Deutsch-Türken zum Besuch in Köln "Ich wünschte, Erdogan würde absagen"

Köln · Etwa 13.500 Demonstranten werden in Köln erwartet, wenn der türkische Regierungschef dort am Samstag eine Rede hält. Aus allen Parteien gibt es Stimmen, die die Absage der Veranstaltung fordern. Die in Deutschland lebenden Türken sind bei dem Thema gespalten.

Recep Tayyip Erdogan Besuch in Köln: "Ich wünschte, er würde absagen"
Foto: RP/Radowski

Die Bundesregierung bittet den türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan vor seinem Wahlkampfauftritt in Köln um Zurückhaltung. "Wir erwarten ein sensibles, ein verantwortungsbewusstes Auftreten, damit die Veranstaltung tatsächlich zum guten Zusammenleben der Menschen in Deutschland beiträgt", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Erdogan steht wegen seines Umgangs mit der Gruben-Katastrophe von Soma mit 301 Todesopfern auch in der Türkei in der Kritik. In mehreren Städten war es zu Protesten gekommen.

In Deutschland mehren sich aus allen Parteien die Stimmen, die eine Absage der Veranstaltung fordern. Offiziell tritt der 60-Jährige in Köln zum zehnjährigen Bestehen der Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD) in der Lanxess-Arena auf. Politiker erwarten aber, dass er den Termin für seinen Wahlkampf nutzen wird. An der Präsidentenwahl am 10. August dürfen erstmals auch die im Ausland lebenden Türken teilnehmen.

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) ist dafür, den Regierungschef in Köln reden zu lassen. "Unsere Demokratie hält es aus, wenn sich Herr Erdogan an seine Landsleute wendet", sagte er in Berlin. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, der Kölner Abgeordnete Volker Beck, wandte sich allerdings gegen den Erdogan-Auftritt. "Für mich ist es deplatziert, dass Erdogan nach der Tragödie von Soma in Köln Wahlkampf macht - er sollte sich lieber um die Sicherheit in seinen Bergwerken kümmern", sagte Beck. Er kritisierte den Stil und die Art, wie Erdogan in Deutschland auftritt und wie er mit seiner Bevölkerung umgeht. Selbstverständlich sei es Erdogans Recht, bei einer privaten Veranstaltung eines Vereins in Deutschland aufzutreten. "In Deutschland muss er sich dann aber auch gefallen lassen, dass auf Demonstrationen seine autoritäre Innenpolitik in der Türkei kritisiert wird", betonte Beck.

Zwei Demonstrationen in Köln sind schon bei der Polizei angemeldet, zudem rechnet sie mit Spontandemos. Unter dem Motto "Wir sagen Nein zu Erdogan" hat die Alevitische Gemeinde zu einem Protestzug durch die Innenstadt aufgerufen. Für den Nachmittag ist eine Kundgebung vor dem Dom geplant. Der kurdische Verein Mala Kurda will direkt vor der Lanxess-Arena demonstrieren. Die Veranstalter rechnen mit rund 13 500 Teilnehmern. Die Deutsche Polizeigewerkschaft spricht von einer großen Herausforderung für die Ordnungshüter. "Es wird alles, was wir an Personal zur Verfügung haben, im Einsatz sein", betont NRW-Chef Erich Rettinghaus. "Wer kann, der sollte Köln an diesem Tag meiden. Der Besuch ist eine ganz große Hausnummer."

"Erdogan verhöhnt die Angehörigen der Opfer"
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Foto: RPO

Deshalb plädiert auch Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) deutlich für eine Absage: "Ich glaube, Herr Erdogan hat im Augenblick eher die Aufgabe, sich um die Grubensicherheit in der Türkei zu kümmern und sich den Hinterbliebenen zu widmen, anstatt hier in Köln Wahlkampf zu machen." Und er warnte davor, dass innertürkische Konflikte und Gewalttätigkeiten nach Köln getragen werden. Auch Peter Biesenbach, Rechtsexperte der CDU-Landtagsfraktion, empfindet den Besuch als "ein falsches Signal". Wenn Erdogan die Lage in der Türkei beruhigt habe, könne man auch wieder über einen Besuch in Deutschland reden.

Die hier lebenden Türken sind gespalten. Wer um eine öffentliche Meinung bittet, stößt häufig auf Schweigen, sowohl bei den Erdogan-Fans als auch bei seinen Kritikern - zu groß sind die Angst und das Misstrauen der anderen Gruppe gegenüber. Der Co-Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, sagte, Erdogan habe unter den in Deutschland lebenden Türken eine starke Anhängerschaft. "Es sind die konservativen Wähler und auf der anderen Seite Menschen, die sich in Deutschland ausgegrenzt fühlen und mit Erdogan eine Symbolfigur haben."

Recep Tayyip Erdogans Berater Yusuf Yerkel tritt Demonstranten
7 Bilder

Erdogans Berater Yerkel tritt Demonstranten

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Jedoch seien Erdogans Reden in Deutschland wenig konstruktiv für ein gutes Miteinander, glaubt Nihat Öztürk, Gewerkschafter aus Düsseldorf. "Er sollte nicht nach Köln kommen und dort sprechen. Selbst daheim in der Türkei sollte er nach der fürchterlichen Katastrophe von Soma lieber schweigen und zuhören." Und er müsse sich endlich für menschenwürdige Arbeitsbedingungen einsetzen.

Je mehr deutsche Politiker in Zukunft auf die Sorgen und Bedürfnisse der Muslime und Deutsch-Türken eingingen, desto weniger würden solche Auftritte eine Rolle spielen, glaubt Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Ähnlich sieht es die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann. "Wir sollten uns fragen, warum immer noch so viele türkischstämmige Menschen in die Türkei schauen, obwohl sie hier schon seit Generationen leben." Grund dafür sei die verfehlte Einwanderungs- und Integrationspolitik der vergangenen Jahrzehnte.

Update: Für die gedruckte Ausgabe der Rheinischen Post haben wir das Zitat der Schriftstellerin Hatice Akyün aus Platzgründen kürzen müssen. Wir dokumentieren es an dieser Stelle in ungekürzter Form:

"Es irritiert mich, wie man nach einer solchen Katastrophe einfach Wahlkampf betreibt, als ob nichts geschehen wäre. Man reibt sich die Augen und fragt sich, ob es sich um Ignoranz, Gefühlskälte, Chuzpe oder schon um Realitätsverlust handelt. Verwundert frage ich mich, ob Erdogan nach dem Motto ‘Augen zu und durch‘ handelt, oder ob sein verstörendes Verhalten wirklich nur ihm nicht auffällt. Wie muss man ticken, wenn man getragen von der einen Hälfte der Bevölkerung, den anderen Teil nicht nur negiert, sondern offen bekämpft?

Wenn die hier lebenden Türken den Präsidenten der Türkei mitwählen sollen, ist es auch normal, wenn er hier für die Stimmabgabe wirbt. Also warum ihn nicht reden lassen? Allerdings trifft der Ministerpräsident der Türkei in Deutschland nicht in ein entpolitisiertes Vakuum. Deshalb ist es keine Majestätsbeleidigung, wenn man ihn mit unserer Haltung zu seinem politischen Verhalten konfrontiert. Und da liegt einiges sehr im Argen. Nur finde ich es ebenso fehl am Platz, dass einige der Versuchung nicht widerstehen können, Kritik an Erdogan zum Türken-Bashing zu nutzen."

(RP)
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