Interview mit Kanzleramt-Chef Schärfere Regeln fürs Internet

Berlin · Der Chef des Kanzleramts, Thomas de Maizière (CDU), spricht sich für einen unabhängigen Expertenrat in Weltfinanzfragen aus und macht sich Sorgen um Auswüchse im Internet.

 Kanzleramtschef Thomas de Maiziere

Kanzleramtschef Thomas de Maiziere

Foto: ddp

In Berlin ruht die Arbeit, doch die Krise geht weiter. Kann sich die Regierung eine Auszeit leisten?

De Maizière Wir leisten uns keine Auszeit.

Dem Mittelstand fehlen die Kredite, die Arbeitslosigkeit steigt, die Verhandlungen über die Zukunft von Opel kommen nicht vom Fleck. Die Sommerpause fordert ihren Tribut.

De Maizière Das stimmt nicht. Der Bundestag arbeitet die neue Begleitgesetzgebung zum Europäischen Vertrag von Lissabon aus. Die Regierungen von Bund und Ländern entscheiden über den Umfang der Impfaktion gegen die neue Grippe, bei Opel wird es möglicherweise bald eine Entscheidung geben. Zudem liegen über 2700 Anträge aus dem Mittelstand für Bürgschaften aus dem Deutschlandfonds vor, die bearbeitet werden. Und wir verlängern eine Insolvenzregelung, die Unternehmen in Schieflage mit Fortführungsaussichten hilft. Dazu kommt der Untersuchungsausschuss zur Immobilienbank HRE. Das ist viel für eine Sommerpause.

Beim drängenden Problem der Kreditversorgung für den Mittelstand kommen Sie aber nicht weiter. Wie passt es da zusammen, dass die Banken wieder kräftig Gewinne schreiben?

De Maizière Die Banken verdienen am Handel mit Staatsanleihen ...

... und die Wirtschaft schaut in die Röhre.

De Maizière Das stimmt nicht ganz. Die Kreditversorgung der Wirtschaft nimmt insgesamt sogar im Krisenjahr 2009 leicht zu. Es gibt bisher keinen Flächenbrand. Aber es gibt in Deutschland Probleme insbesondere bei längerfristigen Krediten, für große Projekte und bei solchen, die über ein Bankenkonsortium laufen.

Der Bund ist bei zwei Großbanken Aktionär. Wie kommt er wieder raus?

De Maizière Das ist eine der zentralen Aufgaben einer neuen Bundesregierung.

Haben Sie schon einen Plan?

De Maizière International wird sich der Weltfinanzgipfel der G 20 in Pittsburgh mit der Ausstiegs-Strategie und einer Charta für nachhaltiges Wirtschaften beschäftigen.

Und in Deutschland?

De Maizière Hier müssen wir die Beteiligung des Staates Schritt für Schritt innerhalb einer bestimmten Frist vollständig abbauen.

Fühlten Sie sich in der Krise eigentlich immer richtig beraten?

De Maizière Da sprechen Sie einen wunden Punkt an. Wir haben in Deutschland schmerzlich genügend unabhängige Experten vermisst, die ausreichend Kenntnisse der Weltfinanzmärkte haben, deren Wort Gewicht hat und die nicht Teil des Systems waren. So ruhte die Last auf zu wenigen Schultern.

Was muss hier geschehen?

De Maizière Ich stelle mir einfach mehr unabhängige Fachleute in dem Bereich vor — vergleichbar zu anderen Politikfeldern, etwa den Pisa-Studien für die Bildung oder für Infektionskrankheiten. Dort gibt es die unabhängige Expertise. Für die Finanzpolitik fehlt das in dieser Form.

Neben der Wirtschaftspolitik wird die Innenpolitik wieder an Gewicht gewinnen. Dort war es zuletzt eher ruhig in der Regierung.

De Maizière Hier werden wir uns demnächst mit vielen Themen beschäftigen müssen. Ein Schwerpunkt wird der Datenschutz — und zwar mehr der zwischen Privatpersonen als zwischen Staat und Bürger. Dürfen Firmen Mitarbeiter oder Kunden per Video überwachen? Wie muss die Privatsphäre im Internet geschützt werden?

Der Vorstoß der Bundesregierung gegen Kinderpornografie im Internet hat viele Kritiker der Online-Szene auf den Plan gerufen. Die fürchten Zensur des Staates.

De Maizière Ein unberechtigter Vorwurf. Hier steht doch vielmehr die grundsätzliche Frage: Kann das Internet völlig frei sein? Müssen wir nicht die Menschen vor Denunziation, Entwürdigung oder unseriösen Geschäften schützen wie im Zivilrecht? Ähnlich wie auf den Finanzmärkten brauchen wir mittelfristig Verkehrsregeln im Internet. Sonst werden wir dort Scheußlichkeiten erleben, die jede Vorstellungskraft sprengen. Vieles geht da übrigens nicht nur national.

(RP)
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