Interview mit Grünen-Politiker Habeck "Jamaika kann kein rechtes Bündnis sein"

Düsseldorf · Kurz vor den ersten Jamaika-Gesprächen warnt Schleswig-Holsteins Umweltminister Robert Habeck die Union vor einem Rechtsruck. Ein Interview über die Chancen und Grenzen einer schwarz-gelb-grünen Koalition.

 Schleswig-Holsteins Vize-Ministerpräsident und Grünen-Politiker Robert Habeck.

Schleswig-Holsteins Vize-Ministerpräsident und Grünen-Politiker Robert Habeck.

Foto: A. Krebs

Schleswig-Holsteins Vize-Ministerpräsident kommt allein, seine Pressesprecherin muss in Kiel die Stellung halten. Robert Habeck ist derzeit oft in Berlin anzutreffen - dabei beginnen die Sondierungsgespräche zwischen Union, FDP und Grünen erst an diesem Mittwoch. Der 48-jährige Sympathieträger ist Teil des 14-köpfigen Teams, das die Grünen ab Freitag in die größere Sondierungsrunde schicken.

Herr Habeck, sitzt hier eigentlich der neue Parteichef der Grünen vor uns?

Habeck Das steht im Moment überhaupt nicht an. Deutschland steht vor den schwierigsten Koalitionsverhandlungen, die wir seit Langem hatten. Zudem befindet sich Europa vor einer der schwierigsten Situationen, die die Staatengemeinschaft je hatte. Jeder, der jetzt über Posten nachdenkt, hat nicht verstanden, worum es eigentlich geht. Das schließt mich ein.

Welche Signale brauchen Sie von Union und FDP, um einem Grünen- Parteitag Jamaika-Koalitionsverhandlungen empfehlen zu können?

Habeck Jenseits von Inhalten: Die Union, vor allem die CSU, muss aufhören, von Rechtsruck und rechter Flanke zu sprechen. Das ist eine einzige Provokation. Ein Bündnis der Union mit der FDP und den Grünen kann kein rechtes Bündnis sein. Ende der Durchsage. Die FDP darf nicht von Jamaika als einem Bündnis des Bürgertums reden. Die Annahme, es täten sich allein Besserverdienende zusammen, ist ein Killer für Jamaika.

Wie könnte die gemeinsame Überschrift für Jamaika lauten?

Habeck Mir würde so etwas wie das europäische Motto vorschweben: In Vielfalt geeint. Das könnte eine Leitidee sein. Jamaika wird keine Engtanzveranstaltung, wie Rot-Grün oder Schwarz-Gelb es war. Es wird eher wie in der Diskothek sein, ein bisschen Freestyle - und trotzdem müssen sich alle zur gleichen Musik im einigermaßen gleichen Rhythmus bewegen.

Die FDP will der CDU das Finanzministerium nicht mehr überlassen. Finden Sie das richtig?

Habeck Die FDP ist lustig. Sie sagt einerseits, wir müssen gar nicht regieren, ist andererseits aber die Erste, die an den Trögen ist, wenn es um Posten geht. Die FDP kann nicht davon ausgehen, dass sie das Finanzministerium bekommt. Christian Lindner hat uns im Wahlkampf in der Finanz- und Europapolitik den Fehdehandschuh hingeworfen. Staateninsolvenz und möglicher Ausschluss aus dem Euro-Raum - das ist mit uns nicht zu machen. Diese Fragen werden über das Finanzministerium entschieden. Da ist Finanzpolitik also Außenpolitik. Insofern werden wir es nicht einfach akzeptieren, dass die FDP das Finanzministerium bekommt.

Die Grünen kritisieren die angebliche Austeritätspolitik der Bundesregierung in Europa. Wie kommen Sie eigentlich darauf? In Europa wird doch schon seit Jahren mit deutschem Einverständnis nicht gespart.

Habeck Draghi hat den Euro gerettet, nicht Schäuble. Und zwar gegen die Austeritätspolitik von Wolfgang Schäuble. Europa hat tatsächlich unter der Regie der EZB einen anderen Kurs eingeschlagen, der es den Schuldenländern im Süden ermöglicht hat, einigermaßen auf einen grünen Zweig zu kommen. Wir wünschen uns eine Politik, die klar pro-europäisch in Allianz mit Macron versucht, ein Europa 4.0 mit deutlich mehr gemeinsamen Investitionen aufzustellen. Über die Fiskalpolitik wollen wir einen neuen proeuropäischen Geist entfachen.

Auf Deutschland bezogen: Die schwarze Null ist keine Grundvoraussetzung für Jamaika?

Habeck Die schwarze Null ist kein Selbstzweck. Haushalte sollten der Politik so viele Handlungsmöglichkeiten eröffnen, dass sie zu ihren eigentlichen Gestaltungsaufgaben kommt. Und es gibt ja immer die Möglichkeit, die Einnahmeseite zu erhöhen. Es muss allerdings vermieden werden, dass wir so hohe strukturelle Mehrausgaben vereinbaren, dass wir uns bei schlechterer Konjunktur alle Gestaltungsoptionen nehmen.

Den Soli würden Sie abschaffen?

Habeck Nein. Ich würde den Soli nicht abschaffen. Der Hauptgrund, warum die FDP jetzt den Soli vorschlägt, ist, dass die Länder davon nicht betroffen wären. Es ist eben die technisch leichteste Steuersenkung. Aber wir haben so viele strukturelle Probleme, dass wir die knapp 20 Milliarden Euro aus dem Soli brauchen werden.

Wie finden Sie den Kompromiss der Union zum Thema Obergrenze mit einer Orientierungsgröße von 200.000 Flüchtlingen pro Jahr?

Habeck Positiv formuliert: Die CSU kommt auf den Boden des Grundgesetzes zurück. Sie erkennt an, dass das Asylrecht und Flüchtlingskonventionen keine Obergrenze bekommen können. Krass, dass man das schon loben muss. Aber wenn man sich die Logik der Unionseinigung anschaut, dann führt die Begrenzung auf 200.000 letztlich dazu, dass die Stellschrauben beim Familiennachzug und bei humanitären Kontingenten liegen. Das ist integrationspolitisch falsch, und den Schleuserbanden werden wir so auch nicht das Handwerk legen. Deshalb wird das Unionspapier zur Flüchtlingspolitik die Koalitionsverhandlungen nicht unverändert überstehen.

Wie wichtig ist es für die Grünen, dass Flüchtlinge ihre Familien nachholen können?

Habeck Für uns ist der Familiennachzug einer der zentralen Punkte für eine gelingende Integration. Wir reden beim Flüchtlingsnachzug aktuell von 70.000 Menschen. Und auch wenn in den nächsten zwei Jahren die Zahlen noch etwas höher lägen, sie sind weit von Panikmache entfernt.

Warum sollen subsidiär - also auf einen begrenzten Zeitraum - Geschützte integriert werden müssen?

Habeck Weil sie hier sind.

Das sind Leute, die in ihre Heimatländer zurückkehren sollen . . .

Habeck Der Schutz gilt zwar befristet. Aber die Befristung wird ja in der abstrakten Annahme getroffen, dass irgendwann wieder Frieden herrscht. Es gibt keine Klarheit, wann dies passiert, und jede Erfahrung zeigt, dass es meist länger dauert als angenommen. Stichwort Afghanistan. Es wäre fahrlässig und realitätsblind, über kommenden Frieden zu spekulieren und das Naheliegende nicht zu tun. Stellen Sie sich vor, dass wir subsidiären Schutz immer wieder verlängern, die Menschen irgendwann zehn Jahre hier leben, ihre Familien aber immer noch nicht nachkommen dürfen, weil die Verlängerung immer nur befristet war.

Deutschland wird Stand heute seine Klimaziele deutlich verfehlen. Können die Grünen das als Regierungspartei zulassen?

Habeck Nein. Es darf keiner erwarten, dass eine Regierung mit Beteiligung der Grünen als erstes die Klimaschutzziele nichtein hält. Der einfachste Weg und wahrscheinlich der einzige, nachdem man so viel Zeit verplempert hat, ist die Abschaltung der 20 ältesten Braunkohlekraftwerke bis zum Jahr 2020. Dann gibt es noch eine Chance, das Klimaziel der CO2-Reduktion zu erreichen.

(mar / qua)
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