Berlin, Hannover, Kassel Salafisten verteilen Koran in deutschen Städten

Berlin · War das groß angekündigte Verteilen von Koran-Ausgaben in deutschen Städten nur ein Bluff? In vielen Fußgängerzonen ließen sich die Salafisten am Samstag jedenfalls nicht blicken. In Berlin, Hannover und Kassel aber schon.

Fakten zum Salafismus in Deutschland
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Foto: afp, FETHI BELAID

Salafisten haben am Samstag in mehreren deutschen Städten erneut kostenlos Koran-Ausgaben verteilt - ungeachtet der scharfen Kritik an ihrem Vorgehen. Allerdings fand die Aktion nach dpa-Recherchen in weniger Städten statt als im Vorfeld angekündigt. Die radikalen Islamisten wollten die heilige Schrift des Islam in 38 Städten gratis verteilen. Insgesamt wollen die Salafisten unter der Überschrift "Lies!" etwa 25 Millionen Koran-Exemplare verschenken.

Während beispielsweise Passanten am Potsdamer Platz in Berlin sowie in den Fußgängerzonen von Hannover, Fulda, Kassel und Göppingen Ausgaben des Koran angeboten bekamen, ließen sich in Hamburg, Stuttgart, Karlsruhe, Mainz, Wiesbaden und anderen Städten keine Salafisten blicken.

In Berlin sorgte die Aktion für heftige Diskussionen zwischen Passanten und den Islamisten, aber auch unter Passanten. Viele nahmen Koran-Exemplare mit. Eine 65 Jahre alte Frau aus Chemnitz sagte: "Ich will mir selber ein Bild machen." Die Polizei verfolgte die Aktionen aufmerksam. Zunächst wurden keine Zwischenfälle bekannt.

Laut Verfassungsschutz soll das Netzwerk "Die wahre Religion" um den radikalen Prediger Ibrahim Abou Nagie hinter der Koran-Verteilung stecken. Politiker und Sicherheitsbehörden befürchten, dass die Salafisten die Aktion für extremistische Zwecke missbrauchen könnten.

Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, sagte der "Welt am Sonntag", dass der Salafismus mit seiner Ideologie zum Radikalisierungsprozess von Menschen beitragen könne, habe zum Beispiel der Anschlag auf US-Soldaten am Frankfurter Flughafen 2011 gezeigt. Zwar könne nicht jeder Salafist mit Terrorismus in Verbindung gebracht werden. "Gleichwohl beobachten die Sicherheitsbehörden, insbesondere der Verfassungsschutz, diese Szene sehr intensiv, da der Salafismus die pluralistische Gesellschaft, wie wir sie hier in Deutschland haben, zumeist ablehnt." Nötig sei eine stärkere Aufklärung über die wahren Absichten der Salafisten.

Den Salafisten gehe es um Propaganda und die Rekrutierung von Anhängern, sagte die Chefin des Berliner Verfassungsschutzes, Claudia Schmid, der Tageszeitung "B.Z." (Samstag). "Ziel dieser Kampagne ist, Interessierte in Kontakt mit der salafistischen Szene zu bringen und sie im Sinne ihrer politisch-extremistischen Ideologie zu beeinflussen."

Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, betonte am Samstag in Berlin, die friedfertige Verteilung des Korans müsse in einer Demokratie toleriert werden.
"Das eigentliche Ziel der Salafisten ist aber der gewaltsame Kampf gegen "Ungläubige". Dies ist nicht durch die Meinungs- und Religionsfreiheit gedeckt. Es ist mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht zu vereinen und eindeutig verfassungswidrig." Gegenüber den Salafisten dürfe es "keine falsch verstandene Toleranz geben".

Der parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Volker Beck, riet zu "Gelassenheit, Wachsamkeit und Wehrhaftigkeit der Demokratie" und sagte: "Gegen die neofundamentalistischen Salafisten ist die Waffe der Demokratie das Wort." Die Imame und muslimischen Verbände sollten gegen die Verhetzung durch die Salafisten klar Stellung beziehen.

Der CSU-Innenpolitiker Hans-Peter Uhl bezeichnete Salafisten in der "Bild"-Zeitung (Samstag) als "gefährliche Extremisten und Verfassungsfeinde". Mit der Koran-Aktion versuche die islamistische Bewegung, Nachwuchs zu gewinnen. Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach verlangte, das Thema ganz oben auf die Tagesordnung der Islamkonferenz am kommenden Donnerstag zu setzen. "Ich wünsche mir einen Zusammenschluss aller demokratischen Kräfte gegen Radikale", sagte er der "Passauer Neuen Presse" (Samstag). "Die Koran-Aktion und die Drohungen gegen Journalisten müssen von der Islamkonferenz scharf verurteilt werden. Das Signal des Islamgipfels an die radikalen Islamisten muss lauten: Ihr habt in unserem Land keine Chance!"

Die deutschen Sicherheitsbehörden befürchten einen eskalierenden Konflikt zwischen Islamisten und Extremisten der anderen Seite. Man sehe mit Sorge, "wie sich das politische und religiöse Klima in Deutschland weiter aufheizt", hieß es in Regierungskreisen in Berlin.

Anlass ist die Auseinandersetzung um die Gratis-Abgabe von Koran-Exemplaren in zahlreichen deutschen Städten am Samstag. Die radikalislamischen Salafisten wollen die heilige Schrift des Islam in 38 deutschen Städten — darunter auch in Aachen, Mainz, Neuss und Düsseldorf — gratis abgeben.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz, das die Salafisten seit Ende 2010 im Visier hat, hatte die Verteil-Aktion als Propaganda mit dem Ziel der Rekrutierung von Anhängern bezeichnet.

Politiker fast aller Parteien waren sich einig, dass diese Aktion für sich gesehen wenig problematisch, jedenfalls nicht zu verhindern sei, weil sie vom Grundrecht auf Religionsfreiheit gedeckt sei. Gleichwohl wird nach Angaben aus Sicherheitskreisen jeder Stand vom Verfassungsschutz beobachtet.

Hessens Minister für Justiz und Integration, Jörg-Uwe Hahn (FDP), warnte in der Zeitung "Die Welt" die Salafisten davor, das Grundrecht auf Religionsfreiheit zu missbrauchen. Er habe nichts dagegen, dass in Deutschland Koran-Ausgaben verteilt würden, sobald es dabei aber zu strafbaren Handlungen komme, werde der Staat eingreifen. "Klar ist: Jegliche Form von Gewalt - oder auch nur der Aufruf hierzu - ist durch die Religionsfreiheit nicht gedeckt, sondern kann und wird strafrechtliche Konsequenzen ebenso nach sich ziehen wie eine Abschiebung, ein Einreiseverbot oder das Verbot von Versammlungen", sagte Hahn.

Im Fall der Internet-Videos, in denen Journalisten, die kritisch über die Koran-Verteilung berichtet hatten, als "Schweine und Affen" verunglimpft und bedroht wurden, seien die Behörden schon tätig geworden. Hahn erteilte jedoch Forderungen, die Verteilaktion generell zu verbieten, eine Absage: "Das ist juristisch gesehen Unfug. Wenn beispielsweise auf der Frankfurter Zeil ein Koran verschenkt wird und dabei keine Gesetze verletzt werden, lässt sich dagegen gar nichts machen."

Unterdessen sind deutsche Sicherheitsbehörden nicht nur wegen der Koran-Verteilung durch Salafisten in Sorge um das Verhältnis zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen. So habe die rechtsgerichtete Partei "Bürgerbewegung für NRW" im Zuge des Landtagwahlkampfs dazu aufgerufen, islamfeindliche Karikaturen für einen eigens von ihr initiierten Wettbewerb einzureichen, hieß es am Freitag aus Sicherheitskreisen in Berlin. Nordrhein-Westfalen prüfe derzeit Maßnahmen gegen die Aktion.

Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) rechnet bei der für Samstag geplanten Koran-Verteilung mit Zwischenfällen. Der GdP-Vorsitzende Bernhard Witthaut sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Samstag), es könne "womöglich zu Handgemengen der Salafisten mit ihren Gegnern" kommen. Die Polizei werde sofort einschreiten. Er warnte zugleich vor einem Verbot der Aktion.

In Deutschland ist der Salafismus laut Verfassungsschutz die dynamischste islamistische Bewegung. Schätzungen zufolge gibt es bis zu 5000 Salafisten und mehrere Dutzend salafistisch dominierte Moscheen.

(may-)
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