Fragen und Antworten Rot-Rot-Grün in Deutschland? Berlin gibt Zeichen für den Bund

Berlin · Kann Rot-Rot-Grün in der deutschen Hauptstadt ein Vorbild für den Bund sein? Das greifbare Linksbündnis in Berlin nährt, je nach Standpunkt, Hoffnungen und Ängste. Wir haben die Chancen und Risiken zusammengestellt.

Rot-Rot-Grün in Deutschland? Berlin gibt Zeichen für den Bund
Foto: dpa, Tim Brakemeier

Im Bundestag hätten die drei Fraktionen zusammen schon derzeit eine knappe Mehrheit. Aber ein Regierungswechsel durch ein konstruktives Misstrauensvotum erscheint unwahrscheinlich, so sehr es in der großen Koalition auch knirschen mag. In Umfragen verfehlen SPD, Linke und Grüne aktuell eine gemeinsame Mehrheit, wenn auch nicht sehr weit. Die Schwäche der SPD, starke AfD-Werte und eine über fünf Prozent kommende FDP macht Rot-Rot-Grün rechnerisch schwierig. Aber Fans von "R2G" - so die Kurzform der Variante - hoffen auf Zulauf, wenn dafür Wahlkampf gemacht wird.

Eine Alternative zu Schwarz-Rot an der Seite von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zu haben, kommt manchen Strategen der im Umfragetief verharrenden SPD gerade Recht. SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann meint zwar, es gebe keine hinreichende inhaltliche Übereinstimmung: "Aber warum soll sich das bis zur Bundestagswahl nicht noch ändern." Die Vorbehalte werden kleiner - schließlich spielt die Reizfigur Oskar Lafontaine, Ex-SPD- und Linken-Chef, keine direkte Rolle mehr bei den Linken im Bund. Bei den Grünen sind viele Realos eher für Schwarz-Grün, viele vom linken Flügel eher für Rot-Rot-Grün - offiziell will man sich vorher nicht festlegen.

Führende Linke wollen es - vor allem Parteirealos. Ein Regierungswechsel für eine linke Politik "kann 2017 mobilisieren", hat Linke-Geschäftsführer Matthias Höhn in ein Strategiepapier geschrieben. Parteichefin Katja Kipping frohlockt, das Berliner Ergebnis mache "Mut für neue linke Mehrheiten". Für Altstar Gregor Gysi ist die Ablösung Merkels durch ein linkes Bündnis schon lange das erklärte politische Traumziel.

Ist Rot-Rot-Grün also ausgemachtes Ziel der Linken?

Nein. Die Parteilinken um Fraktionschefin Sahra Wagenknecht sind deutlich skeptischer. Die Ehefrau von Lafontaine greift die SPD als Teil des Parteienestablishments an - linke Politik sei mit der SPD kaum zu machen. Kritiker sagen Wagenknecht nach, die Linke unbedingt auf Oppositionskurs halten zu wollen.

Sind die inhaltlichen Hindernisse unüberwindbar?

Wahrscheinlich nicht. Klar - die Linken lehnen Kampfeinsätze der Bundeswehr prinzipiell ab und wollen Umverteilung durch deutliche Vermögensbesteuerung und ein Rentenniveau von 53 Prozent. Aber, wie Kipping es sagt, Koalitionen seien ohne Kompromisse nicht zu machen. Es ist aber doch offen, ob Wagenknecht und Co. ihren Flügel zähneknirschend von solche Kompromissen überzeugen könnten.

Mit was könnte ein Linksbündnis für sich werben?

Negativ-Botschaften à la "Merkel soll weg" dürften nicht reichen - da sind sich "R2G"-Anhänger sicher. Also müssten gemeinsame Projekte her - etwa eine Bürgerversicherung, für die prinzipiell alle drei sind. Und im Prinzip sind auch SPD und Grüne für die von der Linken verlangte Abkehr der Reformagenda 2010 - wenn auch nur in Teilen.

Bereiten SPD, Grüne und Linke Rot-Rot-Grün offensiv vor?

Bisher nicht. Zwar gibt es Gespräche zwischen den Parteien, aber keine zielgerichteten Treffen auf Spitzenebene. Linken-Frontfrau Wagenknecht ist vielen Sozialdemokraten suspekt, Co-Fraktionschef Dietmar Bartsch dagegen nicht. Zwischen Realo-Grünen wie dem Südwest-Landeschef Winfried Kretschmann oder Parteichef Cem Özdemir und den linken Linken liegen Welten.

Ist die AfD nicht eher ein Grund für eine stabile große Koalition?

Nicht unbedingt. Die Verlust von SPD und CDU bei der Berlin-Wahl zeigen: Die politische Mitte ist unter Druck. Ein Rezept könnte sein, dass die SPD wieder linker, die CDU konservativer wird. Rechnerisch könnte eine starke AfD der Union die Partnersuche erschweren. "Wer AfD aus Protest wählt, stärkt am Ende das Linke Lager", twitterte Julia Klöckner schon im März. AfD-Chef Jörg Meuthen betont nun, er halte nichts von der Warnung "Wählt nicht die AfD - sonst bekommt ihr Rot-Rot-Grün". Aber eine Gegenrechnung macht er nicht auf.

Welche Erfahrungen gibt es mit Rot-Rot-Grün?

In Thüringen regiert seit 2014 ein rot-rot-grünes Bündnis unter dem linken Ministerpräsidenten Bodo Ramelow eher unauffällig. Die gleiche Partnerschaft unter Führung der SPD gab es noch nicht. Zweimal wurden rot-grüne Minderheitsregierungen gebildet, die von Linke-Vorgänger PDS toleriert wurden: Von 1994 bis 1998 in Sachsen-Anhalt (Magdeburger Modell) und von 2001 bis 2002 in Berlin.

(felt/dpa)
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