Psychologie RAF - unfähig zur Reue?

Düsseldorf (RP). Brigitte Mohnhaupt und andere Terroristen der "Rote Armee Fraktion" haben trotz jahrzehntelanger Haft ihre Taten bis heute nicht öffentlich bereut. Psychologen und Hirnforscher tun sich schwer, diesen Verzicht auf Menschlichkeit zu erklären.

Brigitte Mohnhaupt - ihre Geschichte
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Foto: AP

Brigitte Mohnhaupt, Terroristin in Haft, ist 57 Jahre alt. Wenn sie Ende März frei kommt, wird sie mehr als die Hälfte ihres Lebens in deutschen Gefängnissen verbracht haben. Es gibt von der RAF-Anführerin, die wegen neunfachen Mordes verurteilt worden ist, kein Eingeständnis einer Schuld. Sie hat öffentlich nicht bereut. Sie hat den Opfern ihrer Taten nicht ihr Beileid ausgesprochen. Sie hat nicht einmal bei der Aufklärung ungeklärter RAF-Morde geholfen. In all den Jahren nicht. Obwohl sie die Vergangenheit in den vielen einsamen Stunden zigmal auf die Gefängniswände projiziert und neu durchlebt haben muss.

Kein Zeichen der Reue, das irritiert. Wir verstehen nicht. Weil dieses Verhalten unserer Vorstellung von Menschlichkeit widerspricht. Da ist die Frage: Wie kann jemand so lange einsitzen und das eigene Fehlverhalten doch nicht einsehen, die Getöteten nicht als Opfer ansehen? Anders gefragt: Warum ist jemand offenbar unfähig zur Reue?

"In der Zeit zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr bilden wir unsere Identität aus", sagt Rüdiger Pohl, Psychologe an der Uni Mannheim. Pohl forscht zum Thema Lebenslügen. "Wir entwerfen unser Leben, formulieren Ziele und definieren unsere Rolle in der Gesellschaft. Und bei den Mitgliedern der Rote Armee Fraktion wird eben diese Zeit von der terroristischen Ideologie absolut ausgefüllt."

Ideologie, das bedeutet bei der RAF zum einen, dass man außerhalb der Gesellschaftsordnung zu stehen meint. Zum anderen heißt Ideologie: in Kauf nehmen, für die eigene Überzeugung zu sterben. "Die RAF-Leute haben sich antrainiert, dass Reuige ihr Gesicht verlieren", sagt Pohl - und damit den Status als Mitglied der Gemeinschaft. "Wenn man solchen Menschen ihre Ideologie wegnimmt, was bleibt ihnen dann noch? Wie sollen sie ihr Leben vor sich selber rechtfertigen?"

Reue geht die Einsicht voraus, dass das eigene Leben irrgelaufen ist, dass es zumindest in Teilen verwirkt ist. Und vor dieser schmerzhaften und tragischen Einsicht schützt einige Menschen ein psychologischer Reflex. "Unsere Psyche ist ein selbststabilisierendes System", sagt Eckart Voland. Voland beschäftigt sich an der Uni Gießen mit evolutionärer Ästhetik, sein Fachgebiet ist die Philosophie der Biowissenschaften.

"Die Psyche ist ein Illusionist, sie sorgt dafür, dass wir keine Selbstzweifel zulassen. Reflexionen sind dann immer Bestätigung des Bewusstseins vom eigenen Selbst. Man reflektiert also nicht, um dazu zu lernen." Wahrgenommen wird lediglich, was die eigene Sicht bestätigt. "Identität heißt, das Leben konsistent und positiv darzustellen, Brüche tun da nicht gut." So ist Einsicht unmöglich.

Bei den RAF-Terroristen kommt nun das Alter ins Spiel. Viele Menschen beginnen, spätestens mit 50 kontrafaktisch zu denken. Kontrafaktisch bedeutet so viel wie konträr zur Faktenlage, der Realität nicht entsprechend, gegen den Strich. Kontrafaktische Gedanken gehen so: "Hätte ich doch bloß gesagt, dass ich sie liebe!" Oder: "Hätte ich das Unglück nur verhindert!" Kontrafaktische Gedanken zeigen, dass wir Schuld, Fehlverhalten und Verantwortung eingestehen. Viele RAF-Täter denken inzwischen kontrafaktisch.

Einige Menschen werden von der Psyche vor kontrafaktischem Denken gewissermaßen beschützt - wie offenbar Mohnhaupt. "Sie bewahren so den inneren Frieden", sagt Rüdiger Pohl. Diesen Reflex beobachten Mediziner bei Mördern. Sie reden sich ein, dass das Opfer vergangenen Tuns eine Mitschuld am eigenen Unglück trägt. Psychologen nennen diesen Mechanismus "blaming the victim"; auch er dient dem Selbstschutz und verhindert die Weiterentwicklung der Persönlichkeit. Die Möglichkeit zur Umkehr ist diesen Personen genommen, ebenso die der seelischen Erleichterung, die Reue ja bedeutet. Häufig werden sie im Alter depressiv. Andere verrennen sich tiefer in ihre Überzeugung.

Warum empfindet jemand keine Reue? Diese Frage beschäftigt auch die Neurowissenschaft. Sie befindet sich in dieser Sache allerdings noch am Anfang ihrer Forschungen. Hirnforscher können die Stelle im Gehirn, an der Reue reflektiert wird, immerhin ziemlich genau verorten. Es ist der anterolaterale präfrontale Cortex, Stirnlappen genannt - also die Hirnregion direkt hinter den Augen. Dort ist der Sitz des Sozialverhaltens und der Empathie - der Fähigkeit, sich in andere Menschen zu versetzen und Schmerz und Glück mitzuempfinden. Empathie ist die Bedingung für Reue.

Empathie-Forscher untersuchen auffällige Personen wie Gewaltverbrecher, die kein Mitgefühl für ihre Opfer empfinden und nicht reuig sind, auf Veränderungen dieser Region. Nur so viel steht fest: Menschen mit solchen antisozialen Persönlichkeitsstörungen können sich nicht auf den Gefühlszustand eines anderen einstellen. Sie können noch nicht einmal unterscheiden zwischen der eigenen und der fremden Gefühlswelt. Und sie können ihre eigenen Gefühle nicht regulieren - ihr Empfinden ist also immer gleich intensiv.

Warum ist jemand unfähig zur Reue? Sicher werden Hirnforscher die dem Mitgefühl zugrunde liegenden Mechanismen in absehbarer Zeit erkundet haben.

Vielleicht versteht man dann.

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