Plagiatsvorwürfe gegen Bildungsministerin Schavans Doktortitel

Berlin · Sie gilt als integer, fleißig und enge Vertraute von Kanzlerin Merkel. Nun steht Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) wegen angeblicher Plagiate in ihrer Doktorarbeit unter Druck.

Das ist Annette Schavan
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Inmitten einer von Streitereien und Eitelkeiten geprägten Bundesregierung ist Annette Schavan die personifizierte Seriosität. Leise, bescheiden, integer — so lauten die Urteile über die Bildungsministerin, die zu den engen Vertrauten der Kanzlerin gezählt wird.

"Sie ist ein stabilisierender Faktor der Vernunft in der Koalition", lobt ein führendes Unionsmitglied die 57-Jährige, die im niederrheinischen Jüchen geboren und in Neuss aufgewachsen ist.

Über das Amt der Kultusministerin in Baden-Württemberg stieg die Erziehungswissenschaftlerin, Philosophin und Honorarprofessorin für Katholische Theologie zur Bundesministerin und Stellvertreterin Angela Merkels in der CDU auf.

Nun sieht sich ausgerechnet die Forschungsministerin Annette Schavan Plagiatsvorwürfen in ihrer 32 Jahre zurückliegenden Dissertation ausgesetzt. In der an der Philosophischen Fakultät der Universität Düsseldorf im Fach Erziehungswissenschaften vorgelegten Arbeit "Person und Gewissen — Studien zu Voraussetzungen, Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung" soll Schavan laut dem anonymen Internet-Blog "Schavanplag" auf 56 von 325 Seiten unsauber zitiert und zumindest in einigen Passagen auch plagiiert haben, also fremde Texte ohne Quellenangaben übernommen haben.

"Dass die Verfasserin plagiiert, lässt sich schlecht bestreiten", behauptet der Verfasser des Blogs. Und listet als Beleg sieben "gravierende" Textpassagen auf. Auf Seite 47 schreibt Schavan demnach über den amerikanischen Philosophen George Mead: "George Herbert Mead hat in seiner kognitiven Theorie im Zusammenhang mit dem Werden des Menschen im sozialen Kontext die Frage nach der Entstehung von Selbstbewusstsein gestellt." Schavan lehnt sich an die Äußerungen des österreichischen Erziehungswissenschaftlers Helmut Fend an. In dessen Buch heißt es: "George Herbert Mead [...] hat eine kognitive Theorie über das Werden des Menschen im sozialen Kontext aufgestellt. Er will die Frage beantworten, wie Selbstbewusstsein [...] entsteht."

In der Dissertation geht es weiter: "Wesentliches Element menschlicher Sozialwerdung ist für ihn das Erlernen der Sprache, durch die Menschen in Interaktion treten können." Bei Helmut Fend steht: "Der Mensch wird zum sozialen Wesen durch das Lernen einer Sprache und eine Sprache lernt der Mensch in Interaktion mit anderen Menschen." Schavan nennt aber nur in einer Fußnote den Autor Fend als Quelle.

Der Vorwurf des anonymen Bloggers lautet daher: Die Ausführungen seien fast vollständig von Fend übernommen worden, obwohl Schavan nur eine einzelne Wortgruppe als Zitat kenntlich gemacht habe. Ob diese Zitierweise allerdings streng juristisch als Plagiat gewertet werden kann, dürfte umstritten sein.

Interpretationskampf hat begonnen

Auch ein weiteres Beispiel des Internet-Aktivisten liegt wohl eher in einer rechtlichen Grauzone: Auf Seite 82 gibt Schavan Sigmund Freuds Schrift "Totem und Tabu" als Vergleich an, übernimmt aber angeblich den Text mit leichten Anpassungen aus einem Werk des deutschen Psychiaters Heinz Häfner und ergänzt lediglich die Sekundärquelle.

Zitieren aus der Sekundärliteratur ist indes nicht verboten. Und dass Schavan Texte komplett wörtlich kopiert, ohne die Quelle zu nennen, kann ihr der Blog nicht nachweisen. Nun hat die Interpretation über die Fundstellen begonnen.

Zwar wertet der Münchner Rechtswissenschaftler Volker Rieble einzelne Fundstellen "als Plagiate". Es gäbe einfach zu viele "Wortidentitäten", sagt er. Andererseits lehnten ausgerechnet die Autoren des kritischen Internet-Portals "Vroniplag", durch deren Recherchen unter anderem die FDP-Europapolitiker Silvana Koch-Mehrin und Georgios Chatzimarkakis ihre Doktortitel verloren und die auch Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ins Visier genommen hatten, eine Veröffentlichung ihrer Rechercheergebnisse zum "Fall Schavan" ab. Offenbar aus Mangel an Beweisen.

Es gebe keine ausreichenden Hinweise auf ein Plagiat, berichten Autoren der Plattform über den Internet-Nachrichtendienst Twitter. Martin Heidingsfelder, Gründer der Plattform "Vroniplag", sieht bislang auch keinen "zweiten Fall Guttenberg".

Uni könnte Monate prüfen

Die Universität Düsseldorf will die Dissertation trotzdem erneut prüfen. Auch auf Bitten von Schavan selbst. Die Universitäten stehen seit der Guttenberg-Affäre unter besonderer Beobachtung. Sie dürfen keinen Zweifel daran lassen, dass sie prominente Absolventen genauso behandeln wie "normale" Doktoranden. "Das geht jetzt seinen normalen, verwaltungsrechtlichen Gang", sagte der Dekan der Philosophischen Fakultät, Professor Bruno Bleckmann, im Gespräch mit unserer Redaktion. Zum Inhalt könne er sich aber noch nicht äußern.

Die Prüfung des Promotionsausschusses der Heinrich-Heine- Universität könnte Wochen oder gar Monate dauern, heißt es an der Spitze der Uni. Liegt das Prüfergebnis der Kommission vor, entscheidet der Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät über die Konsequenzen. Bisher hat die Fakultät noch keinem Absolventen den Doktortitel nachträglich entzogen.

Auch Annette Schavan wird in dem Verfahren angehört werden. Sie gehe die Sache "gelassen" an, sagte Schavan unserer Redaktion. Sie habe ihre Arbeit 1980 nach "bestem Wissen und Gewissen" geschrieben. Sie sei gerne bereit, sich über die Vorwürfe auseinanderzusetzen. Den Autor des Internet-Blogs fordert Schavan auf, sich als Person zu erkennen zu geben. Die technischen Möglichkeiten zum einfachen Kopieren fremder Texte (Copy & Paste) lagen der jungen Doktorandin Schavan damals jedenfalls nicht vor. Sie habe mit einem "Zettelkasten" gearbeitet, so Schavan.

Der renommierte Düsseldorfer Literaturwissenschaftler und frühere Vorsitzende der Heinrich-Heine-Gesellschaft, Wilhelm Gössmann, hält die Vorwürfe für absurd. "Ich habe die Arbeit gelesen. Es ist eine einwandfreie, sehr ordentliche Arbeit", sagte Gössmann unserer Redaktion. Er könne sich nicht vorstellen, dass an den Vorwürfen irgendetwas dran sei.

Die Hochschulrektorenkonferenz, der Zusammenschluss aller staatlichen Universitäten in Deutschland, ist ebenfalls skeptisch. "Ich warne vor Vorverurteilungen jeglicher Art", sagte der Präsident Horst Hippler. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft wollte sich zu dem Fall noch nicht äußern.

Wenn Schavan allerdings ein Plagiat nachgewiesen wird, dürfte die Ministerin auf die Unterstützung von Kanzlerin Angela Merkel angewiesen sein. Die hatte sich in der Plagiatsaffäre um Karl-Theodor zu Guttenberg rasch hinter ihren populären Minister gestellt. Sie habe ja einen Verteidigungsminister berufen und keinen "wissenschaftlichen Mitarbeiter", hatte Merkel damals gesagt. Dass wird sie bei der Bildungs- und Forschungsministerin nicht sagen können.

(caf)
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