NPD-Verbotsverfahren Richter ticken anders

Berlin · Die Länder drängen mit Macht auf ein NPD-Verbotsverfahren. Doch die Zweifel sind seit dem Desaster 2003 nicht geringer geworden. Mit gutem Grund: Selbst die Verbrechen der NSU sind vor Gericht wohl kaum tragfähig. Das Gesetz hat für ein Parteienverbot bewusst hohe Hürden gesetzt.

In dieser Woche läuft es nach monatelangem Ringen auf eine Entscheidung hinaus. Am Mittwoch votierten die Innenminister der Länder geschlossen für ein NPD-Verbotsverfahren. An diesem Donnerstag werden die Regierungschefs aller Voraussicht nach folgen.

Es sind die Morde der der NSU, die die Stimmungslage haben kippen lassen. Die weitverbreitete Schlussfolgerung: Die Rechtsradikalen sind weitaus mehr als eine abstrakte politische Gefährdung unserer Demokratie. Sondern sie bedrohen Leib und Leben von Menschen. Dass die braunen Hetzer von der NPD dann auch noch durch das Parteienrecht vom Staat finanziell unterstützt werden, gerät vielen zur unerträglichen Vorstellung.

Die Zweifel sind gewaltig

Entsprechend optimistisch gibt sich am Donnerstag Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD). Er geht davon aus, dass alle Bundesländer für ein erneutes NPD-Verbotsverfahren stimmen werden. Demokraten müssten hier ein Zeichen setzen. Die NPD versuche, das Gemeinwohl zu unterhöhlen und zu stürzen. Die Partei gehöre verboten.

Doch die Zweifel in Bundestag und Bundesregierung sind gewaltig. Ein klare Positionierung hat Innenminister Friedrich bislang ebenso vermieden wie Kanzlerin Angela Merkel. Ihnen geht es vor allem um eins: Kommt es zu einem Verbotsverfahren, dann muss es ein Erfolg werden. Alles andere wäre für die bundesdeutsche Politik ein Fiasko, das die Pleite aus dem Jahr 2003 noch in den Schatten stellen würde. Damals wurde das Verfahren eingestellt, weil Aussagen von V-Leuten vor Gericht nicht verwertbar waren. Die NPD war quasi staatlich unterwandert.

Zur Not im Alleingang

Am Donnerstag bekräftigte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Bedenken. Sie warnt die die Bundesregierung davor, sich dem geplanten NPD-Verbotsantrag der Länder anzuschließen. Die Bundesregierung sei "gut beraten, sich eine eigene Meinung zu bilden", sagte die FDP-Politikerin der Welt. Das V-Leute-Problem sei "noch nicht sicher ausgeräumt." Mit der NPD fiele zudem nicht mehr und nicht weniger weg als eine Organisationshülle.

Ob sich nun also auch Bundestag und Bundesregierung einem Verbotsantrag anschließen würden, bleibt offen. Der Bundesrat würde bei seinen kommenden Sitzungen am 14. Dezember oder am 1. Februar 2013 vermutlich aber auch im Alleingang einen neuen Verbotsantrag in Karlsruhe beschließen.

Geschlossenheit darf ein Gericht nicht interessieren

Die Länder hoffen jedoch sehr darauf, dass sich auch andere Verfassungsorgane dem Antrag anschließen. Vermutlich ist das als politischer Reflex zu verstehen. An die Richter in Karlsruhe soll ein Signal der Geschlossenheit ausgehen. "Das ist die Ideallinie, die wir erreichen wollen, um der ganzen Sache ausreichend Schwung zu verleihen", sagt etwa der Ministerpräsident Rainer Haseloff. Dass der Justiz die geschlossene Beteiligung von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung schon im Jahr 2003 völlig egal war, ist dabei freilich unter den Tisch gefallen.

Auch bei einem neuen Verbotsverfahren werden sich die Richter vielmehr streng formal an rechtlichen Kriterien orientieren. Die setzen für ein Parteienverbot hohe Hürden. Mit gutem Grund: In einer Demokratie zählt das Parteienrecht und die Meinungsfreiheit zu den hohen Gütern. Aus rein rechtlicher Perspektive darf es nicht zulässig sein, dass eine demokratisch gewählte Mehrheit ihre Macht ausnutzt, um eine Opposition mundtot zu machen oder gar zu verbieten.

Parteienverbot als politisches Instrument

Die Hürde, die das Grundgesetz hier setzt, ist in Deutschland auch aus historischen Gründen besonders hoch. Deutschland hat in der Zeit des Nationalsozialismus äußerst schlechte Erfahrungen mit allzu willkürlichen Parteiverboten gemacht. Erst zweimal in der Geschichte der Bundesrepublik hatte das Gericht denn auch nach dem Krieg ein Parteiverbot ausgesprochen — 1952 gegen die rechtsextremistische Sozialistische Reichspartei (SRP) und 1956 gegen die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD).

Und selbst die Entscheidung gegen die KPD geriet zum juristischen Drahtseilakt.
Dass die NPD verfassungsfeindliches Verhalten an den Tag legt, steht im Grunde außer Frage. Sie hetzt gegen Minderheiten und Ausländer, sie ruft indirekt zum Sturz des Systems auf. Doch allein das reicht vor Gericht für ein Verbot nicht aus. In ihrem KPD-Urteil hatten die Verfassungsrichter ausgeführt, dass "eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung hinzukommen" muss. Dies wollen die Länder mit ihrer umfangreichen Materialsammlung belegen.

Es geht um aggressive Vorgehensweise

Der frühere Vizepräsident des Verfassungsgerichts, Winfried Hassemer, macht ihnen Mut: "Der vorige Versuch, die NPD zu verbieten, scheiterte, weil das Gericht nicht unterscheiden konnte, ob das zur Begründung eines Verbots beigebrachte Material von der NPD selber oder von V-Leuten stammte. Dieses Problem existiert offenbar nicht mehr", sagte Hassemer jüngst der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Hassemer, der sich noch 2003 für die Einstellung des Verbotsverfahrens ausgesprochen hatte, sagte, es gebe nun gute Chancen, "auch zum materiellen Problem" vorzudringen. "Das besteht nicht nur in irgendwelchen dummen Texten der NPD, sondern in deren aggressiver Vorgehensweise. So könnte es dieses Mal tatsächlich zum Verbot kommen."

Die NPD siecht derzeit dahin

Dabei wäre eine Vermengung von NSU und NPD allerdings erst einmal nachzuweisen. Auch wenn NSU-Sympathisanten wie der mutmaßliche Helfershelfer Ralf Wohlleben eine direkte Verbindung zur NPD ergeben, beweist das nicht eine Beteiligung der Partei an den Verbrechen im rechtsradikalen Untergrund. Mörder und ihre Helfer sind nach dem Strafrecht zu verurteilen, das im Grunde nur Individuen verantwortlich machen kann.

Ein weiteres Risiko wäre außerdem eine NPD-Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Er könnte ein Verfassungsurteil aushebeln: In seinem Urteil zum Verbot der islamistischen türkischen Wohlfahrtspartei hatte der Gerichtshof 2003 klargestellt, dass von einer zu verbietenden Partei eine konkrete Gefahr für die Demokratie ausgehen muss. Mitunter wird das so ausgelegt, dass eine Machtübernahme kurz bevorstehen müsse. Dies der NPD nachzuweisen, die unter schwindenden Mitgliederzahlen und rückläufigen Wahlergebnissen leidet, dürfte schwerfallen.

(pst, mar)
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