Mächtigen. Und gibt deshalb vor, darüber zu schweigen. Sein nächste Woche erscheinendes Buch "Auf dem Parkett" sei ein "Plädoyer für die schönen Künste der Höflichkeit" und wolle Bewusstsein schaffen für die Umgangsformen und damit für einen "zentralen Aspekt der Lebenskunst", erläutert Brissa. Sprich: Er will mehr Stil für alle.

Tatsächlich hat sich der Parkett-Profi viel vorgenommen. Er wolle das Publikum dazu bringen, "mehr Wert auf achtsames Miteinander" zu legen. Können wir das nicht alle gut gebrauchen in Zeiten, in denen sich Millionen Deutsche in den digitalen Netzwerken mit Schimpf und Schund überkübeln? Die Analyse des Zeremonienmeisters vermeidet diplomatische Zurückhaltung: "Wenn sich Menschen zunehmend als Objekt der Tools und Apps empfinden, ist ein würdiger Umgang miteinander fast unmöglich."

Und doch sollten sich Leser auf eine Zeitreise einstellen. Denn wer sich im Jahr 2018 auf dem Parkett der Staatsempfänge bewegt, hat es mit der Etikette aus vergangenen Jahrzehnten zu tun. So kommt das Wort "Frau" bei Brissa selten vor. Er bevorzugt die "Dame" und ist der festen Überzeugung, dass es nicht gegen die Gleichberechtigung spricht, wenn eine Dame sich vom Herrn die Türe öffnen, aus dem Mantel helfen und nachschenken lasse. Und das in Unternehmen übliche und angeordnete "Du" ist für Brissa ein "Akt der Hilflosigkeit".

Konsequent beschreibt er denn auch das "Billet" als elegante Form der Korrespondenz, die in der von Robotern geschriebenen Form wieder "schwer im Kommen" sei. Und wer immer schon mal wissen wollte, wann er den Cut, den Frack und den Smoking trägt, und wozu am besten die Orden anzulegen sind, der ist bei Brissa gut aufgehoben und damit sicherlich weit von seinen eigenen Fragen an den besten Umgang im Alltag entfernt. Aber hier gibt es auch viele Passagen in den 150 kurzweilig abgearbeiteten Stichwort-Kapiteln, die dann doch die Neugierde auf die Pannen der Promis befriedigen helfen.

Wie etwa US-Präsident Donald Trump letzten Mai bei der Nato auf Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zugeht und ihn begrüßen will, der sich aber zuerst Bundeskanzlerin Angela Merkel zuwendet - und die Laien des internationalen Parketts lernen, dass Macron den mächtigsten Mann der Welt "völlig zu Recht" stehen gelassen habe, da der Präsident natürlich erst Merkel "als dienstälteste Dame" willkommen zu heißen hatte.

Und er beschreibt auch, wie die Binnensicht jenes Vorfalles war, als Hape Kerkeling als Königin Beatrix verkleidet im Schloss Bellevue zu Mittag essen wollte. Das sei auch im Protokoll "unvergessen" und nicht für alle Beteiligten komisch gewesen. Viele Verweise tragen das Stichwort "Fauxpas" - und die Schilderung, dass manch eigentlich peinliches Versehen mitunter auch gezielt provoziert sein kann: Als etwa Deutschlands erster Bundeskanzler Konrad Adenauer 1949 beim Antrittsbesuch bei den Hohen Kommissaren auf dem Petersberg nicht vor deren Teppich stehen blieb, sondern beherzt mit darauf trat, sei dies eine "Geste des Anspruchs auf Gleichrangigkeit" gewesen.

Von Staatsbesuchen ist viel Hintergründiges zu erfahren. Dass die Gäste schon ab Landesgrenze von vier Kampfjets der Luftwaffe eskortiert werden. Dass die Gastgeber die Farbe ihrer Festkleidung so wählen, dass sich die Nationalfarben des Gastes darin wiederfinden. Und dass es manchmal auch erheiternd schief geht: Wenn sich der damalige französische Staatspräsident Giscard d'Estaing und ein Ministerpräsident in Deutschland treffen und feststellen, ihre Anzugfarbe nicht abgestimmt zu haben, der deutsche Regierungschef schnell verschwindet, um seine Kleidung anzupassen - und dann feststellt, dass der Präsident in der Zwischenzeit dieselbe Idee hatte.

Brissa klärt zudem auf, dass nicht alles sexistisch gemeint ist, was zu erregten Debatten führt, wie etwa der Dresscode "dunkler Anzug / kurzes Kleid". Das besage keinen Wunsch zum nackten Bein, sondern lediglich, dass kein langes Abendkleid nötig sei. Vieles hat sich auch für Brissa geändert. Als Kind sei er von seinem Vater beeindruckt gewesen, wenn dieser selbst zum Mittagsschlaf die Krawatte anbehielt. Heute unterstreicht er selbst, dass man auch ohne Schlips "ein Herr sein" könne, und "manchmal sogar passender".

Von echtem Gebrauchsnutzen sind seine Empfehlungen zum Bezahlen nach dem Essen, und unter welchen Voraussetzungen man sich die Kosten elegant teilen sollte, anstatt alles geizig auseinander zu rechnen. Sinnvoll erscheint vor allem sein Appell, auf Einladungen zu reagieren und rechtzeitig abzusagen. Sonst ergehe es einem wie der Berlinerin, die pünktlich zum 40. im italienischen Restaurant ihre Gäste begrüßen wollte - aber keinen vorfand. Als dann nach anderthalb Stunden die ersten fünf eintrudelten, fanden sie, so berichtet Brissa "ihre Gastgeberin betrunken am Tresen vor".

(may-)
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