Wiesbaden Roland Koch auf Abschiedstour

(RP). Hessens scheidender Ministerpräsident Roland Koch (CDU), eines der politischen Ausnahmetalente, macht eine letzte Busfahrt durch sein Land. Die Leistungsbilanz ist sichtbar, aber auch die Schwäche des Kopfmenschen, es menscheln zu lassen.

Das erklärt Roland Koch zum Rücktritt
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Foto: APN

Helmut Kohl war 52, als er Kanzler wurde. Hessens Ministerpräsident Roland Koch kehrt am 31. August mit 52 Jahren der aktiven Politik den Rücken. Für immer, wie er betont. Koch hat wie Kohl schon als Junge Leidenschaft für die Politik entwickelt. Bei seiner Abschieds-Bustour durch Hessen gab es eine Station, bei der wieder deutlich wurde, warum das politische Ausnahmetalent nie in die Nähe des Amtes gekommen ist, dem angeblich sein Streben seit Frankfurter Jura-Studentenzeiten galt: dem des Kanzlers.

Kohl, Kopf- und Gefühlsmensch in einer Person, war ein begnadeter Wahlkämpfer und Menschenfischer. Koch tut sich schwer, es menscheln zu lassen. In elf Regierungsjahren wurde er nicht zum "Landesvater". Selbst im Stuhlkreis fünfjähriger Migrantenkinder mit Sprachdefiziten wirkt der Gast in der Wiesbadener Friedrich-von-Schiller-Schule gehemmt, fast verlegen.

Er, der aus dem Stegreif über Integrationspolitik, Energieversorgung, Finanzprobleme so detailliert wie druckreif zu sprechen vermag (was der Generalist Kohl nie fertigbrachte), nimmt die neben ihm hockende und heulende kleine Clara, die mit anderen Knirpsen sprachlich grundschulfit gemacht werden soll, nicht in den Arm. Was hätte ein Kohl, ein Rau, ein Kurt Beck aus dieser Chance zur Zuwendung gemacht!

Der brillante Kopfmensch Koch wirkt erleichtert, als ihn die zwölf Kleinen mit einem Liedchen verabschieden — oder erlösen? Koch bedankt sich, greift in eine Geschenktüte mit Schlüsselanhängern und verlässt den Klassenraum. Um die tränenreiche Clara kümmert sich Frau Hübner, die Spracherzieherin.

Roland Kochs Welt war die Politik, das Analysieren, das intellektuelle Durchdringen, schließlich das Durchsetzen dessen, was ihm wichtig erschien. Frage an Koch: "Halten Sie wie Adenauer Mut für die wichtigste Politiker-Tugend?" Antwort: "Das ist nicht falsch. Man muss sich einer Sache so sicher sein, dass man bereit ist, sie gegen Widerstände durchzusetzen, aber nicht immer, sonst wird man skurril."

Koch, der 1999 eine viel kritisierte Wahlkampagne gegen Pläne zur Mehrfach-Staatsbürgerschaft inszeniert und die Wahl gewonnen hatte, genießt in der Rückschau seine Erfolge in der Integrationspolitik. Dafür bekam seine Landesregierung 2005 den Integrationspreis der türkischen Regierung. Die Förderklassen mit Deutschkursen für Kindergarten-Kinder aus Zuwanderer-Familien nennt Koch stolz "hessiche Trendsetter". Niemand komme mehr in die erste Grundschulklasse, der seine Lehrerin nicht verstehe. Der Erfolg ist frappierend. Immer weniger hessische Zuwanderer-Kinder scheitern schulisch.

Stolz ist Koch auch auf die Erfolge der hessischen Kriminalaufklärung (plus zehn Prozentpunkte seit 1999) und der Klinikum-Privatisierung sowie ganz besonders auf seine Hartnäckigkeit beim Ausbau des Frankfurter Flughafens, Hessens Job-Beschaffer Nummer eins.

Der Vorstandsvorsitzende der Fraport AG, Stefan Schulte, lobt den scheidenden Regierungschef, ohne dessen Einsatz die neue Nordwest-Landebahn nicht zum Winter 2011 fertig sein würde. Koch ist kein Schulterklopfer, auch nicht bei sich selbst. Dennoch entschlüpft ihm ein seltenes, aber dickes Selbstlob: Keiner seiner Ministerpräsidenten-Kollegen habe bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze in solch einer Größenordnung mitgewirkt. Der Ausbau der neuen Landebahn auf einer der größten deutschen Baustellen schaffe 40 000 bis 70 000 neue Jobs. Koch nennt solche Leistungsbilanzen die "uneinholbar schönen Seiten des Ministerpräsidenten-Amtes".

Die Frage, warum er diese künftig nicht mehr erleben wolle, beantwortet Koch, der am 30. August mit einer deutsch-amerikanischen Militär-Zeremonie (feierliche Serenade, Fackeln) verabschiedet wird, extrem kühl und routiniert: "Der Mensch darf nicht mit dem Amt verwachsen, ein Spitzenpolitiker soll nicht so lange bleiben, bis man ihn aus dem Amt zerren muss. Ich hab' mich nie festgezurrt. Jeder ist ersetzbar, es kommen, siehe die NRW-CDU mit Laschet und Röttgen, wieder tolle Neue."

Und was macht er künftig? Kochs Antwort: "Ein paar Monate ausklinken, in die USA reisen, vielleicht in einer Hotelküche helfen, dann statt 90 nur noch 80 Wochenstunden arbeiten. Ich bin ja kein Aussteiger." Der Hobby-Koch, der gerne in Schnellrestaurants Cola und Cheeseburger verzehrt, wird einen Top-Job in der Wirtschaft bekommen. Dort gilt wie in der Politik: Wer keine Hitze verträgt, soll die Küche meiden. Aber der Pranger — der ist allein für Spitzenpolitiker. Nur wer ihn aushalte, überlebe die Politik, sagt Koch zum Abschied.

(RP)
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