Sahra Wagenknecht in Düsseldorf Auf der Suche nach der linken Mitte

Die Linke will 2017 bei der Landtagswahl über die Fünf-Prozent-Hürde kommen. Das ruft Sahra Wagenknecht auf den Plan. In einem Brauhaus in Düsseldorf machte sie einen Annäherungsversuch an die politische Mitte.

 Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht war am Donnerstag zu Gast in Düsseldorf.

Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht war am Donnerstag zu Gast in Düsseldorf.

Foto: dpa, rje wst

Der Durst ist groß, der Köbes trägt ein Tablett mit Altbier durch den Saal. Etwa 80 Menschen haben sich im Brauhaus am Dreieck im Düsseldorfer Stadtteil Pempelfort versammelt, um einen Vortrag von Sahra Wagenknecht zu hören. Es wird langsam unruhig, die Linken-Politikerin steht im Stau. "Es ist ja schon eine interessante Frau", sagt einer, der aus Neugier gekommen ist. "Im Fernsehen kann sie sich jedenfalls gut präsentieren", sagt ein anderer.

Die "allpha60", die sich als generationsübergreifende Interessengemeinschaft bezeichnet, hat die Bundesfraktionssitzende der Linken eingeladen. "Ich habe da einfach angerufen", sagt die Organisatorin Heidemarie Schellenberg. Wagenknecht hat zugesagt. Nun soll sie über die Eurokrise sprechen.

In schwarz-rot-kariertem Etuikleid, schwarzen Pumps und blau funkelnden Ohrringen erscheint Wagenknecht dann in der Gaststätte. Dort ist ein Barhocker an einem Biertisch für sie reserviert. Hinter ihr hängt ein Ölbild der benachbarten Kreuzkirche, der Kühlschrank hinter der Theke brummt. Wagenknecht entschuldigt sich für die Verspätung, dann legt sie los.

In zwanzig Minuten schafft sie einen Parforceritt durch das Parteiprogramm der Linken - von der Eurokrise ausgehend über die schlechte Lohnentwicklung, der Demokratie in Europa bis zu Bankenrettung, Waffenexporten und Bildungspolitik. So moniert sie die Aufweichung des Sozialstaats, prangert die niedrige Zinspolitik der Europäischen Zentralbank an und spricht davon, dass die Mittelschicht "geschröpft" wird. Ihre Botschaft: Die Mitte muss für die Bankenrettung zahlen und leidet unter den niedrigen Kapitalzinsen. Die Reichen hingegen profitieren von den Renditen an den Kapitalmärkten. Sie will das ändern.

Wagenknecht möchte die "Mitte" erreichen

Überhaupt fällt das Wort "Mitte" sehr oft an diesem Abend. Wagenknecht argumentiert, die Volkspartei SPD habe mit der Agenda 2010 dazu beigetragen, den Sozialstaat aufzuweichen, und somit Lohndumping, Leiharbeit, Werksverträgen und Finanzspekulation ermöglicht. Offenbar will Wagenknecht in die "Mitte" vorstoßen, da sind die Stimmen zu holen. Auch unter den Männern und Frauen im Saal vermutet sie offenbar neue Linkenwähler.

Denn: Zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen ist es nicht mehr lang. Da zieht es auch die Bundesfraktionsvorsitzende in die Landeshauptstadt. Für die Partei steht im Mai einiges auf dem Spiel — und somit auch für die Fraktionsvorsitzende.

Anders als in vielen ostdeutschen Bundesländern steht in Deutschlands größtem Land nicht fest, ob die Partei überhaupt den Einzug ins Parlament schafft. Dazu müsste der Landesverband die Fünf-Prozent-Hürde überspringen. Vor vier Jahren war die Linke daran gescheitert. Laut einer von unserer Redaktion in Auftrag gegebenen Umfrage des von Klaus-Peter Schöppner geleiteten Instituts Mentefactum wird es knapp: Demnach rangiert die Partei derzeit bei eben fünf Prozent.

Punkten wollen die Linken mit einem Programmentwurf, den die NRW-Parteispitze am Mittwoch vorstellte. Zu den Kernforderungen gehört die gesetzliche Einführung eines Mindestlohns für Landesbedienstete von zwölf Euro pro Stunde. Aber auch die "Vergesellschaftung" von Unternehmen, die von Schließung bedroht sind, steht darin. Dazu fordert die Partei: beitragsfreie Kindertagesstätten, eine Schule für alle bis zur Klasse zehn und "ticketfreien" Personennahverkehr. Woher das Geld für die Maßnahmen kommen soll, können die Düsseldorfer Linken noch nicht beantworten. Das soll, so Parteichef Christian Leye, noch von der Bundespartei geklärt werden.

Im Brauhaus fordert Wagenknecht ihre Zuhörer auf zu sagen, was ihnen "auf dem Herzen brennt". Es kommen Fragen zum Brexit oder auch zur Zinspolitik des EZB-Chefs Mario Draghi. Ein älterer Mann mit Brille etwa fragt, ob Europa nicht gescheitert sei, weil die Gemeinschaft angetreten sei, um gleiche Lebensverhältnisse zu schaffen. Wagenknecht nickt zustimmend, während sie zuhört. Ihre funkelnden Ohrringe baumeln heftig.

Eine Frau fragt, was sie von der US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton hält. Wagenknecht schmunzelt. "Das ist eine schwierige Frage", sagt sie. Gewissermaßen habe man die Wahl zwischen "Pest und Cholera". Sie erntet einen Zwischenruf, manche schütteln die Köpfe. Doch Wagenknecht bleibt dabei: "Die Vorstellung von Trump am Atomknopf ist gruselig. Aber mit Hillary Clinton verbinde ich nicht irgendeine Hoffnung", sagt sie. Clinton sei die Kandidatin des Establishments, von der Wall Street finanziert. Mit Bernie Sanders hätten die Demokraten einen "rauschenden Sieg" eingefahren. Das mag man ihr an diesem Abend nicht so recht glauben.

Zur Flüchtlingspolitik, mit der die AfD die meisten Stimmen fängt, kommt nur eine Frage. Ein Herr im Wollpullover möchte von Wagenknecht wissen, ob sie glaube, dass Europa das schaffen könne. Als sie ausführt, dass Europa die Krise mitverursacht habe, gibt es zustimmendes Gemurmel aus dem Saal. Als sie fordert, der UN endlich genug Geld zu geben, damit man etwas in den Flüchtlingslagern verbessern könne, wird applaudiert.

Dass die politischen Ideen der Linken nicht nur gesellschafltiche Utopie sind, sondern auch machbar, daran zweifelt am Ende ein Rentner im Publikum. "Ich stimme komplett mit dem überein, was Frau Wagenknecht sagt", sagt er. "Aber ob ich sie auch wähle, ist eine andere Sache."

(heif)
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