Die Meinung der Kanzlerinnen-Biografen Schafft Merkel es noch mal?

Berlin · Der Druck auf die Bundeskanzlerin wächst. Schlägt politisch die letzte Stunde für Angela Merkel? Wir haben fünf ihrer Biografen dazu befragt.

Angela Merkel: Porträt der Bundeskanzlerin von Deutschland in Bildern
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Das ist Angela Merkel

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Foto: dpa, Patrick Seeger

Doch nicht unverwundbar

Es war in der Regierungszeit von Angela Merkel schon öfter die Rede von einer Dämmerung. Ihre Karriere beinhaltet verschiedene spektakuläre Alleingänge. Der spektakulärste - und für die Bevölkerung am schwersten zu verkraften - war der Alleingang in der Flüchtlingskrise im Spätsommer 2015, mit ihrer Einladung der Flüchtlinge und ihrer anschließenden Ansage: "Wir schaffen das." Inzwischen herrscht eine gewisse Ermüdung gegenüber der Unberechenbarkeit von Frau Merkel. Zudem kommt mit dem SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz Bewegung ins System.

Es macht sich mittlerweile der Eindruck breit: Frau Merkel ist doch nicht unverwundbar. Es ist auch nicht zu übersehen, dass die Kanzlerin inzwischen offen misslaunig wirkt - besonders deutlich wurde dies bei ihrer Begegnung mit CSU-Chef Horst Seehofer in München. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass die Bürger bei der Entscheidung zwischen Schulz und Merkel bei der Bundestagswahl doch für Merkel votieren, da sie Schulz nicht gut genug kennen.

Gertrud Höhler ist Publizistin, Unternehmensberaterin und Autorin ("Die Patin. Wie Angela Merkel Deutschland umbaut", 2012).

Krise kann sie

Merkels Wahlchancen? Noch nie hingen sie so sehr an Umständen, die außerhalb ihrer Macht liegen. Das ist neu, und es ist gefährlich. Ein großer Terror-Anschlag. Ein neuer Flüchtlingsstrom. Ein weltweiter Handelskrieg. Donald Trump, Marine Le Pen, Wladimir Putin und Fake News. Eigentlich müsste sie sich jetzt neu erfinden, aber Merkel wird Merkel bleiben: die Kanzlerin, die Krise kann - aber nicht kreativ ist. Doch schon die nächste Krise könnte die eine zu viel sein.

Ich glaube nicht, dass die Mitte in Deutschland wirklich einen Wechsel will, ein unbeschriebenes Blatt. Merkel ist nach zwölf Jahren Kanzlerschaft noch nicht wie Helmut Kohl nach 16. Und sie kann darauf zählen, dass die SPD mit der Kandidaten-Kür von Martin Schulz eine zentrale Macht-Option gleich zu Beginn verschenkt hat, nämlich Rot-Rot-Grün. Solange Merkel also vor Martin Schulz ins Ziel geht, wird sie Regierungschefin bleiben. Womöglich an der Spitze einer neuerlichen großen Koalition - die in meinen Augen das schlechteste wäre, was dem Land widerfahren könnte.

Nikolaus Blome ist stellvertretender Chefredakteur der "Bild"-Zeitung und Autor des Buchs "Angela Merkel. Die Zauder-Künstlerin", 2013.

Erfahrung als größter Trumpf

Ihr seid jetzt die "leader of the free world", bekommt ein Deutscher in den USA derzeit oft zu hören. Es ist ernster gemeint, als uns lieb sein kann. Da Amerikaner stark auf politische Führungsfiguren fixiert sind, personifiziert Angela Merkel diese Hoffnung. Wie die Regierungschefin, so ihr Land: Wirtschaftlich erfolgreich, politisch stabil, kulturell weltoffen. Unaufgeregt, solide, vertrauenswürdig.

Selten hatte Deutschland in den USA ein so gutes Image. Über Flüchtlinge und Terrorgefahr ist in US-Zeitungen zu lesen. Merkel scheint ein Ruhepol, nach dem sich das aus der Balance geratene Amerika sehnt. Es hat Merkels Kultstatus befestigt, dass sie den neuen US-Präsidenten gleich in ihrer Glückwunschbotschaft an die demokratischen Werte erinnert hat. Zugleich wird ihr zugetraut, zu Trump Vertrauen aufzubauen und das auseinanderdriftende westliche Bündnis zusammenhalten zu können. Merkels lange Erfahrung erscheint als ihr größter Trumpf. Warum die Deutschen darauf freiwillig verzichten sollten, in aufgewühlten Zeiten wie diesen, erschließt sich amerikanischen Beobachtern nicht.

Robin Mishra ist Autor des Buches "Angela Merkel — Machtworte: Die Standpunkte der Kanzlerin", 2010. Er lebt und arbeitet in Washington.

Das kleinere Übel

Langeweile war gestern. SPD-Kandidat Martin Schulz hat Amtsinhaberin Angela Merkel in der Kanzlerfrage überrundet - und er wird das in den Umfragen noch etliche Zeit tun. Auch in Zeiten, in denen sich alles ändert, bleibt die alte Politikweisheit: Es ist die Amtsinhaberin, die abgewählt wird. Und nicht der Herausforderer, der gewählt wird.

Kann sie es also nochmals schaffen? Sie kann - wenn ihre Partei halbwegs geschlossen hinter ihr steht. Sie kann - wenn CSU-Chef Horst Seehofer seine ständigen Ausfälle ihr gegenüber einstellt oder zumindest dämpft. Sie kann - weil die Weltlage am Wahltag so beunruhigend und kompliziert erscheint, dass "Sie-kennen-mich" (der Merkel-Slogan von 2013) das kleinere Übel ist. Es versteht sich von selbst, dass Merkel dafür kämpfen muss, anders als in den vergangenen beiden Wahlauseinandersetzungen. Das kann sie. Und das wird sie. Allerdings erst nach den Sommerferien. Denn Wahlen werden immer öfter erst in den letzten Tagen entschieden. Es spricht alles dafür, dass es auch dieses Mal so sein wird.

Margaret Heckel ist Journalistin und Publizistin. Sie ist Autorin des Buchs "So regiert die Kanzlerin", 2009.

Plötzlich Merkel-Dämmerung?

Seit ich Journalistin bin, gibt es am Tag nach jeder Wahl wütende Texte darüber, dass die Meinungsforscher wieder hoffnungslos danebenlagen. Politiker sagen dann gerne: Das nächste Mal nehmen wir gleich Pendel und Glaskugel. Dann vergehen zwei, drei Tage. Und schon denken, handeln und kommentieren wieder alle auf der Basis von: Umfrageergebnissen. Jetzt, kurz nach der falsch vorhergesagten US-Wahl, kommt die SPD unter Martin Schulz endlich mal aus ihrem ewigen Demoskopie-Keller. Und schon soll Merkel-Dämmerung sein?

Was hätten wir denn geschrieben, wenn die Bundeskanzlerin gleich nach der Trump-Wahl gesagt hätte: Und übrigens Leute, ich trete nicht noch einmal an? Vielleicht hielt Merkel es ja wegen Brexit, Trump und den drohenden Wahlsiegen der Nationalisten in den uns umgebenden europäischen Ländern vor allem für ihre verdammte Pflicht, nicht als, wie man in Amerika sagt, lahme Ente mit angekündigtem Verfallsdatum in die weltpolitisch entscheidenden Monate zu gehen. Also: Umfragen sind Umfragen. Merkel-Dämmerung sähe anders aus.

(RP)
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